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„Ich verabschiede mich nochmal von allen und dann können wir gehen."

Ich nickte es ab. Er solle sich Zeit lassen, dachte ich mir. Sie alle brauchen es, sie brauchten ihn.

Eine weitere Stunde verging, in der ich sie alle weinen hörte, wie sie Jonghyun baten noch etwas länger zu bleiben, nur solange bis sie wieder auf beiden Beinen stehen konnte, doch er konnte nicht.
So sollte es einfach nicht sein.

Ich kam wieder ins Haus als sich meine Beine taub von der Kälte anfühlten.
Kibum kam auf mich zu und reichte mir seine Hand. Als ich zu ihm aufsah war sein Gesicht feucht von Tränen und ganz angeschwollen, doch er lächelte glücklich.
„Was wären wir nur ohne dich." krächzte er während ich seine Hand schüttelte. Mir ging es nah was er da sagte, denn ich fühlte mich doch so, als wäre alles besser ohne mich.
Taeyong wäre jetzt nicht da wo er ist, sondern besser aufgehoben, gesund.

Ich schüttelte den Kopf.
„Was wären wir ohne ihn?" ich deutete auf Jonghyun der gerade in den Armen seiner weinenden Mutter lag und angefleht wurde zu bleiben, nebenbei klammerte sich auch seine Schwester an im fest und schluchzte ihm in die Schulter.
Der Rest von Shinee stand daneben, mit gefalteten Händen und lächelte bei dem Bild.
„Ohne dich wäre er nicht hier." meinte Kibum und klopfte mir auf die Schulter.
„Er hätte einen Weg gefunden. Auch ohne mich. Er findet immer einen Weg." erwiderte ich und grinste leicht, zufrieden mit dem was ich sagte.

Jinki gesellte sich zu uns, eine unbeschwerte Miene lag auf seinem Gesicht.
„Wir sind dir was schuldig." sagte er und umarmte mich aus dem nichts. Ich klammerte mich an seiner Jacke, denn eine Umarmung war es, die ich gerade so dringend brauchte.
Noch viel mehr brauchte ich Taeyong an meiner Seite. Ich vermisste ihn.

...

Als wir das Haus verließen wanken sie uns mit Tränen in den Augen hinter her.
Sowohl Familie Kim als auch Shinee bedankten sich nochmal herzlich für meine Hilfe, auch wenn es sich so anfühlte, als hatte ich keine große Leistung gegeben.
„Nicht so negativ." meckerte Jonghyun und schnipste mir gegen die Stirn. Ich fand mich wieder in der Realität und starrte meinen gegenüber etwas perplex an.
„Wir sind gleich wieder bei ihm." fügte er hinzu und nahm meine Hand fest in seine.
Wir kamen an der Bushaltestelle an und warteten zirka 20 Minuten auf den nächsten Bus, der zum Krankenhaus fuhr.

Auf der Fahrt lächelte Jonghyun und sang leise vor sich hin, soweit ich mich erkundigt hatte war es der Debut-song von Shinee 'Replay'.
Ich fand mich in der Melodie ein und sang mit ihm mit. Er sah mich begeistert an und sag lauter.
Bis wir ankamen, sangen wir beide fröhlich weiter und ließen uns seine Laune nicht verderben, wenn auch ich ein schlechtes Gefühl im Magen hatte.

Auf den Fluren herrschte Totenstille, obwohl es erst 15:46 Uhr war und alles auf Hochtouren laufen sollte. Jonghyun und ich sahen uns fragend an, doch dachten an nichts weiter.
Ärzte und Schwestern kreuzten uns dann doch mal den Weg und nickten uns freundlich zu.

In Taeyongs Zimmer war alles beim Alten, kein Grund zur Sorge war da. Die Werte waren gleich und sein Gesicht hatte wieder etwas Farbe angenommen.
Erleichtert nahm ich seine Hand in meine und sah beruhigt zu Jonghyun. „Alles ist gut."
„Alles ist gut." wiederholte er sanft und starrte wieder aus dem Fenster.
„Ich gehe mal davon aus, dass er bis zum Abend aufwacht und dann wird es wieder Zeit für mich zu verschwinden."

Mein Kopf senkte sich bei seinen Worten. Einerseits war ich so unglaublich erleichtert, dass ich vor Freude hätte weinen können, aber andererseits, war mir klar, dass ich ihn damit nie wieder sah.
Ich lief auf Jonghyun zu, umarmte ihn und weinte leise vor mich hin. Er sollte wirklich noch hier bleiben, er gehörte noch hier her. Seine Zeit sollte nicht um sein. Nicht jetzt schon.

