Kapitel 2

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Lara Weber

"Hey mein Schatz. Wie geht es dir? Wie war die Schule heute? Hast du deine Tabletten genommen?" Fragte meine Mom und erwartete ungeduldig eine Antwort von mir.

"Ja ich hab meine Tabletten genommen und mir geht es auch gut." Antwortete ich um meine Mutter zu beruhigen. Eigentlich geht es mir überhaupt nicht gut.

Als ich in meinem Zimmer ankam blieb ich am Spiegel hängen und betrachtete mich das erste mal seit einer sehr lagen Zeit mal wieder darin.

Ich tat dies wirklich ungern, da ich so meinen nicht perfekten Körper sah. Ich hielt nie wirklich viel von diesen Mädchen, die sehr stark auf ihren Körper achteten und immer sagen, dass wenn sie schon ein stück Schokolade angucken, sie dick werden würden.

Aber ich fühlte mich wirklich nicht mehr wohl und jeder andere würde mir recht geben, wenn er in meinem Körper stecken würde. Mein Körper war sehr abgemagert und blass wie eine Leiche. Außerdem hatte ich unter den Augen dunkle, blaue Ränder.

Sie verdeutlichten mir, dass ich so gut wie nie vernünftig durchschlafen konnte. Am Anfang der Krankheit ging es noch recht gut, doch nach ein paar Wochen traten höllische Schmerzen auf, die mich immer wieder aus dem Schlaf rissen.

Dann gab es Nächte, vor denen ich Angst hatte. Meistens waren es die, die nach dem unglaublich schmerzhaften Schub kamen. Meine Krankheit ließ mir gerade noch genug Luft zum Atmen, aber ansonsten musste ich auf einiges verzichten.

Na gut, eigentlich war es nicht die Krankheit, die mich von so vielen abhielt. Es war meine Mutter und auch meine Oma. Es fühlte sich kaum noch gut an mit ihnen über meine Gefühle zu sprechen.

Die Krankheit hat nicht nur mein Leben komplett auf den Kopf gestellt, auch meine Mutter musste anfangen vieles anders zu machen und meine Freunde nehmen jetzt nur noch Rücksicht auf mich. Langsam hatte ich das komische Gefühl, dass egal mit wem ich sprach, jeder versuchte vorsichtig zu sein und mir manchmal auch deswegen aus dem weg gingen.

Schnell trat ich von dem Spiegel weg und versuchte mich aus meinen Gedanken zu befreien. Ich ließ mich Rückwerts auf mein großes Bett fallen, während meine Hände sich über mein Gesicht legten und versuchten meine völlige Verzweiflung zu verstecken.

Ich atmete mehrmals laut ein und wieder aus. Die Sonne schien noch leicht über den Boden bevor sie hinter den Bergen verschwand und der Mond dem Dorf ein wenig Licht schenkte.

Ich setzte mich auf mein Bett und lehnte meinen Kopf gegen die Bettlehne. Dann griff ich nach einem kleinen Buch was auf meinem Nachttisch lag.

Dieses Buch war dunkel blau und hatte vorne und hinten viele kleine Sterne. Außerdem erhellten sie eine Reihe von Bergen die darunter abgebildet waren. Also so wie ich es gerade beobachten konnte, wenn ih durchs Fenster sah.

Vorne stand gar nichts drauf. Nur hinten war ein kleiner Spruch abgebildet.

Diesen las ich immer wieder. Immer wieder wenn ich dieses Buch in die Hand nahm, fiel mein Blick zu aller erst auf diesen Spruch.

In diesem Buch hatte ich alle meine Gedanken aufgeschrieben. All das was ich sonst niemanden erzählen konnte. Meistens ging es um meine Krankheit und um Dinge die in der Schule passierten.

Mein Vater hatte es mir geschenkt bevor er starb. Ich hab nie erfahren wie mein Vater gestorben ist, da ich da noch klein war, aber meine Mutter hat mir erzählt, das es in den Bergen ein Kreuz geben muss. Ich hielt ihn in guten Erinnerungen. 

Meine Krankheit ist schon weit voran geschritten, doch noch fühle ich mich gut. Gefühlt war ich im letzten Jahr öfter beim Arzt, als in der Schule. Doch als ich mich vor ein paar Monaten dazu entschieden hatte nicht mehr gegen den Krebs anzukämpfen, hatte ich mich gleichzeitig auch dazu entschieden wieder mein Leben zu leben, solange es noch geht. 

Plötzlich ging die Tür meines Zimmers auf und meine Mutter trat herein. Sie stellte ein Tablett mit einem Brötchen und einem Glas Wasser auf mein Schreibtisch ab.

"Hier bitte. Versuch etwas zu essen okay? Deine Tabletten habe ich auch mitgebracht." Sagte sie und drückte mir einen leichten Kuss auf meinen Haaransatz.

Ich nickte und lächelte ihr schwach entgegen.

"Klar. Danke Mama." Gab ich von mir. Sie lächelte und schloss die Tür hinter sich.

Ich glaube meine Mutter hatte noch mehr Angst davor, das ich sterbe als ich es mittlerweile habe.

Mittlerweile hatte ich mich an den Gedanken gewöhnt. Ich hatte mich damit abgefunden nur wollte das meine Mutter nicht wahr haben. 

Während ich so meine Gedanken nieder schrieb, fiel mir wieder ein Zettel ins Auge, der an meiner Pinnwand hing. Er war von meinem besten Freund, Paul. Er ist vor ein paar Monaten nach Deutschland gezogen. Und als ich ihm dann erzählt hatte, dass ich lieber sterbe anstatt weiter irgendwelche Chemos über mich ergehen zulassen, war er geschockt. 

Doch irgendwann konnte er, wie meine Mutter, meine Entscheidung nachvollziehen. Er ist der einzige mit dem ich wirklich offen über das Thema Sterben reden konnte. Er hörte mir immer zu ohne mich zu verurteilen. 

Irgendwann hatte er mich gefragt, was mein letzter Wunsch sei. Ich hatte ihn durch meinen Laptop angeguckt und konnte ihm keine Antwort geben. Das störte mich bis heute. Deshalb habe ich mir diese Frage aufgeschrieben und an die Pinnwand gehängt. 

Ich glaube jetzt weiss ich es aber. Die Antwort auf seine Frage. Mein letzter Wunsch ist es einmal, ein einziges mal zu dem Kreuz meines Vaters zu gehen. Ich weiss nicht wirklich wo es ist. Meine Mutter spricht nicht gerne darüber und meine Oma macht dann immer zu, wenn ich das Thema ansprach.  

Aber diesen einen Wunsch musste ich noch erfüllen. Ich möchte einfach sagen können, dass ich noch etwas geschafft habe. Auch weil ich es für meinen Vater tun will. Ihn einmal sehen möchte und bei ihm sein möchte.

Als ich meiner Mutter und meiner Oma davon erzählte, waren sie nicht so begeistert. Ich meine klar sie haben Angst, aber sie sollen mich nicht mehr so beschützen.

"Bitte Mama. Das ist wirklich wichtig für mich." Bettelte ich. Meine Oma sah es schließlich ein und wartete auf die Reaktion von meiner Mutter.

"Hannah, du musst deine Tochter verstehen. Lass sie doch gehen. Sie muss ja nicht alleine gehen. Ihr ist es wichtig und wir sollten das respektieren." Versuchte sie meine Mutter um zu stimmen. Aber meine Mutter war nicht so leicht vom Gegenteil zu überzeugen.

"Nein. Ich kann es respektieren, aber ich kann es auch nicht zu lassen. Nein bleibt nein." Sagte sie und ich konnte erkennen wie sie ein paar Tränen aus ihrem Gesicht wischen musste.

Wütend stand ich auf und lief in mein Zimmer.

Ich mache es trotzdem. Wenn nicht jetzt wann dann. Viel Zeit bleibt mir schließlich nicht. In der Küche hängt ein Bild von dem Kreuz. Dahinter erstreckten sich die Berge. Es sah so wunderschön aus. Meine Mutter hat immer gesagt, dass das Papa ist und hat mir dann das Bild gezeigt.  Das ist mein Anhaltspunkt. 

Hold Me Tight Until I Fly Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt