Der Korridor

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Meine Beine zitterten als ich ein Stück aus dem Raum trat um meine verlorene Waffe aufzugabeln. Magazin war noch halb voll, trotz dass ich so viel verballert hatte. Nachdem Scott es schließlich ebenfalls geschafft hat, sich von seinen vier Buchstaben zu erheben, so tat er es auch nur, um mich zu Begleiten. Es mag seltsam klingen, aber ich hätte es mir nicht anders erklären können, warum das der Typ sonst getan hätte. Nettigkeit? Bei ihm? Ich hatte diesen Gedanken bezweifelt, da kam er mir noch nicht einmal in den Sinn. Und auch wenn der Weg, den wir bereits zurückgelegt haben, auf nur einen kleinen Teelöffel passt, so war jeder Meter ohne Schutz ein Meter, wo wir mit einem Bein im Grab standen. Ich möchte gerne behaupten, dass ich mich mit dem Thema “Tod” und “Wenn ich sterbe, ist es halt so” auseinander und gar abgeschlossen hätte, aber dem war nicht so. Ich wollte nicht sterben, nicht ohne vorher mein Ziel erreicht zu haben. Welches Ziel? Hendrik und Josh in die sichere Zone zu bringen. Ob es diesen Ort gab? Wer wusste es schon. Denn alle die es bis dahin geschafft haben, sind nicht wieder freudestrahlend heraus gekommen und hat verlorene Gruppen aufgesucht. Schade, ich hätte gerne diese Worte: “Kommt mit, ich weiß wohin wir müssen” gehört. “Wo wolltet ihr euch treffen…?”, kam es plötzlich von Scotts Lippen hervor und ich beobachtete ihn nur. “Ob Speichel ansteckend ist? Mein Ärmel ist völlig….durchnässt.”, kam es hinterher, auch wenn er es mehr zu sich selbst gebrabbelt hat als sich mit den Worten an mich zu wenden. “Bei deinem Freund.”, kam es direkter raus, als es mir lieb war, “Im dritten Stock, soviel wie glaube zu wissen.”
Kaum als wir den Rückweg angetreten sind, kam mir der Korridor völlig fremd vor. Durch das Rennen ist mir nichts im Kopf geblieben. Weder, dass dieser Gang sich als größer und heller herausstellt, noch dass man hier den Anschein erwecken konnte, dass außerhalb dieses Gebäudes die Apokalypse lag. Keine Spur von Blut oder Untoten. Nur ein paar Regale lagen auf dem Boden, die wir beim Wegrennen umwarfen. Außerdem lagen Hülsen auf dem Boden, aber ansonsten? Zombies? Diese waren nur in Büchern, Filmen oder in Geschichten existent. Außerdem war er gar nicht so lang, wie ich es in Erinnerung hatte. Er war keine Kilometer lang, nicht so verzweigt und Aussichtslos. Und doch. Ich hatte die Orientierung völlig verloren, wusste nicht, wo wir hin mussten oder gar, wo Hendrik, Josh und der Dritte Stock waren. Wenn es überhaupt der dritte Stock war, wo wir hin mussten. Bei den Schritten die ich ging, knirscht es plötzlich unter meinen teuren Wanderstiefeln, die ich, ganz legal natürlich, im Laden während des Ausbruchs geklaut habe. Und was da eigentlich geknirscht hat war Glas. Im Ganzen war es mal ein Fluchtplan, ziemlich angebracht in einem solch riesigen Gebäude, was sich gute 10 Etagen in den Himmel erstreckt. Wir selbst sind nur auf der zweiten Etage, wunderlich, wie wir das überhaupt geschafft haben. Doch ich musste diesen noch nicht einmal aufheben um zu wissen, wo genau wir waren. “Da lang.”, sprach mein Finger, als er in die Richtung zeigte, in die wir mussten. Konnte gut sein, dass sich durch dieses Geräusch Zombies genähert haben, man musste sie nicht unnötig mit Worten und lauten Geräuschen füttern. Wie gewohnt hielt ich meine Magnum fest im Griff, fühlte mich wie ein FBI Agent, der sich einen schlimmen Verbrecher widmen wollte. Nun gut, so dramatisch musste man es auch nicht machen. Wir hielten nicht an jeder Wand an um die Ecken zu schielen oder bis Drei zu zählen, um die Situation spannend zu gestalten. Hätten wir aber gerade tun sollen. Denn just in dem Moment, in der wir uns die Ecke widmen und diese Hürde überwinden wollten, lief ich geradewegs in einen hinein. Meine Magnum war mit einem Klick entsichert, es reichte nur ein Finger Zucken und Hendrik wäre geradewegs gestorben. Und ich. Denn der alte Herr hatte ebenfalls seine Waffe gegen mich gerichtet und sah ziemlich blass im Gesicht drein. Blasser als ich war er zwar nicht, und dennoch. Als hätte er ein Geist gesehen, oder würde einem Monster gegenüber stehen. Scott hatte ebenfalls seine Waffe aus der Halterung gelöst und konnte noch im richtigen Moment verstummen. Er wollte zwar nicht schießen, aber seinen Schädel mit dem Endstück seines Gewehrs einschlagen. “Hendrik.”, hauchte mein Atem und meine Arme schlangen sich um seinen Körper, gleich wie seine es um meinen taten. Der Opa musste es genauso ergangen sein wie mir. Unwissend, was passiert wäre, wenn ihm oder mir, etwas zugestoßen wäre. Immerhin wusste ich, dass ich sowas wie seine Tochter war, wenn auch nur Ersatz. Ich hatte meine Augen geschlossen, genoss diese starken Arme die sich um meinen zaghaften Körper schlangen und dieser Duft. Ja es mag kein atemberaubend gutes Parfüm sein und dennoch war es ein vertrauter Geruch, der wahrlich Wunder in meinen Gedanken schafft. Doch Hendrik schien es nicht so zu sehen, wie ich. Er war nicht ruhig, war angespannt und voller tatendrang, Scott etwas anzutun. “Was hast du mit ihr gemacht?”, zischte es sofort hervor, und verdutzt löse ich mich aus seinen Armen und strafte seine Frage mit Blicken. Doch der Koreaner hatte es faustig hinter den Ohren, war nicht auf den Mund gefallen und antwortet schnippisch: “Etwas, wozu du sicherlich nicht in der Lage gewesen wärst…”.  Scott, sofern ich das einschätzen konnte, war niemand, der sich so einfach unterbuttern ließ, besonders von einem, der ihm gerade erst über den Weg gelaufen ist. Josh trat wieder zur Gruppe, er hatte in der Zeit, in dem Hendrik und ich unsere 2 Minuten genossen, Wache gehalten. Sein Blick schrieb Bände und die Zeit, dass wir gehen sollten, war angebrochen. Zumal wussten wir nicht, wo der Wendigo war. “Das klären wir später in Ruhe…”, warf ich in den Kampf der Blicke von Hendrik und Scott, “Lasst uns einfach seinen toten Freund holen und abhauen. Ich will nur noch hier weg.” Josh sah misstrauisch drein. Sein sonst so makelloses Gesicht war bedeckt mit Falten, wenn er so seine Stirn runzelt. Vielleicht fragte er sich gerade, warum wir den leblosen Körper mitnehmen sollten, sprach es aber nicht aus. Ich hatte Respekt vor den Toten, die wirklich tot waren. Und wenn es mich betreffen würde, hätte ich alles getan, um den leblosen Körper eines geliebten Menschen mitzunehmen. “Huh?”, ertönt Scott schließlich erneut, “ Denkst du, ich gehe mit euch? War ja ganz nett mit dir, … Aber ich denke hier trennen sich unsere Wege, Kleines.” Mit einer leichten Verbeugung verabschiedete sich dieser schwarzhaarige Junge von der Gruppe. Zumindest wollten sie es. Josh stellte sich wie ein Türsteher vor ihm, eingekesselt von Hendrik. Sie würden ihn jetzt nicht gehen lassen, ganz bestimmt nicht. “Wie, du willst nicht mit uns kommen?”, ein belustigendes Schnaufen kam aus meiner Richtung, im gleichen Moment, wie sich kurz das Weiß meiner Augen vollständig zeigt. “Auch wenn du vielleicht asiatisch bist und ein gutes Auge für weite Entfernungen hast, wirst du alleine schon ganz schnell als Futter dienen.” Hörte mir der Typ eigentlich zu? Meine Worte schienen wie kleine Partikel durch sein Gehör zu fallen, wie Sand durch Sieb. Anfangs war meine Stimme ruhig, im leichten Flüsterton. Meine Stimme gehörte mir. Doch wie lange war das der Fall? Je mehr ich sprach, desto mehr verlor ich meine Kontrolle, wurde lauter und meine Stimme klang gebrochen. Wieso? Weil ich eine solche Diskussion, schon einmal geführt habe: “Du hast es noch nicht einmal geschafft, deinen Freund zu retten, wie willst du dich also selbst beschützen? Wo wirst du schon alleine die Ruhe finden um dich auszuruhen? Wo wirst du Essen und Trinken her bekommen, ohne dabei selbst als welches zu enden? Du brauchst nur einmal deinen Rücken kehren und einen an deinem Hals haben. Einen falschen Schritt setzen und alle zu dir locken. Das was du vorhast, ist nichts als Selbstmord! Also scheiss doch einfach mal auf dein Ego!” Meine Zähne verankerten sich in meiner unteren Lippe. Shit, war ich zu laut? Wahrscheinlich denkt er sowas wie “Wer würde hier als Fressen enden? Ich? Bestimmt nicht.” Doch aber meine Worte, welche seinen toten Freund betrafen, schlugen ihn wie Fäuste. Der Blick senkte sich und einen Moment hatte ich Mitleid mit ihm. Seit dem Tod von Taylor war ich streng geworden, nicht mehr darauf achtend, dass Andere ebenfalls Gefühle haben könnten, die man verletzen konnte. Selbst in der Apokalypse nahm man auf so etwas Rücksicht. Oder anders, genau in der Apokalypse war es notwendig, aufeinander Acht zu geben. “Ich war sehr wohl in der Lage ihn zu beschützen, ok? Du weißt nicht was vorgefallen ist, also, wer bist du, dass du so über mich urteilen darfst, verdammt?!?!” Er war laut, zu laut. Anfang war es noch ein Murmeln, aber nun schienen seine gesamten Gefühle aufkochen. Trauer, Wut und besonders dieser Hass auf sich selbst. Alles verlief in einem Strudel aus Emotionen aus dem es schier kein Entkommen gab. Schluchzend atmet er auf, die kleinen Tränchen in seinen Augen wurden mit dem Ärmel beseitigt. “Außerdem, was interessiert es dich, was mit mir passiert? Du nennst mich egoistisch, aber sind wir das nicht alle? Ihr baut doch auch nur aufeinander auf, weil ihr wisst, dass de Chance so zu Überleben höher ist, doch letzten Endes geht es Euch dabei doch nur um eigenes Leben. so ist das. So sind die Menschen. Je früher du es einsiehst, umso besser. Und jetzt lasst mich gehen. “ Er rempelt Josh an der Schulter, trat den Korridor entlang und war wieder gefangen. Ich musste den Beiden noch nicht einmal sagen, dass sie Scott aufhalten sollte. Sie taten es von selbst, weil sie es genauso sahen wie ich. Ich ging auf Scott zu, zwischen ihm und mir war kaum mehr Platz für eine weitere Person. “Ja, vielleicht bin ich auch nur eine dumme Göre, die auf die Hilfe von Anderen angewiesen ist. Wir alle sind auf die Hilfe von Anderen angewiesen. Natürlich, ich habe kein Recht über dich und dein Leben zu urteilen… Aber weißt du was? Spoiler Alarm: Wenn du so weitermachst wie bisher, stehen deine Chancen gleich Null! Es interessiert mich einen Scheiss wer du bist, woher du kommst oder was dir widerfahren ist. Vielleicht wird es mich auch immer einen Scheiss interessieren. Doch ich lasse es nicht zu, jemanden seinen eigenen Tod zu überlassen. Nicht ohne es vorher versucht zu haben, diese Person zu überzeugen oder zu beschützen.” Erneut trat ich einen Schritt auf ihn zu, er trat automatisch einen nach hinten und meine Stimme wurde einmal in Sarkasmus getränkt. Ich wollte es nicht einmal, aber aus irgendeinem Grund, wusste ich, dass dieser Junge nicht gebändigt werden kann. Nicht ohne seine innere Seite erreicht zu haben. “Ach was. Los geh. Komm schon, geh raus in die weite Welt und schaufel dir dein eigenes Grab. Am Besten baust du gleich zwei Kreuze, eins für deinen Freund und eins für dich. Legt euch doch gleich nebeneinander und lass sein Tod umsonst gewesen sein. Schau doch mal unten im Keller nach! Da haben die sicherlich noch Schaufeln, die du benutzen kannst.”
Ich spürte ein Stechen in meiner Brust. Verdammt taten mir meine eigenen Worte selbst weh, doch das sollte nicht das Einzige bleiben, was mir schmerzen soll. Mit einem Mal drückt sich etwas in meinen Hals, die schwarze Jacke die ich trug. Scott griff mir an den Kragen, drückte ihn eng zu und erschwerte mir das Atmen. Man konnte auch seinen Schmerz erkennen, in den Händen die sich in das Leder hinein bohrten. Schmerz und Wut, Wut auf mich und meine gesprochenen Worte. Doch mein Blick blieb gleichgültig, sah ihm ins Gesicht, in seine braunen Augen und versuchte nicht zu emotional zu werden. Der Junge musste das Hören, was Fakt war. Man konnte ihn nicht verhätscheln. Vielleicht aber nur, waren es auch nur Worte, die ich von mir auf Andere schob. Wörter, die ich mir selbst niemals eingestehen würde. Ich sah aus den Augenwinkeln, wie Hendrik drauf und dran war, dem Jungen ein Stück Blei in den Kopf zu jagen. Doch mit aller Ruhe, hielt ich eine Hand nach oben, brach ihn von seinem Vorhaben ab, aber die Position behielt er weiterhin gleich. Wie erwartet, ließ die Antwort von Scott nicht lange warten: “Ich habe keine Lust noch einmal Verantwortung zu übernehmen. Weder für einen Opa, für einen Schwarzen noch ein schwaches Mädchen wie dich, hörst du?! Ich kann das nicht noch einmal!” Grob ließ er von mir ab, schubst mich damit ein wenig nach Hinten, doch meine Balance hielt mich fest auf den Beinen. “Wieso hab ich dich nicht einfach sterben lassen? Ich bin so dämlich.” Kopfschüttelnd drehte er mir den Rücken zu und jetzt war ich diejenige, die von seinen Worten schlucken musste. Doch anmerken? Das ließ ich mir nicht. Ich zupfte meine Jacke zurecht, fädelte mir meine Haare aus dem Kleidungsstück hervor und drehte ebenfalls auf meinen Absatz kehrt. “Wir gehen.”, brachte schließlich meine Stimme hervor, gerichtet an Josh und Hendrik. Doch noch zögerte mein Körper, bewahrt mich davor, ganz und gar den Jungen alleine sterben zu lassen. “Übrigens…”, fing ich erneut an, hatte aber nicht vor, noch einmal den Jungen zu überzeugen, sich uns anzuschließen, “Wir haben unser Quartier auf der Randalls Iland Urban Farm, südlich der Route 278. Nur wenn du deine Meinung ändern solltest.” Pures Entsetzen war auf Joshs Blick zu sehen. Wir haben unsere Base stets vertraulich behandelt, keiner durfte das Wissen. Und jetzt? Jetzt plaudere ich alles mit einmal aus dem Nähkästchen, als wäre es das normalste dieser Welt. Doch es war mir, mal wieder, ziemlich egal gewesen. Ich lief vornweg, automatisch folgten Hendrik und Josh, traten an meine Seite und gemeinsam wurden wir von den Treppen des Korridors verschluckt.

Der Tod in New York Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt