Es ist sechs Uhr morgens. Mit einem behutsamen,"Du musst jetzt aufstehen.", hat mich Nico aus meinem unruhigen Schlaf geweckt. Alle anderen waren schon unten gewesen. Sie haben über irgendetwas lautstark diskutiert. Als ich dann unten war haben sie sofort aufgehört. Nun ist die Anspannung, in dem hellen Wohnzimmer, kaum auszuhalten. Während ich versuche mein Himbeer Marmeladen Brötchen zu essen, entsteht die ganze Zeit auf meinen Armen eine breite Gänsehaut. Sie sehen alle ziemlich fertig aus.
Müde, erschöpft und lustlos. Die Sache von gestern hat die Atmosphäre zwischen der gesamten Gang sichtlich angekratzt. Der blondhaarige Lockenkopf und Anführer starrt gehemmt auf seinen leeren Teller, bis er sich dazu entschließt zu seinem vierten Körnerbrötchen zu greifen. Ein leises Grunzen von dem Dürren. "Was? Ich brauche Vitamine?", schnauzt der Anführer seinen Kumpel an. "Vitamine in einem Nutella Brötchen?" Daraufhin zuckt er mit den Schultern, streicht die Schokocreme auf sein Brot und beißt genüßlich hinein. "Wer bleibt jetzt bei ihr?", fragt Radieschen stirnrunzelnd. Keiner reagiert. "Alter kann mir mal jemand antworten? Ich hab es echt satt immer ignoriert zu werden." Ein genervtes ausatmen meines Sitznachbarn. "Man Louis geh uns nicht auf den Sack mit deinem gestörten Selbstwertgefühl." Louis. Unpassender Name. "Ich kann hier bleiben. Habe eh keinen Bock auf diese reichen Leute. Und einen Kater hab ich auch!", antwortet Kasi. Sie nicken zufrieden. "Gut. Wer noch?"
"Was ist mit dir Nico?"
"Nö ganz bestimmt nicht."
"Warum? Du und Jonas sind immer bei den Aktionen dabei!", erwidert Louis, alias Radieschen.
"Könnte vielleicht daran liegen, dass wir das alles aufgebaut haben, du dummer Spacko!", erwidert Jonas, der Anführer. Louis steht aggressiv und mit einem kräftigen Schwung auf und stellt sich breitbeinig hin. "Na und? Es ist nicht fair, dass nur Kasi, Basti oder ich die Drecksarbeit machen!"
"Drecksarbeit? Ihr verkriecht euch in Luxushäusern und passt auf die Geiseln auf. Was ist daran schwer, verdammte scheiße?" Gelangweilt betrachte ich meine Finger. Ich benötige unbedingt eine Nagelpfeile. Im gleichen Augenblick fällt mir eine Geschichte ein, die mir Nicki mal erzählt hat. Eine Frau wurde in den 80er Jahren von einem älteren Mann entführt, der eine Vorliebe für lange Finger- umd Fußnägel hatte. So erlaubte er ihr, die ganzen zwei Jahre der Gefangenschaft, nicht die Nägel zu schneiden. Ob diese Geschichte der Wahrheit entspricht weiß ich nicht wirklich, dennoch kommt mir bei dem Gedanken die Kotze hoch und hoffe mal das meine Entführer keinen ähnlichen Fetisch haben.
Anscheinend haben die Jungs sich wieder eingekriegt. Sie schütteln sich, warum auch immer, grinsend die Hände und sehen zu mir. "Du hast uns für ganze vier Stunden jetzt für dich alleine. Und ich erlaube dir absolut alles!" Verschmitzt lächelnd fährt sich Radieschen mit der Zunge über seine Lippen. Die anderen lächeln. "Mach ihr nicht wieder unnötige Angst.", befehlt Nico ihm. Dann verschwinden sie, der dürre Basti, der Anführer Jonas und, der Junge in Schwarz, Nico nach oben.
"Und was sollen wir machen?", fragt Louis. Kasi zuckt mit den Schultern. "Pennen.", schlägt er vor. "Miteinander?", lacht der andere Witzbold schäbig. Kasi schüttelt fremdschämend den Kopf. "Im Ernst. Dreier sind gerade total angesagt. Hast du Élite gesehen?" Zugegeben, ich muss schmunzeln und nicke. "Ja habe ich. Aber die Darsteller waren ein ganz anderes Niveau, als ihr beide. Sorry!", grinse ich. Erschüttert reißt Radieschen sein Mund auf. "Ich bin mindestens genau so attraktiv, wie Christian." Mein Grinsen verschwindet immer noch nicht. "Ganz sicherlich nicht. Er ist unschlagbar. Sein Lächeln, seine Augen, seine gesamte Ausstrahlung."
"Du stehst also auf spanische Machos, die jedes Mädchen flachlegen wollen und auch auf ein Dreier eingehen. Plus das sie mit Typen ebenfalls rumlutschen?" Ich zucke mit den Achseln. "Naja aber eigentlich besteht dann zwischen dir und diesem Christian kein wirklicher Unterschied.", stellt Kasi fest. Ich lache. Wo er Recht hat! Beleidigt schränkt Radieschen die Arme. Ich stütze mich auf dem Glastisch ab und betrachte, immer noch grinsend die weiße Fläche. "So ihr Süßen wir lassen euch dann mal alleine.", ruft der Dürre uns winkend zu. Alle drei haben sich große Rucksäcke umgeschnürt und laufen zur Tür. "In ca vier Stunden werden wir wieder da sein. Ich sende dir alle Daten Kasi!" Der Reh Junge nickt dem Anführer zu und wünscht allen viel Glück. Zu gerne würde ich wissen, was sie vorhaben. Oder lieber doch nicht? Bevor die Tür mit einem lauten Knall zufällt, hält Nico noch einmal zu uns den Kopf hinein und sagt: "Pass auf dich auf." Dann geht er. Was soll das? Warum sagt er das? Er hat mich doch mit seinen Kumpels entführt. Die anderen scheinen meinen verwirrten Blick analysiert zu haben. "Nico ist immer so ein bisschen merkwürdig. Brauchst dir keine Gedanken drüber machen!", beruhigt mich Kasi.
Ich nicke. Louis, das Radieschen spielt mit der Waffe herum, die ich gerade erst realisiere. Er seufzt. "Mir ist jetzt schon langweilig!"
"Du hast echt ADHS.", sagt der Reh Junge kopfschüttelnd.
"Und wenn schon. Ich hab Bock auf Action. Hast du ne Idee?" Der Rotschopf sieht mich fragend an. Ich kneife belustigt meine Augen zusammen.
"Kann es sein das ich eure erste Geisel bin? Ihr benehmt echt überhaupt nicht wie richtige Entführer."
"Wie benehmen wir uns denn?", fragt Kasi.
"Wie als würdet ihr wollen, dass ich mich mit euch anfreunde. Ich meine normalerweise hat man doch Angst oder Respekt vor den Entführer. Abe ihr seid so, so scheißen unprofessionell."
Sie lachen beide und schauen sich geheimnisvoll schmunzelnd an.
"Vielleicht unterschätzt du uns auch ein wenig. Die größten Gefahren sind doch die, die eigentlich harmlos wirken, nicht wahr?", schmunzelt Radieschen und bringt mich kurz zum verunsichern. Dann zieht er sein hellblaues T-Shirt hoch, betrachtet seinen weißen Bauchnabel und pullt etwas in ihm hinein. "Ich glaube ich habe Poppel in meinem Nabel."
Schockiert starre ich auf die schwarz-grünen Körner, die sich auf seinen Finger versammeln. Und schon fällt die Intelligenz, die er gerade gezeigt hat, wie eine Fleichwurstpelle ab. "Manchmal frage ich mich wirklich, ob sich dein Gehirn auch nur annähernd entwickelt hat.", sagt Kasi. Ich schüttele grinsend den Kopf.
"Kann ich mir nicht vorstellen.", antworte ich leise und fasse mir an die Stirn.
"Sollen wir in den Pool?", lenkt Radieschen vom Thema ab und zeigt auf das wunscherschöne Gewässer, was sich bis in den Garten streckt. Kasi nickt.
"Super. Dann komm Luna wir ziehen dir etwas schickes an." Ich stehe von meinem Stuhl auf. "Ja das mit dem wir kannst du sofort vergessen, mein Lieber."
"So langsam gefällst du mir.", erwidert er lächelnd, während wir die Treppe hinauf gehen. Ich schleiche in den ersten Raum der zweiten Etage, während Louis und Kasi nach oben gehen. "Bikini oder Badeanzug?", flüstere ich leise mit mir selber und beiße mir auf die Lippe. Welche Menschen auch immer hier wohnen mögen, sie haben verdammte viel Klamotten Auswahl. Neben vielen weißen, ziemlich knappen, aber wundervollen Bikinis, entdecke ich einen schwarzen Badeanzug. Er ist mit schwarzen Rüschen Borden verzieht und ist in der Mitte transparent. Er gefällt mir sofort. Nicht zu viel Haut zeigen. Perfekt. Ich will ihn gerade anziehen, als mir dann der Einfall kommt, dass er eigentlich von einer ganz anderen Besitzerin vermutlich häufig getragen wird, was mir irgendwie ein wenig unhygienisch vorkommt. Ich überlege.
Dann gehe ich nochmal aus den Raum hinaus, der Badeanzug über meine Schul
der geschmissen und laufe in das Badezimmer, dass ich mir am ersten
Tag selbst aufgesucht habe. Ich krame unbeholfen in den Schubladen eines weißen Badezimmer Schrankes herum. Hygienespray. Ich sprühe es in einer guten Entfernung auf den Schritt des Kleidungsstückes und suche weiter. "Perfekt.", lächele ich und schnalze befriedigend mit meiner Zunge. Ich greife zu den Slipeinlagen und nehme mir eine davon. Behutsam klebe ich sie in den Schritt und grinse zufrieden. Dann schließe ich die Tür des Zimmers ab, schlüpfe hinein und sehe in den Spiegel. Die Slipeinlage ist überhaupt nicht zu sehen. Ich atme zufrieden aus und streiche den schwarzen, wirklich richtig schönen Badeanzug glatt und gehe dann wieder nach unten. Eigentlich ist es schon ein wenig bescheuert. Ich meine, ich schlafe in einem fremden Bett, koche in einer fremden Küche, esse fremdes Essen einfach auf und weiß noch nicht einmal wer hier überhaupt wohnt. Naja ich bin eine Geisel und kann nicht wirklich irgendetwas dagegen tun. Geisel ist auch ein unpassendes Wort. Unfreiwillige Haushaltshilfe? "Na endlich. Warum hast du so lange gebraucht?", fragt mich Radieschen, der sich schon in dem Pool befindet und mit seinen Augen rollt. Ich lächele. "Wir brauchen halt immer etwas länger als ihr." Er nickt und drückt mit einem starken Ruck Kasi in das Wasser. Ich schleiche zu dem Pool und gehe langsam die Treppe hinunter. Es tut gut. Das Wasser ist angenehm warm. Vielleicht so 24 Grad. Ich tauche unter. Der Schmutz von meiner Haut nimmt langsam ab, was unfassbar schön ist. So gut wie es geht halte ich die Luft an und öffne meine Augen. Das dumpfe Rauschen. Das blaue. Die Tiefe. Ich liebe Tauchen. Das Wasser. Schwimmen. Früher bin ich häufig in unser Stadtbad gegangen. Früher? Vor nur einer Woche war ich das letzte Mal schwimmen. Und dann rede ich schon von früher?
Ich ringe nach Sauerstoff und tauche wieder auf. Laut atmend, paddel ich zu den Beiden. "Und du kannst wirklich schon schwimmen? Hast du nicht gerade erst dein Seepferdchen gemacht?", frage ich Radieschen, während ich mich am Beckenrand festkralle. "Sehr lustig!" Er taucht unter. "Ich vermute, dass er irgendeine Behinderung hat. Nimm ihn nicht so Ernst!", flüstert Kasi mir zu. Ich schmunzel. "Keine Sorge, dass mach ich bei keinem von euch." Auch er muss grinsen. "Hast du eigentlich Angst?" Ich runzel meine Stirn und sehe ihm in seine brauen, fast schwarzen Augen. "Vor euch? Ne.", antworte ich belustigt. Er sieht nachdenklich auf die Oberfläche des Chlor Wassers. "Warum nicht? Ich meine wir hätten dich theoretisch umbringen können."
"Ja. Aber auch nur theoretisch." Ich lächle ihn an, während das kleine Radieschen am Ende des Beckens klatscht und sich in seiner eigenen Welt befindet.
"Naja", zögere ich, " im ersten Moment, also als ihr in meiner Wohnung wart, dachte ich, dass ich sterben würde. Dieses Gefühl kann ich glaube ich nie vergessen. Also ja, zu dieser Zeit hatte ich Angst." Er sieht mich mit einem ernsten und mitleidenen Blick an.
"Aber dann habt ihr echt bewiesen, dass ihr totale Idioten seid!", sage ich und blicke wieder zum planschendem Louis herüber. "Wir wollen dir nicht weh tun."
"Sondern? Was habt ihr vor?", frage ich ihn. Er seufzt und beißt sich auf die Lippe.
"Man das kann ich dir nicht sagen." Er zögert. "Das darf ich dir nicht sagen."
"Warum? Kasi ihr seid keine schlechten Menschen. Aber das alles ist doch alles illegal." Ich lehne mich zu ihm herüber und drehe mich zu ihm. "Bitte sag mir was ihr vorhabt!" Er schüttelt den Kopf. "Hör zu die bringen mich um, wenn ich dir auch nur irgendetwas sage. Du bist unsere Geisel. Wir benutzen dich doch nur!"
"Man aber ihr habt doch einen Plan. Warum habt ihr mich entführt? Was habe ich mit dieser scheiß Sache zu tun? Bitte sag mir warum ihr ausgerechnet mich entführt habt!" Er schluckt. Stille. Zwischen uns beiden. Nur das Gelächter von Radieschen. Er hat wohl richtig Spaß daran. Plötzlich, nach mindestens fünf Minuten Schweigen, räuspert er sich.
"Also gut. Du musst mir versprechen, dass du das so gut es geht verheimlichst und den anderen nicht zeigst, dass du es schon weißt, okay?" Ich nicke aufgeregt. "Wenn sie es herausbekommen, bringen die uns beide um. Das haben sie schon einmal gemacht." Ich erstarre. Nicke aber trotzdem. Nochmal ein schweres ausatmen von Kasi. "Du, Luna bist der Kern unseres Plans. Alles war geplant. Von den Begegnungen mit Nico, bis hin zur falschen Packetabgabe. Alles. Denn dein Vater ist nicht der, für den du ihn hälst."
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Du bist Mein
Teen FictionLuna, ein neunzehnjähriger Nerd und Medizinstudentin. Lieb, süß, unbeholfen. Doch dann kam er. Ein Junge, dem sie immer wieder begegnet, der sie beobachtet und jeden Tag nur schwarz gekleidet ist. Sie findet ihn interessant, anziehend und will m...