Mid-Late April, 2017
Lee's Summit, MissouriSeit Wochen lebte ich nun schon bei Jenna und David. Jeremy war auch ab und an da, sofern er nicht mit Damon unterwegs war. Ich mochte ihn nicht. Er hatte einen schlechten Einfluss auf Jeremy. Andererseits war ich nicht in der Position, ihm das zu sagen - obwohl ich dies ehrlich gesagt schon einige Male gemacht hatte. Jeremy war erwachsen, das war ich auch - also hatte niemand das Recht, mir zu sagen, was ich zu tun hatte. So fies das auch klang.
Ich wusste, dass Dean sauer war. Wir schrieben nicht miteinander, wir telefonierten nicht. Der Einzige, dem ich schrieb, war Sam - ab und an.
Eines Morgens ging ich zum Frühstücken in die Küche, kochte Kaffee und schmierte Toasts. Kurz darauf kam Jenna runter. Sie wirkte fröhlich. Sie und David hatten sich wieder angenähert und schliefen sogar bereits in einem Bett.
»Guten Morgen!«, begrüßte sie mich.
Ich grüßte zurück. Mit einer frisch gekochten Tasse Kaffee drehte ich mich um, doch sogleich wurde sie mir entwendet.
»Ey!«, beschwerte ich mich.
»Damon und ich wollen gleich 'ne Tour machen«, gab Jeremy zurück und nahm sich auch mein Toast.
Anklagend sah ich ihn an. »Dann steh früher auf.«
Zur Antwort biss er nur von dem Toast ab und ich stöhnte genervt. Er verschwand kurz, um die Post zu holen und kam mit der Zeitung und einigen Briefen zurück.
»Für dich«, meinte er und warf mir einen Umschlag zu.
Etwas verwirrt las ich die Anschrift. »Einleidung zum Alumni-Treff?«
»Du solltest hingehen«, sagte Jeremy sofort.
»Du weißt doch gar nicht, was drin steht«, gab ich verständnislos zurück.
Er zog die Stirn in Falten. »Das ist 'ne Einladung, Cat. Da steht das drin, was in 'ner Einladung steht.« Er nahm sich einen Schokoriegel aus dem Regal. »Geh da hin. Hab etwas Spaß. Den kannst du gebrauchen.«
Etwas fassungslos sah ich ihn an, unfähig etwas zu erwidern. Doch Jeremy interessierte es eh nicht, denn da war er bereits aus dem Haus. Ich beobachete durchs Fenster, wie er in Damons Auto stieg und die beiden davonfuhr.
»Und du findest das gut?«, fragte ich an Jenna gewandt.
»Er lebt endlich ein Leben, das ihm gefällt.«
»Das klingt ziemlich traurig«, meinte ich und drehte mich ihr zu. »Als ob er nie ein Leben gehabt hätte.«
»Hast du eigentlich einmal daran gedacht, wie es ihm die letzten Jahre ergangen war?«
Jennas versteckte Anschuldigung traf mich wie ein Schlag.
»Denkst du, ich bin selbstsüchtig?«, gab ich etwas verletzt zurück.
Die Frau seufzte. »Ich kenne Sam und Dean nicht, aber ich weiß, dass sie dir etwas bedeuten und du ihnen. Wie fühlen sich die beiden wohl, seitdem du sie einfach allein gelassen hast?«
»Was haben Sam und Dean denn mit Jer zu tun?«, entgegnete ich.
Jenna sah mich nur schweigend an, doch ihr Blick verriet, dass mein Ausgeschweife nicht wirklich hilfreich war und sie recht hatte. Und leider wusste ich das auch.
Seufzend wandte ich mich ab und riss den Briefumschlag auf. Hastig überflog ich den Text, dann wedelte ich damit herum.
»Ein alter Freund hat die Einladung geschrieben. Er hat seine Nummer hinterlassen. Ich werd da mal anrufen.«Ich hielt die ganze Sache für keine gute Idee. Mittlerweile waren einige Tage vergangen; es war Samstag - der Tag der Feier.
Ich hatte mir ein tiefblaues Cocktailkleid angezogen, welches nicht einmal meine Knie erreichte. Der Ausschnitt war schmal, am Hals waren beide Seiten mit einem Knopf verschlossen.
»Das ist eine dumme Idee«, murmelte ich.
»Findest du?« Jeremy war erschienen und lehnte nun im Türrahmen.
»Jetzt mal ehrlich«, ich wandte mich ihm zu, »willst du wissen, wann ich das letzte Mal so aussah? Das war 2008 bei einem Fall, und da hab ich Sam geküsst.«
Der Mann riss die Augen auf. »Du und Sam?«
»Das ist schon Jahre her, und es war ohne Bedeutung.« Ich nahm meine Tasche. »Willst du mitkommen? Ich darf jemanden mitbringen.«
»Warum fragst du nicht Dean?« Jeremy wackelte mit den Augenbrauen und ich legte nur verständnislos den Kopf schief. Daraufhin lachte er. »Ist schon in Ordnung. Ich komm gern mit.«
»Hast du ein Hemd und eine ordentliche Hose?«
»Ich frag mal David. Gib mir ein paar Minuten.«
Die gab ich ihm, und so saßen wir eine halbe Stunde später zusammen im Auto.
»Wann war das letzte Mal, dass wir zusammen einen ganz normalen Ausflug unternommen haben?«, fragte Jeremy mich, der neben mir auf dem Beifahrersitz saß.
»Ähm, nie?«
Er lachte. »Genau.« Er lehnte sich zurück. »Das wird cool. Das wird cool.«
Ich warf ihm einen Blick aus den Augenwinkeln zu. Er hatte den rechten Arm gegen das Fenster gelehnt und die Faust gegen seine Wange gestützt. Er sah auf die Straße. Ein leichtes zufriedenes Lächeln lag auf seinen Lippen.
»Du und Damon, ihr verbringt viel Zeit miteinander«, bemerkte ich.
»Ich weiß, du magst ihn nicht«, sagte Jeremy sogleich mit einem genervten Seufzen.
»Nein, nein, das meint ich nicht. Also ja, ich mag ihn nicht. Aber ... ich find's toll, dass ihr Zeit miteinander verbringt.«
Jeremy zog die Stirn in Falten. »Danke, schätz ich.«
Ich nickte nur und dann schwieg ich. Mir fiel nichts Besseres ein.
Nach einiger Zeit Fahrt erreichten wir die Turnhalle meines Colleges, in welchem wir das Jahrgangstreffen meiner damaligen Abschlussklasse auf dem College.
»Was hast du für einen Abschluss?«, fragte Jer mich, als wir ausstiegen.
»Ich hab einen Bachelor in Geschichte und Mythologie. Danach wollte ich mich eigentlich an den Master setzen. Aufgrund einiger Visionen eines gelbäugigen Dämons ging das eher nach hinten los. 2007 hab ich komplett das Studium geschmissen. Deswegen hat es mich auch gewundert, dass sie mich zum Treffen eingeladen haben.«
»Erwähn das mit dem Dämon lieber nicht auf der Party«, sagte Jer.
»Hatte ich auch nicht vor.«
Kaum öffnete ich die Tür der Turnhalle, wünschte ich mir, nicht hierhergekommen zu sein. Die Musik kam mir sofort entgegen, irgendetwas Modernes, was ich nicht kannte. Etwas hilflos sah ich mich um. Alles war geschmückt mit blau-weißen Girlanden.
»Cather!«
Ich zuckte zusammen. Seit zehn Jahren hatte ich diesen Namen nicht mehr gehört.
»Cather?«, wiederholte Jer schmunzelnd.
Bevor ich etwas sagen konnte, kam Anne auf mich zugelaufen.
»Hey!«, rief sie. »Oh, mein Gott. Du siehst fabelhaft aus!«
Ihre braunen Haare reichten ihr bis zu den Schultern. Die blonden Strähnen dazwischen waren neu. Ihr Gesicht wirkte erwachsener und reifer als früher. Verständlich. Nicht jeder war unsterblich so wie ich.
»Oh, du glaubst nicht, wie sehr ich mich freue, dass du hier bist.« Anne schloss mich ohne Vorwarnung in die Arme. »Und das?« Sie ließ mich los und sah zu Jeremy. »Ist das dein Freund?«
»Gott, nein, das ist mein Bruder.«
Überrascht sah Anne mich an. »Du hast damals gar nichts von einem Bruder erzählt.«
»Ja.« Ich lächelte verschmitzt. »Ist 'ne lange Geschichte.«
»Gut, kommt mit. Lass uns zu den anderen gehen. Dann kannst du uns ja erzählen, was du in den letzten zehn Jahren so getrieben hast.« Sie zog mich mit sich. »Du warst die Einzige, von der wir nichts gehört hatten. Die ganze Clique ist immer noch vereint.«
»Cather!« William breitete die Arme aus, als er mich erkannte. »Mann, hast du dich aber gehalten. Siehst aus wie an deinem ersten Tag im College.«
»Hey, Will«, sagte ich nur, ehe er mich auch schon umarmte, was wenige Sekunden andauerte.
»Und das ist?«, fragte er und deutete auf meinen Bruder.
»Jeremy«, erklärte er und reichte Will die Hand. »Ich bin ihr Bruder.«
»Interessant.« Grinsend sah Will wieder zu mir.
»Willst du etwas trinken, Cather?«
»Mich hat er das nicht gefragt.« Eine blonde Frau, die ich noch nie zuvor gesehen hatte, erhob sich von einem Stuhl. Sie trug ein rotes enges Kleid und war einen ganzen Kopf größer als ich. »Ich bin Wills Ehefrau, Nancy.« Sie hielt mir ihre Hand entgegen. Es war ein ziemlich steifer Händedruck. »Ich hab noch nie von dir gehört. Cather?«
»Spitzname für Catherine«, sagte ich trocken.
»Ach«, machte sie und zog ihre Hand zurück, um sie auf die Schulter ihres Ehemanns zu legen. Ein Zeichen von Besitz, damit jeder wusste, dass Will ihr gehörte.
»Ich hol uns mal was zu trinken, Cather«, betonte Jer amüsiert, ehe er verschwand.
»Ist er single?« Lisa, eine ehemalige Freundin, die ebenfalls am Tisch saß, rekelte sich auf ihrem Stuhl.
»Frag ihn einfach selbst«, gab ich zurück und bemühte mich darum, freundlich zu klingen. Tat ich aber irgendwie nicht, wie ich an ihrem eingeschnappten Blick erkannte.
»Hast dich nicht verändert, Catherine. Immer noch das zickige Biest.«
»Kommt runter, Leute!«, sagte Will. »Wir sind hier, um zu feiern, nicht zu streiten.«
Die meisten waren davon nicht wirklich überzeugt, dennoch bemühten sie sich zu einem Lächeln. Ich setzte mich auf einen freien Stuhl und wartete auf Jeremy. Alle begannen sich zu unterhalten. Ich fühlte mich etwas ausgeschlossen. Sie sprachen über ihre Familien, über ihren Job. Ich konnte über nichts dergleichen sprechen.
»Und, Cather, hast du auch jemanden?«, fragte Will mich auf einmal.
»Ja, ähm«, ich strich mir die Haarsträhne aus dem Gesicht, »er ist in Kansas geblieben. Hatte viel zu tun.«
»Und was machst du so? Beruflich?« Trotz seines Lächelns war sein Blick eiskalt und stechend. Irgendwie hatte er etwas Unheimliches. Doch das war Will. Er war schon immer so gewesen.
»Ich bin ... beim FBI.«
Überrascht hob er eine Augenbraue. »Tatsächlich? Siehst gar nicht so aus, als könntest du einen Mann in die Knie zwingen.«
»Du wirst frech, Will«, meinte ich schmunzelnd.
»Ich will nur etwas von unserer verschollenen Catherine erfahren. Warst lange weg. Es hat sich viel verändert.«
Wie recht du doch hast.
»Cat.« Jeremy war neben mir erschienen und hielt mir einen Drink entgegen.
»Danke.«
Er ließ sich neben mir nieder, und während einige Frauen vom Tisch Jer ansprachen, saß ich schweigend da und wartete die Zeit ab.
»Lass uns tanzen, Cather«, sagte Will auf einmal und zog mich ohne Vorwarnung auf die Beine. Ich bemerkte die missbilligenden seiner Frau, doch da standen wir bereits auf der Tanzfläche und bewegten uns zum Takt der Musik.
»Ich kann's nicht fassen, dass du hier bist«, sagte Will. »Wir hatten Befürchtungen, die Einladung würde dich nicht erreichen. Wir haben sie einfach auf gut Glück zu deinem alten Elternhaus geschickt, als es hieß, dass deine Eltern nach Lee's Summit zurückgekehrt wären.«
»Du hast davon gehört?«, wollte ich wissen und versuchte meine Unruhen zu verbergen.
»Natürlich. Wir haben nachgeforscht. Wir haben uns Sorgen gemacht. Weiß Dean eigentlich, dass du hier bist?«
Ich verharrte und starrte Will entsetzt an.
»Woher weißt -«
Er unterbrach mich, indem er mich an sich drückte und sich zu meinem Ohr herunterbeugte. »Du warst eine lange Zeit verschwunden, aber jetzt haben wir dich endlich wieder gefunden, Lucia.«
Ich stolperte zurück, doch packte er mich am Arm, ließ mich eine Drehung vollführen und fing mich wieder auf.
»Du hast dich also von deinen Fähigkeiten abgewendet, sonst hättest du es bereits gespürt, als du durch diese Tür getreten bist.«
Erst als er es sagte, fiel es mir auf. Hier war tatsächlich eine Energie zu verspüren. Die Energie eines Engels. Und er war nicht der Einzige.
»Anna, Lisa - ja, die beiden sind auch Engel. Und ja, wir waren es auch schon vor zehn Jahren. Lass mich dir eine kleine Geschichte erzählen.« Er drückte mich so nah an sich, dass ich am liebsten laut geschrien hätte. »Dein Bruder, Jeremy, seine Mutter hat ihn nicht weggeben, weil sie dachte, er stammte von einer Affäre. Was für eine lächerliche Geschichte, wirklich. Sie hat ihn weggeben, weil sie nicht noch ein Kind auf den Weg des Übernatürlichen bringen wollte. Es war deine Schuld, Cather, ganz allein deine. Deinetwegen wurde er weggegeben, deinetwegen musste er das Leben leben, welches ihm zugeteilt wurde. Er hat dir nie die Wahrheit erzählt, oder? Dass er ingesamt bei elf Pflegefamilie war, geschlagen und angeschrien wurde. Zweimal war er in Jugendhaft. Einmal tätlicher Angriff auf einen Beamten, dann Diebstahl in einer Tankstelle. Er hat dich all die Zeit über angelogen. Er hatte nie eine richtige Familie. Du hättest ihm all das ersparen können, Catherine.«
Schwer atmend riss ich mich von ihm los, eilte herüber zu Jeremy und packte ihn augenblicklich am Arm. Er war ziemlich irritiert, als ich ihn aus der Halle zerrte.
»Cat, was soll das -«
»Wir müssen hier weg, Jer. Wir müssen sofort weg!« Außer Atem erreichte ich das Auto, stieg ein und fuhr los, sobald Jer ebenfalls eingestiegen war.
Ich würde niemals ein normales Leben führen können. Nicht, wenn ich nicht jeglichen Kontakt zum Übernatürlichen vermied.2060 Wörter
Das letzte Kapitel. Gleich im Anschluss veröffentliche ich noch den Epilog.
Es werden zwei Videos folgen, dann eine Danksagung, in der ich alles erklären werde.
Ich wünsche euch einen Guten Rutsch ins neue Jahr 🎉
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The Family Business || Supernatural Staffel 12
FanfictionBuch 10 Nach dem Kampf gegen die Finsternis erwartet die Winchesters und Cat bereits ein neues Problem - Sam wird entführt und zwar von den British Men of Letters, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, das Leben der drei komplett zu zerstören und s...