Es ist Nacht, dunkel und leise, doch in meinem Kopf schwirren die Gedanken umher. Noch nie war ich so verwirrt und konnte meine Gefühle nicht einordnen. Der Vorfall und wie ich mich gefühlt habe, lassen mich seit Tagen nicht los. Die Erinnerung an ihre Nähe lässt mich ganz nervös werden. Ob das gut oder schlecht ist, kann ich nicht sagen; ob ich trotzdem wieder hin will - ich schätze schon.
Aber wieso? Wieso bin ich nicht verängstigt? Verstört, dass mir jemand, der mich eigentlich gar nicht kennt, so nahe kommt, mich in eine Situation bringt, aus der ich mich kaum herauswinden kann?
Trotzdem gefällt mir der Gedanke an ein Wiedersehen und so falle ich in einen wohligen Schlaf."Andreaaa?" Meine beste Freundin versucht heute schon das zweite Mal, mich aus meinen Tagträumen zu reißen. Mal wieder bleibe ich in Gedanken immer und immer wieder an dieser einen Person hängen, die seit Tagen meine Gedanken beherrscht. Nichts kann mich ablenken, nichts kann mich von ihr losreißen. Und noch immer weiß ich nichts mit dieser Gefühlslage anzufangen.
Es ist so schwierig. Es ist unmöglich. Wir kennen uns kaum, kennen unsere Namen, wissen wie wir aussehen. Dass sie verdammt gut aussieht, versuche ich gar nicht erst abzustreiten. Sie ist mit Abstand die schönste Frau, der ich jemals begegnet bin. Und dennoch, was will ich jetzt mit diesen Gedanken?
Sie ist viel älter als ich, einige Jahre. Viel erfahrener, erwachsener, überhaupt erwachsen, im Gegensatz zu mir. Ich bin minderjährig, eine Schülerin, habe kaum Lebenserfahrung oder Erfahrung in Sachen Liebe, da ich mich bisher mit so etwas einfach noch kaum beschäftigt habe. Dennoch kann ich nicht abstreiten, dass unsere Nähe etwas hatte, was mir sehr gut gefiel. Doch sollte ich, darf ich so denken?
"Was hast Du denn?", fragt Ashley
"Naja, ich...", fange ich an, doch ich finde keine Worte.
"Oh mein Gott."
Jetzt erschrecke ich. Ashley sieht mich total erstaunt an, hält sich eine Hand vor den Mund und blickt mich einige Sekunden mit aufgerissenen Augen an. "Es geht um diese eine? Du denkst die ganze Zeit an sie?"
Verdammt, wieso muss meine beste Freundin mich auch so gut durchschauen? Es ist ja schon so schlimm genug, dass ich nicht mit der Situation klar komme. Hoffentlich kann sie mir diesmal helfen.
"Ich schätze, schon...", meine ich nur. " Jap, ich denke an sie. Ziemlich oft. Eigentlich ständig." Jetzt ist es raus. Und ich bin mal wieder unendlich dankbar, sie zu haben, da ich ihr immer alles sagen kann, ohne dass sie mich verurteilt oder sich irgendwas dabei denkt. Sie akzeptiert es und mich einfach so, wie es passiert, und das ist jedes Mal aufs Neue ein wunderbares Gefühl.
"Du weißt genau, was das heißt, Andrea."
Ich blicke auf, starre ihr in die Augen und merke, wie ich mich langsam verängstigt fühle.
"Tu ich das?"
"Oh, ja. Das wissen wir beide." Plötzlich tritt ein Lächeln auf ihr Gesicht und sie beginnt zu kichern. "Andrea ist verliebt, Andrea ist verliebt!"
"Ashley, hör auf, Dich so kindisch aufzuführen!" Boah, das konnte doch jetzt wohl kaum ihr Ernst sein, oder? Statt ihres Gesanges könnte sie mir lieber mal nen Ratschlag geben!
"Jaja, Du willst es nicht einsehen. Aber das wirst Du noch. Spätestens bei eurem nächsten Treffen. Denn so wie es aussieht, hat das mit euch so schnell kein Ende." Mit verschmitztem Lächeln sieht sie mich an und ich verdrehe nur die Augen.
Natürlich tue ich das nur, weil ich weiß, dass sie recht hat. Schließlich hat Olivia es ja schon angekündigt. Sie hat etwas gefunden, womit sie mich ärgern kann, mich beunruhigen kann. Sie hat gemerkt, wie viel Einfluss das auf mich hat.
Ohje.
Erst jetzt wird mir meine Lage bewusst. Ich bin ihr sozusagen ausgeliefert. Und auch, wenn das extrem doof klingt... Gefällt mir der Gedanke, dass sie so etwas wiederholen will.
Doch nein. Ich darf mir das nicht wünschen. Was, wenn sie nur blufft? Wenn sie einfach nur ihren Spaß mit mir treibt?
Was ist, wenn ich für sie wie eine Art Spielzeug bin?
Dann wäre sie wohl doch nicht so erwachsen, wie ich dachte.
Aber etwas Ernsthaftes kann dahinter kaum stecken. Als ob. Sowas brauche ich mir wohl wirklich nicht zu erhoffen, das ist völliger Schwachsinn. Sie hat bestimmt einen Haufen Verehrer und gerade einfach die Schnauze voll von Jungs oder so. Oder ich bin ihr Versuchsobjekt. Oder sonst was. Es gibt tausend Theorien, irgendeine wird schon stimmen. Aber keine, die so etwas wie Gefühle beinhaltet, kann die richtige sein. Und das weiß ich.
Sei vernünftig, Andrea, und rede Dir keinen Scheiß ein.
Du hast zu tun. Schule, Ashley, der Umzug. Konzentrier Dich auf das, was wirklich zählt, und nicht auf ein Märchen in Deinem Kopf.
Doch natürlich soll mir das nicht gelingen.
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Proc(l)(i)(v)ity
AléatoireAls die sechzehnjährige Andrea das erste Mal in die neue WG ihrer Schwester kommt, um sie besuchen, ahnt sie noch nicht, dass die Wohnung nicht das sein wird, was sie so wohl fühlen lässt. Stattdessen versteht sie sich super mit einer der Mitbewohne...