Splitter

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Der Geruch, der mir jetzt in diese Nase steigt erinnert mich an ein Moor. Oder Keller. Es riecht schimmelig und muffig. Zwei Stunden sind schon vergangen. Das zeigt zum mindestens der kleine Wecker an meinem Bett. Mir ist kalt. Aber irgendwie auch heiß. Mein Magen glüht. Geht das überhaupt?
Ich schlucke die Angst herunter und wage mich das erste Mal aufzustehen. Schleichend gehe ich auf die Holzkommode zu, die gegenüber von dem Bett steht.  Auf ihr liegt ein Obstkorb, mit einer schrumpeligen braunen Banane und ein kleiner Fernseher. Ich wische den Staub vom Bildschirm. Draußen höre ich ein leises, aber gut hörbares Flüstern. "Meine Fresse, du machst doch jetzt nicht schwach oder?" Eindeutig die Stimme von dem Blonden. "Schwach machen? Man wir sind einfach noch nicht so weit. Ich werde niemanden umbringen." Ich ziehe meine Augenbrauen ängstlich zusammen. Sie wollen mich also wirklich ermorden. Aber für was? Ich habe nichts zu verbergen, habe keine Schulden, noch nie Kontakt zu Drogen gehabt und habe keine Feinde. Und meine Eltern? Die sind nicht stinkreich. "Kasi wie oft noch, wir bringen sie nicht um. Erst einmal nicht. Wir brauchen sie." Wofür verdammte scheiße? Ich reibe meine schwitzigen Hände an meiner Jeans, die voller Staub und Dreck beschmiert ist, ab. "Wofür brauchen wir sie?" Einer der Beiden schlägt voller Kraft gegen die Tür, so das ich erschrocken zusammenzucke. "Das werden wir euch früh genug sagen. Ich muss erst Mal mit Nico darüber sprechen. Du bleibst so lange hier." Ein genervtes Stöhnen. Dann nichts mehr. Ich setze mich zurück auf das altmodische Holzbett und lege mein Kopf in meine Hände. Warum? Warum musste so eine Scheiße mir passieren? Plötzlich geht die Tür langsam auf. Ein Junge mit pechschwarzen Haaren tritt hinein. Er sieht aus, wie ein liebes kleines Lämmchen. Ein Lämmchen, das niemand etwas antun kann. "Hi.", begrüßt er mich zurückhaltend. Seine dunkelen Augen funkeln ängstlich. Sieht so etwa mein künftiger Mörder aus? "Hallo.", erwidere ich leise, ohne den Blick von der Holzkommode abzuwenden. In meinem Kopf spielt sich meine triste Beerdigung ab, bei der meine Mutter eine langweilige und monotone Rede hält und verwelkte Blumen in mein Grab gestreut werden. "Ähh, also ich soll dich, ähm, also nein du musst jetzt aufstehen." Langsam erhebe ich meinen Kopf. In seiner rechten Hand hält er eine Waffe. Er zitter ganz leicht. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass er niemals schießen würde. Außer aus Angst, vor diesem kranken Anführer. Ich stehe langsam auf. Er rammt seine Waffe in meinen Bauch hinein. "Schneller!" Der Ton in seiner Stimme hebt sich. Er will stark und zielsicher rüberkommen. Der Raum dreht sich. Übelkeit steigt in mir auf und ich spüre, wie mir der Cheeseburger hochkommt. Ich krümme mich und drehe meinen Kopf zur Wand hin. Es fühlt sich so an, als ob ich meine Seele auskotzen würde. Während ich weiterhin meinen leeren Magen ausbreche, höre ich ein angewidertes Würgen. Als ich langsam wieder klar denken kann und mir das Erbrochene vom Mund wische, zieht er mich aus dem Zimmer heraus. Verwirrt und immer noch flau im Magen, sehe ich mich um. Kein Hotel. Keine Jugendherberge. Kein Hostel. Ich habe absolut keinen blassen Schimmer, wo wir sind. Also macht es keinen Sinn weiterhin die Starke zu spielen, die versucht irgendeinen Hinweis zu erhaschen, um lebend wieder rauszukommen. Ich stolpere eine kurze Holztreppe unvorsichtig hinunter. Als der ziemlich unscheinbare Typ die Tür aufreißt und mich nach draußen schubst, kommt mir seid gefühlten drei Wochen endlich wieder frische Luft entgegen. Ich rieche den Geruch von frisch gemähter Wiese, Auto Abgasen und Chlor. Eine ziemlich komische Mischung. Doch über den überaus merkwürdigen Geruch kann ich nicht sonderlich lange nachdenken, da ich in der nächsten Sekunde von zwei anderen starken Händen in ein dunkles Auto gezogen werde. Eine Millisekunde später wird alles weitere um mich herum dunkel. Ich habe einen Sack, oder irgendein anderen hellbraunen Stoff Fetzen über mich drüber gestülpt bekommen. Er riecht nach Essig. Auch wenn ich es stark versuche, ich kann mir einfach die Würger nicht unterdrücken. "Sie sollte nicht sehen wo wir sind.", ertönt eine heisere Stimme. Ist er das? "Ich weiß.", gibt der andere kleinlaut zurück. "Sie ist komisch. Die schaut immer, wie so ein Reh. Ich konnte das nicht." Ich verkneife mir ein Lächeln. Das ist nicht das erste Mal, dass mich jemand mit ein Reh vergleicht. Ich stutze. Ist das überhaupt ein Kompliment? Wohl eher nicht. Rehe sind scheu, ein wenig dumm und ziemlich naiv. Andererseits auch süß und liebevoll. "Das ist doch scheiß egal!" Die Stimme neben mir wird lauter. "Man, ich hab kein Bock, das wir wegen so einer auffliegen." Ahh ja. Hört sich nicht gerade professionell an. "Hä.", ertönt es von vorne. Eine dritte Person? "Sie wird doch eh nicht mehr rauskommen. Wir killen die." Ein Lachen. Von mir nur ein bitteres Schlucken. "Wir killen die nicht, du Spacki. Wir brauchen die Süße. Irgendwie macht die mich an." Ohh Gott die wissen aber schon, dass ich sie höre und nicht bewusstlos bin. Wünschen würde ich es mir. Dann müsste ich wenigstens nicht diesen widerlichen Smalltalk zwischen pubertierenden Entführern nicht mitbekommen. "Alter bist du krank." Lautes Gelächter. Grunzen, wie das von großen, fetten Schweinen. Wie gerne würde ich in ihre Gesichter spucken und auf ihre Gentitalien herumschlagen. Ja das würde ich wirklich gerne! "Was? Die ist hübsch. Und ich glaube mit frischen Klamotten gut zu gebrauchen." Bitte, bitte lieber Gott lass mich doch in Ohnmacht fallen. Oder noch besser: Hier rauskommen und friedlich in meinem Bett liegen. Bitte! Doch dann spüre ich, wie der Wagen anhält und vermutlich einparkt. "Man ist das ne Bude. Alter!" Jemand pfeift durch die Zähne. Eine Hand auf meiner Schulter. Sie ist warm und ziemlich weich. Mein Magen dreht sich einmal um. Mir wird wieder schlecht. "Muss kotzen. ", nuschele ich leise. "Was hast du gesagt?" Definitiv seine Stimme, mit dem gleichen leichten Kratzen, wie in dem Café. "Ich muss kotzen.", wiederhole ich lauter. Ein lautes Geräusch. Vermutlich das Aufgehen einer Tür. "Wehe, die versaut mir die Karre!" Wieder ein lautes Geräusch. Dieses mal ein wenig näher. Dann ein leichtes schubsen, das mir wahrscheinlich signalisieren soll aufzustehen. Langsam taste ich mich raus. Als meine Füße auf dem weichen Boden Halt finden, spüre ich wieder meinen Magen. Ich reiße mir den Stoff von meinem Kopf und beuge mich vor, um zu brechen. Doch mehr als ein paar Galle Tropfen kommen nicht raus. Ich fahre mir übers Gesicht. "Geht's?" Langsam und ziemlich Vorsicht drehe ich mich um. Erst jetzt fallen mir seine ziemlich markanten  Wangenknochen auf. Er trägt über seinen kurzen Haaren eine Kapuze. Immer noch fragend schaut er mir in die Augen. Ich nicke. Auch er nickt und, wenn ich nicht wüsste das er einer der Entführer ist, würde ich fast meinen, dass er mich anlächelt. 

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