Kapitel 9

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„Anna!", hörte ich sie verwundert laut ausrufen, als die Tür geöffnet wurde. Weiter sagte sie nichts, schien sprachlos zu sein. Ich musste zugeben, ich hätte selber nie gedacht jemals freiwillig vor ihrer Tür zu stehen, um sie um Hilfe zu bitten.

„Katie...", murmelte Heather korrigierend leise vor sich hin und verdrehte die Augen. Zum Glück so leise, dass nur ich es hören konnte und ihr meinen Ellenbogen daraufhin leicht in die Seite stieß, meinen Blick jedoch nicht von der alten Frau vor meinen Augen wegnehmen konnte.

„Hey!", gab ich leise von mir und winkte mit meiner rechten Hand kurz und knapp. Was völlig unnötig gewesen war, doch mein Körper reagierte automatisch. Mein Kopf war wie leer gefegt. Die Worte die ich auf dem Weg hier her sorgfältig ausgewählt hatte, die Sätze die ich immer und immer wieder durchgekaut hatte, die ich ihr vorlegen wollte, waren wie verblasst. Als hätten meine Gehirnzellen diese verschluckt.

„Was machst du denn hier? Du solltest doch im Krankenhaus sein. Ist irgendetwas passiert? Wurdest du entlassen? Aber wieso kommst du erst um diese Uhrzeit her? Wieso hast du nichts gesagt, damit wir dich hätten abholen können?", schossen so viele Worte aus ihrem Mund. Sie schien ehrlich verwundert, was ich ihr nicht übel nehmen konnte. Ihr Blick wanderte meinen Körper auf und ab, als wolle sie abchecken, ob auch alles mit mir in Ordnung war, bis er auf meine rechte Seite wanderte und dort hängen blieb.
„Was macht die denn hier?", fuhr sie nun fort mit einem Blick dessen Verwunderung mit Verachtung abgetan wurde.

„Wir können auch gleich wieder gehen, wenn du wieder damit anfängst. Wenn sie nicht wäre, wäre ich niemals hier her gekommen, damit dir das klar ist. Es war nämlich nicht meine erste Wahl vor deiner Tür zu stehen. Also? Willst du uns rein lassen oder nicht? Ich habe da nämlich einige Fragen an dich.", sprach ich verärgert meine Gedanke aus und sie entsprachen der Wahrheit. Wenn ich nicht auf sie angewiesen wäre, um diese Angelegenheit zu klären, wäre ich niemals hier angetanzt wie ein Hündchen.

Nach nur kurzem überlegen öffnete sie die Tür weit und trat mit einem nicken zu Seite, was uns signalisierte einzutreten.

Als ich vorsichtig einen Schritt ins Innere wagte, schossen meine Blicke in jede Richtung. Die Größe, die Details der Einrichtung des Flurs, ließen mich annehmen, dass die restlichen Räumlichkeiten bloß noch mehr zu bieten haben mussten. Es war unglaublich. So etwas hatte ich nicht erwartet. Was wiederum sinnlos ist. Ein Haus, dass von außen bereits so viel her machte, hätte nicht spärlich, schlicht und bodenständig eingerichtet sein können.

Dennoch überwältigten mich die Eindrücke. Hier soll ich gelebt haben? Das war Wahnsinn. Die riesigen Gemälde die mit gewissen Abständen aneinander gereiht an den Wänden hingen, wirkten alt und teuer. Und dieser Kronleuchter erst. Tausende Kristalle schmückten diese und ließen alles im Raum noch mehr glitzern in goldenen Tönen.

„Wow!", hörte ich Heather neben mir, die ebenfalls neben mir zum stehen gekommen war und ziemlich beeindruckt schien.

„Lasst uns ins Wohnzimmer gehen. Da können wir in Ruhe reden.", ergriff meine Mutter erneu das Wort im vorbei gehen, die die Haustür bereits geschlossen hatte.

Heather und ich warfen uns gegenseitig stumme Blicke zu, während wir der Frau folgten und in diese vor einer Tor ähnlichen Tür aus Holz zustehen kam und diese aufstieß.
Sie führte uns zu der Sitzgruppe. Wo wir uns niederließen. Etwas schüchterte mich das ganze schon ein, doch ich ließ es mir nicht anmerken.
Der edle Stoff des Sofas unter mir schmiegte sich geschmeidig an meinen Körper und fühlte sich weich an wie eine Wolke, als ich meine Hand sanft über sie gleiten ließ. Das war wohl der pure Luxus, wovon die Leute sprachen. Ich wollte mir nicht einmal ausmalen, wie viel es gekostet haben musste. Davon hätten einige Normalverdiener wahrscheinlich so einige Monatsmieten vorstrecken können. Mein Blick blieb an den langen Jaquard Vorhängen hängen, die in dunklen Brauntönen gehalten war, was perfekt zu dem Königsblau der Sitzgruppe passte. So groß der Raum war, so wenig Möbel befanden sich in ihr. Nur das nötigste was jedoch teurer gewesen sein musste als die Gesamteinrichtung einer normalen Wohnung. Es war so gesehen schlicht eingerichtet, wenn schlicht hier überhaupt ein gerechter Ausdruck wäre. Die wenigen dunklen Holz Kommoden reihten sich an der Wand mir gegenüber, worauf einige Fotos in edlen, goldfarbenen, Rahmen  aufgestellt waren, die ich aus der Ferne nicht erkennen konnte. Nicht besonders große abstrakte Statuen standen an jeweils beiden Enden. Sie sahen aus, wie zwei Personen, die ineinander verschlungen und sich um jeweils den anderen schlagen, wobei über ihren Köpfen, die ganze dich aneinander lagen und sich an der Stirn berührten, die Hände berührten. Eine sanfte Berührung, so als würden sie sich trotz ineinander verschlungener Körper an der kleinen Berührung ihrer Hände verbrennen. Wobei bei der Statue am anderen Ende die verschlungenen Körper damit kämpfen, sich voneinander zu lösen. Die eine Figur hatte ihren Rücken elegant nach hinten gewunden, und ließ sich, wie es aussah, an den Händen zurück halten, sich komplett von ihrem Gegenstück zu entfernen.Ich konnte nicht genau erkennen, aus welchem Material diese Statuen bestanden, doch sie sahen wunderschön aus. Ich stellte mir vor, wie ich in einem Raum saß und Tonklötze zurecht schnitt und sie mit feuchten Händen, sanft in Form brachte und glättete. Irgendwie lösten diese Figuren ein Gefühl der Geborgenheit in mir aus und ließen mich das leichte kitzeln auf der Haut meiner Hand Innenfläche spüren, als würde ich gerade daran sitzen alle meine Gefühle in die Herstellung dieser Figuren stecken.
„Möchtet ihr etwas trinken?", durchbrach Mutter die Stille und lenkte meine Aufmerksamkeit auf sie, dessen Blick meinem wohl gefolgt haben musste, denn sie starrte ebenfalls in die selbe Richtung wie ich zuvor ebenfalls getan hatte. Sie hatte dunkle Ringe unter ihren Augen, die umrandet waren von tiefen Falten. Zum ersten Mal hatte ich so etwas wie Mitleid mit ihr. Auch wenn sie eine harte Frau zu sein schien, schienen die Dinge auch an ihr nicht spurlos vorbei gegangen zu sein. Der Versuch die Ringe unter ihren Augen weg zu schminken war ihr zwar gelungen, doch ich sah sie dennoch. Es tat mir irgendwie weh sie so zu sehen und es tat mir auch irgendwie leid, dass ich sie zuvor im Krankenhauszimmer so angegangen zu haben, obwohl sie es verdient hatte. Doch fühlte es sich so an, als wenn wir zwei auch vor dem Verlust meiner Erinnerung Schwierigkeiten gehabt zu haben, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich mit ihrer strengen Art und ihrer Abneigung gegenüber Menschen, die nicht das nötige Taschengeld aufzuweisen hatten, klar gekommen zu sein und es ließ mich umso mehr nicht los, ob ich denn die selbe Einstellung teilte oder ob ich mich klar von ihrer Art distanziert hatte.

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