...
Und dann vergingen die Stunden.
Es war mittlerweile schon 19:00 Uhr und es tat sich immernoch nichts. Der Arzt kam zuletzt vor zwei Stunden und sagte, nichts hätte sich geändert woraufhin Jonghyun verwirrt neben mir stand.
Seither wurde er immer stiller und begann zu grübeln. Ich dachte mir nichts dabei, drehte mich zu meinem besten Freund und strich ihm über die Wange.

Sie war so eiskalt.
Vor Schock zuckte ich weg und schrie kurz auf.
Jonghyun stapfte auf mich zu und sah mich entgeistert an. „Was ist los?" fragte er und blieb genauso versteinert wie ich stehen, als wir sahen, wie die Farbe aus Taeyongs Gesicht lief.
Mit jeder Sekunde, die verging wurde Taeyong blasser und blasser.
Seine vor noch einigen Minuten knall roten Lippen waren jetzt lila unterlaufen, sowie seine Augenränder. Er zuckte ein wenig im Gesicht, doch seine Augen blieben zu.

„E-Er wacht jetzt auf, richtig?"
„Er kommt wieder zu mir, richtig Jonghyun?"

Doch nichts kam von dem Engel. Seine Augen waren grau, wieder mit toter Leere gefüllt.
Ich bleib ahnungslos.

Als ich nach Taeyongs Hand griff, war sie wie aus Stein und so unglaublich kalt. Es waren Anzeichen, die mir den Atem aus der Lunge zogen, die mich in den Tod rissen.
Doch am schlimmsten war es, zu sehen wie die Werte allesamt zur gleichen Zeit auf null fielen, wie sein Herzschlag stoppte, wie die Lebenslinie so unrealistisch gerade war, dass es mir vorkam wie in einem Alptraum.
Das Dauer-piepen des Gerätes hörte sich so an als wolle es noch ein letztes mal auf wiedersehen sagen, bevor die Tür aufgeschlagen wurde und ein Dutzend Ärzte das Bett umzingelten.

Ich wurde völlig missachtet, während sie einen Defibrillator mit sich brachten und Taeyongs Shirt zerissen um an seine Brust zu kommen.
Sie redeten so viel und so durcheinander, ich hörte nur wie sie immer wieder dieses Gerät aufladen und es anwendeten. Mein bester Freund zuckte wie verrückt nach oben, während seine Miene unverändert bliebt. So tot.
Einer von diesen Ärzten versuchte es noch mit einer Herzmassage und schlug ihm noch ein letztes mal auf die Mitte von Taeyongs Brust, bevor er seine Maske abzog.
„Wir haben ihn verloren." sagte er mit gekränkter Stimme, bevor er als erster das Zimmer verließ.

Eine Welt brach für mich zusammen, meine Welt.
Mein Taeyong, mein wunderschöner Taeyong.
Wohin würdest du jetzt nur gehen?

Ich war wie gelähmt als ich auf Dauerschleife schrie und weinte und in Taeyongs leeres Gesicht starrte. „Komm zurück!" schrie ich und ballte meine Fäuste.
„Lass mich nicht allein!
„Ich brauche dich!"
„Ich liebe dich!"

Ich brach vor den Ärzten und Taeyong und Jonghyun zusammen.
Sie erlaubten mir, sich von ihm zu verabschieden und ließen mich mit meinem toten besten Freund alleine. Jonghyun stand hinten, weit hinter mir und er fühlte sich Schuldig, weil er wusste, er hatte sein Versprechen nicht einhalten können. Er konnte nichts dafür, es war nicht sein Fehler.
Es war meiner.

Ich sah Taeyong nicht an, nicht als ich weinte und nicht als ich mir selbst Vorwürfe für sein sterben machte. Ich sah ihn nicht an als ich mir vorstellte, wie er niemals seine Schule beenden konnte, niemals den Job seiner Träume bekommt, niemals heiraten würde. Keine Liebe seines Lebens und keine kleinen Babys.
Der Tod hat ihm alles genommen. Der Tod hat mir Taeyong aus den Händen gerissen.

Egal was gerade in dieser Welt vor sich ging. Es war mir egal. Alles, Alles egal.
Ich schaltete ab. Mein Kopf war leer und mein Herz kaputt. Alles fühlte sich im Moment so an, als würde ich selber sterben.
Ich hatte schmerzen, die so unbeschreiblich waren, dass ich dachte ich drehte durch. Das waren keine physische Schmerzen. Es war der Verlust des einzigen Menschen den ich brauchte.
Ich hatte Taeyong verloren und mein Blut war so kalt wie seins.

Ich griff noch ein letztes Mal nach seiner Hand und bildete mir für eine Sekunde ein, er würde es auch tun. Doch es war nur Einbildung. Tot, er war tot.

„Auf Wiedersehen, Taeyong."
Eine letzte Träne verließ mein Auge.
„Ich liebe dich."

Diphylleia Grayi // KIM JONGHYUN Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt