8. Die Wahrheit

8 1 0
                                    

„Ich weiß nicht, ob ich das jetzt creepy finden soll", sagte Jayden zur Begrüßung, als ich eine halbe Stunde später vor seiner Tür stand. Etwas an seinem Gesichtsausdruck hatte sich seit unserem Gespräch auf dem Feldweg verändert. Er hatte jetzt ein seltsames Dauerlächeln aufgesetzt und schon den ganzen Tag diesen seltsamen, sarkastisch-freundschaftlichen Ton angeschlagen, den ich ihm irgendwie nicht abnahm. Ich hatte keine Ahnung, was er damit vorhatte, aber ich beschloss, mich davon nicht verwirren zu lassen.

„Du hast eine eigene Wohnung?", fragte ich und trat ein, ohne auf seine Erlaubnis zu warten. Draußen regnete es in Strömen und ich war mit dem Rad gekommen. Meine Jeans und meine Schuhe waren völlig durchnässt. Ich zog meine Neonfarbene Regenjacke aus und schüttelte die Haare aus, die unter der Kapuze tatsächlich halbwegs trocken geblieben waren. Gut, dass ich außer Wimperntusche nicht geschminkt war- alles andere würde inzwischen in schwarzen Schlieren mein Gesicht runter laufen.

Jayden grinste und lehnte sich lässig an den Türrahmen. „Ich bin achtzehn, weißt du noch?", beantwortete er meine Frage.

„Das ist cool." Ich konnte nicht anders, ich war beeindruckt. Ich hätte so ziemlich alles dafür gegeben, eine eigene Wohnung zu haben. Niemand, der einem ständig das Internet sperrte, einen zum Aufräumen zwang oder sonstige Vorschriften machte. Keine Eltern, die einen behandelten wie ein kleines Kind.

„Tja, so bin ich eben." Jayden grinste noch breiter und schloss die Tür hinter mir. Ich stand in einem schmalen Hausflur, auf dessen Boden ein paar verstreute Schuhe lagen. „Sorry für die Unordnung, ich wohne erst seit vier Tagen hier. Noch keine Zeit, ein richtiges Chaos draus zu machen." Er hielt mir die Tür zum Wohnzimmer auf, das aus einem gemütlichen Sofa und einem riesigen Flachbildfernseher bestand. Die offene Küche daneben war geschmackvoll eingerichtet. Die Wohnung war wirklich nicht besonders groß, aber die Möbel dafür umso teurer- jedenfalls nicht wie bei uns das gesamte Sortiment von IKEA.

„Woher hast du so viel Geld? Gehst du nebenher arbeiten?", fragte ich staunend und ließ mich auf das Sofa fallen. Er zuckte mit den Schultern. „Meine Eltern finanzieren mir das Jahr in Deutschland. So lange gehe ich ihnen wenigstens nicht auf die Nerven."

„Deine Beziehung zu deinen Eltern scheint besonders gut zu sein."

Er drehte mir den Rücken zu und ging in die Küche, so dass ich sein Gesicht nicht sehen konnte. „Ich habe einfach andere Vorstellungen von meiner Zukunft als sie. Wenn ich ehrlich sein soll, ist das der Hauptgrund, warum ich jetzt für ein Jahr hier lebe. Ich habe mal eine Auszeit von ihnen- und sie von mir. Wasser? Kaffee? Wodka?"

„Ich bräuchte eindeutig auch mal eine Auszeit von meinen Eltern", seufzte ich. Er hob eine Augenbraue. „Und ein bisschen Wodka?"

„Ab und zu vielleicht, aber ganz bestimmt nicht jetzt."

„Ach ja." Er seufzte und fuhr sich durch die Haare. „Es gibt bestimmt einen extrem wichtigen Grund, weswegen du hier bist.

„Warum will sich Jessica June an dir rächen?"

Er sah auf und fixierte mich mit seinen eisblauen Augen. „Was bringt dich denn zu der Annahme?"

„Sagen wir, meine geheime Quelle. Was hast du ihr getan, damit sie so wütend ist? Du bist nicht zufällig mit ihr verwandt?"

Jayden starrte mich langsam an und kaute an seiner Unterlippe herum, als überlegte er, wie viel er mir erzählen konnte. „June und ich standen uns sehr nah", fing er dann zögerlich an und setzte sich neben mich auf das Sofa. „Und nein, wir sind nicht verwandt."

„Dann wart ihr also zusammen?", fragte ich weiter.

Er lachte. „Nein, nein, so war es überhaupt nicht. Wenn du es so willst, kannst du uns als Adoptivgeschwister bezeichnen, auch wenn es in Wahrheit ein bisschen komplizierter ist. Sie hat es vor ziemlich genau einem Jahr erfahren- du hast ja gesehen, wie es sie aus der Bahn geworfen hat. Am Anfang haben wir uns gehasst. Wir haben uns gestritten, sie hat mich ignoriert. Dann habe ich einen schrecklichen Fehler gemacht. Sie ist ausgeflippt. Abgehauen. Aber das weißt du ja bereits."

Reborn - Bittersüße RacheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt