7 | prokyon

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p r o k y o n

juni 2022

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„Durch Gesundheit und Krankheit, erinnerst du dich?"

„Die gesunden Tage waren rar gesät, Lottie. Ich kann verstehen, wenn du nicht bleiben wirst."

„Deine schlechten Tage sind immer noch besser als die guten mit jedem anderen, Hazza."

Louis Worte hallten nach auf diesem Grundstück in Waldesnähe, mitten in der Natur, das einmal dem Sternenjungen gehört hatte, bevor er es zurücklassen musste.

„Hat Harry dir für heute einen Brief hinterlassen?"

Immer wieder wirbelten die Worte, seine Stimme eigentlich flüsternd, doch mit ungewollter Explosion.

„Nein", murmelte Charlotte. Langsam schüttelte sie den Kopf, die Bewegung so heftig und verzweifelt, dass sie für ein Monster gehalten werden konnte. Doch dann holte sie tief Luft, während ihre Gedanken immer noch wirbelten, sich an all die Briefe erinnerten in der Kiste in ihrem Wohnzimmer, bloß einige Meter von ihrem momentanen Standort entfernt. Und gleichzeitig doch eine Ewigkeit zwischen ihr und den Briefen, eine Ewigkeit, die sie von ihrem Sternenjungen für immer trennte.

„Aber es gab einen Brief für den letzten Hochzeitstag. Das war der, deren Datum bereits vergangen war, als du die Kiste gefunden hast, Lou. Ich habe ihn mir für heute aufgehoben." Sie schluckte. „Aber ich habe Angst davor, ihn zu lesen."

Eleanor strich ihr beruhigend über den Rücken, während sich einzelne Tränen aus ihren Augenwinkeln lösten. Dennoch kam kein Schluchzen über Charlottes Lippen, zu stur war sie, um ihm die Macht zu geben.

„Wovor hast du Angst, Lottie?", flüsterte ihre Freundin leise.

Das Mädchen mit den Sternenaugen verlor kurz das Funkeln in ihnen. „Das ist der allererste Brief, der bloß für mich ist und nicht für Noah. Was ist, wenn ich zu viel erwarte? Was ist, wenn sich mein Herz ein ganzes Jahr lang so verzweifelt daran geklammert hat, was der Brief mir zu sagen hat, dass ich einfach nur enttäuscht werden kann?"

Louis schüttelte den Kopf, so überzeugt, als würde er alle Geheimnisse der Welt kennen. Doch Charlotte wusste, dass er genauso ahnungslos war wie sie.

„Wird er nicht, Lottie", murmelte der Mann mit den strahlendblauen Augen. „Der Brief kann dich gar nicht enttäuschen, denn er ist von Harry. Die Wörter sind ein Teil von ihm und er hat dich doch noch nie enttäuscht, oder?"

„Nein", wisperte Charlotte, erst leise und dann noch einmal, voller Kraft und Sternenstaub. „Nein, Hazza hat mich nie enttäuscht."

Eleanor schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln und das Mädchen mit den Sternenaugen hasste sich selbst einen Augenblick dafür, dass ihre Freunde sie überhaupt hatten weinen sehen. Doch in den ersten Wochen nach Harrys Tod hatte sie ohnehin mehr Tränen vergossen, als erlaubt gewesen wäre.

„Du kannst den Brief jetzt lesen. Ganz in Ruhe", meinte Louis aufmunternd.

Eleanor nickte. „Nimm dir all die Zeit, die du brauchst. Wir passen auf Noah auf."

„Seid ihr euch sicher?" Charlotte warf ihren Freunden einen unsicheren Blick zu, nachdem sie einen Augenblick ihren Sohn beobachtet hatte, der immer noch im Garten mit Willow fangen spielte. „Ihr macht ohnehin schon viel zu viel für mich."

boy in the stars || h.s. ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt