Sieben

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Die kurze Einführung in die Sprache war ganz okay, aber doch anstrengender als erwartet. Ich muss hier auf Betonungen achten und da auf die Grammatik und dann mir auch noch diese ganzen verfluchten Bedeutungen merken. Rose ist keine gute Lehrerin, aber ein paar einzelne Phrasen kriege ich schon hin. Wir haben aufgehört, als Dacio und Rowan zurückgekehrt sind und Dacio mit mir reden wollte. Es ist früher Nachmittag und er weist mich daraufhin, dass Lucia wohl gleich mit dem Kochen fertig ist und es dann eine Art Auflauf geben würde, mit Nudeln, Gemüse und Hähnchenfleisch. Er würde sich noch einmal umziehen gehen und ich solle mich noch kurz mit Rose und Rowan unterhalten. Oder wie er sie nannte „Adler und Kinney".

„Wo wart ihr?", frage ich Rowan aus purer Neugier. Versehentlich störe ich ihn und Rose dabei wie sie eine leise Unterhaltung führen, die ich aber wegen der sprachlichen Barriere nicht verstehen kann. Rowan räusperte sich. „Dacio hat mir aufgetragen, dir nichts über seinen Termin zu verraten."

„Aha", erwidere ich. Doch ich bin mit kleinen Cousinen und Cousins aufgewachsen, ich weiß wie man an Geheimnisse drankommt. „Hat er dir auch aufgetragen mir nichts davon zu erzählen, warum du mir nichts über seinen Termin verraten darfst?", frage ich ganz unschuldig und engelsgleich. Rowans Stirn legt sich in Falten und er antwortet mir unsicher: „Nein."

„Das habe ich mir gedacht. Würdest du mir freundlicher Weise den Grund verraten?", erfrage ich weiter. Hilfesuchend huschen Rowans Augen zu Rose, die nur hilflos mit den Schultern zuckt. „Ich denke schon", setzt er an, „aber du darfst dir nichts anmerken lassen!" Ich nicke. „Er hat Angst, dass du den Job direkt ablehnen würdest, wenn du es erfährst."

Das öffnet neue Fragen. Was könnte das für ein Termin sein, dass ich dadurch den Job ablehnen würde? Und außerdem habe das immer noch ich zu entscheiden, ob ich den Job ablehne oder annehme, daran haben weder Dacio, noch Rowan oder Rose etwas zu ändern. Natürlich will ich jetzt noch mehr als zuvor wissen, was für ein Termin das war. Und wenn Rowan es mir nicht sagen will, dann muss ich Dacio selbst ausfragen.

Dafür eignet es sich natürlich hervorragend, dass er gerade wiederkommt, damit wir zusammen essen können. Scheinheilig lächelnd begleite ich ihn zum Tisch und ignoriere seine verscheuchende Geste in Richtung der Bodyguards. Ohne, dass er es weiß, spielt er mir direkt in die Karten. Allerdings lasse ich mir natürlich nichts anmerken. Er lächelt mir auch kurz zu und zieht einen der Stühle zurück, um mir den Platz anzubieten, was ich natürlich mit einem zaghaften Kopfnicken annehme. Nachdem ich mich gesetzt habe, setzt Dacio sich neben mich und schenkt mir ein weiteres Lächeln, dieses Mal warmherziger und ehrlicher. Für einen Wimpernschlag werde ich schwach. Wie könnte man jemanden mit einem so bezaubernden Lächeln nur versuchen auszutricksen? Aber dann fällt mir wieder ein, dass ich in seiner Vorstellung seinen komischen Job ablehnen würde, wenn ich über seinen Termin am Vormittag Bescheid wüsste. Und das macht mich schlichtweg neugierig.

Mit schnellen, leisen Schritten kommt jemand hinter unseren Rücken angelaufen, stellt sich dann neben Dacio, sodass ich ihn oder sie nicht sehen kann und reicht ihm sein Mittagessen. Das kann folglich nur Alessio sein, der freundliche kleine Junge, der nun auch zu mir gelaufen kommt, um mir meinen Teller zu reichen. Doch diesmal fühle ich mich schon um einiges weniger hilflos, was unser gegenseitiges Verständnis angeht, weil ich Rose gebeten habe, mir auch zu sagen, wie ich „Danke" sagen kann. Also bedanke ich mich in des kleinen Jungens Sprache und er grinst daraufhin breiter als alles andere auf der Welt. Ich sehe ihm lächelnd dabei zu, wie er übermütig das Esszimmer verlässt und, kaum bei Betreten der Treppe schon seiner Mutter etwas zu ruft. Auch Dacio schüttelt lächelnd den Kopf.

„Wie ich sehe hat Adler, ich meine Rose, fleißig mit dir gelernt?", fragt er mich, damit eine Unterhaltung entstehen kann. Ich nicke und beginne zu essen.

„Ja, aber es ist schwer. Ich kann erst ein paar Wörter und Sätze, nichts Großartiges", erkläre ich ihm, woraufhin er verstehend nickt. Dann ist es zunächst still, da wir beide essen, aber die Frage, die in meinem Kopf schwirrt, beschäftigt mich dennoch unerlässlich. Als ich etwa die Hälfte meines Tellers gegessen habe, komme ich nicht mehr drumherum, ihn zu fragen: „Was war das für ein Termin, den du heute Vormittag hattest?", frage ich auffällig beiläufig.

Er zögert zunächst und vertuscht sein Grübeln mit einem weiteren Happen von seinem Essen. Dann antwortet er mir. „Das ist nicht wichtig. Das war kein Termin, der sonderlich häufig ist." Ich habe schon mit einer unbefriedigenden Antwort gerechnet, aber seufze trotzdem. „Aber wie soll ich denn wissen, was auf mich zukommt, wenn du mir nicht einmal einen Hinweis darauf gibst, was für eine Art von Terminen das ist, auf die ich dich begleiten soll?", argumentiere ich vorsichtig. Ich will ihn nicht wieder reizen, mir hat schon die Vorschau gereicht, die ich bei unserer ersten Begegnung bekommen habe. Diesmal seufzt Dacio. Wieder zögert er und wieder versucht er sich Zeit zu verschaffen, indem er erst einmal weiter isst.

„Du wirst mich zu manchen Geschäftsessen begleiten. Manchmal haben meine Handelspartner ihre Ehefrauen dabei, dann ist es praktisch jemanden dabei zu haben, der sich mit ihnen unterhalten kann, damit ich in Ruhe die Geschäfte besprechen kann. Zum Teil brauche ich auch jemanden, der Ideen mitschreibt, oder die Schwachpunkte in den Aussagen meiner Verhandlungsgegner findet und notiert. Und es gibt auch Fälle, da brauche ich möglichst viele Stimmen, die auf meiner Seite sind und das kann nur jemand, der involviert ist in das Geschehen. Und bevor du jetzt fragst, warum du dafür in Frage kommen solltest. Ich habe momentan viel zu tun, dort, wo du herkommst. Du beherrschst die Sprache einwandfrei, bist außerdem ungebunden und brauchst den Job. Das ist natürlich umso praktischer, wenn man bedenkt, dass es viele Geschäftsreisen geben wird, zum Teil über Feiertage und Wochenenden, und dann kann ich es nicht gebrauchen, wenn meine Angestellten Familie haben und mich zeitlich bedingt nicht begleiten können. Deswegen habe ich dir das Jobangebot gemacht und aus keinem weiteren Grund." Sein Redeschwall überfordert mich ein bisschen. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, ich habe ja nicht einmal danach gefragt. Aber vielleicht ist es Dacio wichtig, dass diese Frage geklärt wurde.

Der Rest des Tages verlief ruhig und ich bin die meiste Zeit alleine auf meinem Zimmer. Ich habe mich noch weiter in dem Ankleidezimmer umgesehen und ein paar der Kleider anprobiert. Danach habe ich mir eines der vielen Bücher genommen und gelesen, bis ich in einen traumlosen Schlaf gesunken bin.

Am nächsten Morgen erwache ich durch die Sonne, die bereits hoch am Himmel steht. Gähnend und mich streckend taumele ich ins Esszimmer, unbedacht darauf, dass ich quasi halbnackt bin, da ich nur in einem großen Hemd schlafe. Aber ich bin einfach viel zu müde, um mich an das ernste Verhältnis zwischen mir und Dacio zu erinnern. Dass ich nicht alleine bin, bemerke ich sowieso erst, als Rose sich auffällig räuspert. Rowan und sie sitzen am Esstisch und haben scheinbar bis gerade eben geredet. Nur Dacio scheint verschwunden. Doch auch das ist momentan nicht weiter von Belang, denn ich habe Hunger und brauche einen Kaffee. So taumele ich also die Treppe, die zur Küche führt, hinunter und begrüße Alessio und seine Mutter mit einem Lächeln und einem genuschelten „Guten Morgen". Dies wiederhole ich dann auch noch einmal in ihrer Sprache.

Lucia lächelt mich bemitleidend an und fängt dann sofort an, mir einen Kaffee zu kochen. Alessio hingegen rennt zum Kühlschrank, damit er mir die Pancakes bringen kann, die er mir machen wollte. Und verdammt sind die lecker! Von Rose, die die Treppe herunterkommt um nach mir zu sehen, erfahre ich dann, dass Dacio spontan außer Haus ist und Rowan, Rose und ich alleine shoppen gehen werden. Ich bin mir unsicher, ob das nun gut oder schlecht ist, aber das wird sich erst später zeigen. Ich nicke nur stumm und schlürfe meinen Kaffee, an dem ich mich prompt verbrenne. Fängt ja super an.

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