Kapitel 16

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Als ich am nächsten Morgen aufwachte waren bereits alle außer mir wieder aus dem Haus, inklusive Lia. Sie war sicher wieder im Stall, mit Vivian. Der Gedanke daran ließ wieder einen Stich der Eifersucht durch meinen Körper zucken. Ich hasste es, wie sich meine Beziehung zu meiner Schwester entwickelte, aber sie ließ ja nicht mit sich reden. Dabei hatte ich ihr damals doch nur helfen wollen. Konnte sie nicht sehen, dass Vivian sie ausnutzte? Ich versuchte mir die Eifersucht aus dem Kopf zu schütteln und stand auf, Aki folgte mir. Heute hatte ich wieder alle Zeit der Welt. Ich öffnete das Fenster und atmete die frische Morgenluft ein. Mit Damian würde ich mich nachmittags irgendwann treffen, aber ich freute mich jetzt schon darauf. Bis dahin würde ich einfach den Tag genießen. Deshalb zog ich mir was Bequemes an und ging mit meiner Hündin nach draußen. Wir waren schon lange nicht mehr zu alten Eiche spaziert, also kletterten wir die Böschung hinter dem Haus hinauf und befanden uns auch schon auf dem schmalen Weg, der in die unendlichen Wiesen und Wälder hineinführte. Paddy stand etwas weiter hinten auf der Wiese neben uns. Aki lief ohne Leine brav neben mir her. Eine Weile war alles still und ich war so in meinen Gedanken versunken, die sich hauptsächlich um den Nachmittag drehten, dass ich anscheinend nicht merkte, wie Paddy auf der anderen Seite des Zauns auf uns zu galoppiert kam. Als ich die Stute dann plötzlich aus dem Augenwinkel bemerkte, wie sie neben uns scharf bremste und schnaubte, bekam ich so einen Schreck, das ich zur Seite stolperte und hinfiel. Als ich nach oben schaute stand das Pferd, das von hier aus riesig wirkte beinahe über mir. Mir wurde übel und schwindelig zugleich und mein Herz begann zu rasen. Hektisch kroch ich rückwärts, während Aki begann, die Stute anzubellen, die dann tatsächlich das Weite suchte. Was würde ich nur ohne diesen Hund tun! Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Als ich mich wieder gefasst hatte, stand ich langsam auf. Wieder kamen Zweifel in mir hoch, ob ich dieses bescheuerte Trauma jemals überwinden würde. Als ich nun zu Paddy sah, stand sie etwas entfernt wieder auf der Wiese und blickte zu uns herüber, während sie entspannt auf einem Büschel Gras kaute. Ich trat zum Zaun und rief ihren Namen. Ich würde mich der Angst jetzt stellen und Paddy streicheln. Sie kam erneut von der anderen Seite an den Zaun. Ich wich zuerst einen Schritt zurück, doch dann überwand ich mich und ging auf die Stute zu. Ruhig sah sie mich aus ihren dunklen Augen an. Sie zuckte kurz mit dem Kopf hoch, als ich sie berührte, senkte ihn dann aber wieder und schnaubte. In diesem Moment wusste ich nicht, was in mich gefahren war, aber ich kletterte unter dem Zaun durch und ging so zu Paddy auf die Koppel. Mein Herz pochte wie wild und ich hatte alle Mühe meinen Atem unter Kontrolle zu halten, aber ich schaffte es. Ich entspannte mich sogar ein wenig, als Paddy mich nun neugierig mit dem Kopf anstupste. Jetzt erst begriff ich, dass sie und ich gar nicht so verschieden waren. Sie hatte Angst, genau wie ich, weil wir beide schlechte Erfahrungen gemacht hatten. Sicher konnte ich mir bei ihr natürlich nicht sein, aber wo sollte ihre Panik vor Sätteln und Reitern sonst herkommen, als von traumatischen Erlebnissen? Es musste so sein.

Ich konnte jetzt nicht länger warten. Ich würde Damian jetzt anrufen, um ihm zu erzählen, was ich gerade eben getan hatte. Es mag wie eine Unwichtigkeit klingen, aber für mich war die Tatsache, dass ich alleine und im Freien so nah bei einem Pferd stand, ohne gleich in Ohnmacht zu fallen, ein riesiger Schritt zurück zu meinem früheren Ich. Ich fühlte mich beschwingt, als ich jetzt zügig auf den Weg zum Stall machte, wo Damian gerade war und wir uns deswegen gleich dort trafen. Außerdem hatte ich einen Entschluss gefasst. Ich musste wissen, was Paddy in ihrer Vergangenheit wiederfahren war, und ich würde es auch herausfinden.

Als ich Damian von Weitem sah, lief ich auf ihn zu, und ohne dass ich wusste, was ich da eigentlich tat, umarmte ich ihn übermütig und erzählte ihm gleich von meinem Fortschritt. „Wow, das ist toll!", erwiderte er sofort. „Ich bin stolz auf dich!" Jetzt sahen wir uns direkt in die Augen, seine Arme noch immer um mich gelegt. Und da war wieder so ein vertrauter Moment, in dem ich wirklich Probleme bekam, meinen Herzschlag im Zaun zu halten. Aber dafür war jetzt keine Zeit. Ich löste mich aus der Umarmung und platzte sofort mit meinem Anliegen heraus. „Ich muss unbedingt wissen, was hinter Paddys Geschichte steckt. Liv hat gemeint, vielleicht hängt das Ganze irgendwie mit dem Vorfall im Café zusammen. Wir sollten am besten gleich loslegen, also wenn du mir noch helfen willst." Damian schaute mich etwas verwirrt an. „Warte nicht so schnell, ich verstehe kein Wort. Café? Was?" Ach ja. Ich hatte vergessen, dass er bei diesem Gespräch nicht dabei gewesen war. Ich erzählte ihm also die Kurzversion davon.

Zwei Herzen, eine SeeleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt