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In dem Moment, als ich die grüßende Stimme Olivias höre, überkommt mich eine Art Freudengefühl. Endlich jemand zum Reden da, wenn meine Schwester es schon nicht wirklich tut und meine Eltern ja sowieso nicht.
"Bin wieder daa! Oh hey!" Beim Betreten der Küche entdeckt sie uns und es scheint sie immer noch nicht zu stören, dass ständig meine Familie hier herumhockt.
Aus Reflex stehe ich auf, als sie die Tüten abstellt, um ihr zu helfen. Das hinterfragt nicht mal jemand, und als nach einer Stunde die anderen Mitbewohnerinnen irgendwohin raus gehen, begeben sich meine drei Familienmitglieder ins Wohnzimmer, während Olivia und ich in der Küche bleiben.
"Auch wieder hier?", meint sie dann zu mir.
"Ne, also eigentlich bin ich nur 'ne Einbildung...", entgegne ich ironisch und sie lacht leise.
"Ziemlich schöne Einbildung.", meint sie und ich spüre nur noch, wie ich erröte.
Was hat sie da gerade gesagt? Hat sie mich als schön bezeichnet? Darauf kann ich nicht mal was antworten, ich bin zu perplex.
"Erde an Andrea? Ich muss da vorbei." Ups, ich hab schon wieder länger nachgedacht und nicht bemerkt, dass ich grade nichts tue.
Die Situation ist komisch und ich beeile mich mit dem Einräumen, um sie zu beenden. Im Moment bin ich einfach zu verwirrt, um hier weiter mit ihr rumzustehen, weshalb ich vorschlage, zu den anderen zu gehen. Da tut sie etwas völlig Unerwartetes.
Sie kommt mir ganz nahe und sieht mir in die Augen, bis sie flüstert "willst Du etwa flüchten? So schnell kommst Du mir nicht davon!". Nach einem Grinsen tritt sie weg, verlässt den Raum und lässt mich völlig neben der Spur in der Küche stehen.
Was war das?
Und wieso bin ich jetzt noch nervös davon? Sogar eine Gänsehaut habe ich auf den Armen.
Ich muss mich wieder fangen. Das war... komisch, aber sollte mich nicht beeindrucken. Oder ich stelle sie zur Rede. Aber irgendwie will ich es einfach vergessen und so tun, als wäre nichts gewesen.
Als ich nun der jungen Frau hinterher ins Wohnzimmer gehe, beachte ich sie gar nicht und setze mich ans andere Ende der Couch. Meine Familie ist dabei, einen Actionfilm anzusehen, wie mir auffällt, und ich konzentriere mich völlig auf den Bildschirm. Trotzdem fällt mir der auf mich gerichtete Seitenblick von Olivia sehr wohl auf, aber ich ignoriere es.
Ich will einfach nur noch nach Hause und in Ruhe darüber nachdenken, was da heute passiert ist.

"Boah, das is krass, aber hä?"
Ashley versteht genau so viel wie ich. Obwohl ich sie nach Rat frage, hat sie leider keinen parat, und so bin ich mit meinen Gedanken über Olivia doch wieder alleine.
Um ehrlich zu sein, hat mich die Nähe von ihr nicht gestört. Nur verstehe ich nicht, was das sollte, und ich habe beschlossen, sie doch noch zur Rede zu stellen. Bis dahin muss ich allerdings noch einige Tage warten und in dieser Zeit breitet sich so etwas wie Nervosität in mir aus.
An einem Samstagnachmittag wollen meine Eltern wieder hin und ich überlege schon den ganzen Vormittag, was ich bloß anziehen soll. Das eine ist zu kitschig, das andere zu rot, das wiederum andere zu freizügig, auf dies und das habe ich keine Lust und da ist die Auswahl nicht mehr groß.
Nach langem hin und her Überlegen entscheide ich mich für ein rotes oversized T-Shirt und eine helle lange Hose und betrachte mich im Spiegel.
Die Hübscheste bin ich nicht, aber ich mag an sich meine Haare und meine Gesichtszüge. Ob ich Olivia so gefalle?
Halt stopp. Nein, so fange ich gleich gar nicht an. Ich sehe aus wie immer und um mehr geht es nicht.
"Andrea, langsam können wir schon mal losfahren." Moms Stimme dringt durch meine Zimmertür und ich richte noch einmal meine Haare zurecht, bevor ich aus dem Zimmer marschiere.

Puh, noch eine viertel Stunde, dann werde ich sie wiedersehen. Ich weiß noch nicht, wie ich es anstellen soll, wahrscheinlich werde ich alles einfach improvisieren. Ach, was soll's, das wird schon, und vielleicht ist sie ja gar nicht da und ich kann es noch aufschieben.

Oder halt eben doch nicht.

"Du willst wissen, was das war? Aber ich hab doch gar nichts gemacht!" Schmunzelnd sieht mich Olivia an, als wir zu zweit in ihrem und dem Zimmer eines der anderen Mädchen sind. Meine Eltern denken, wir chillen einfach nur und haben kein Problem damit, dass ich mit Olivia alleine rumhänge.

Kurze Zeit ist Stille. Sie blickt auf mich herab, die ich da auf dem Bett liege und langsam, gaaanz langsam, wird mir seeehr unwohl bei der ganzen Sache.

Und das zurecht.

Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, steigt die junge Frau mit zu mir aufs Bett und ehe ich mir's versehen habe, hat sie sich über mich gebeugt und sitzt sozusagen auf mir.

Scheiße.

Meine Gedanken sind wirr, zu einer Reaktion kann ich nicht ansetzen. Ihr Gesicht kommt dem meinen ganz nah und ihr Atem streift meine Wangen und Nase.

"Vielleicht bin ich dir einfach gern nah?"

Ihre Worte verschaffen mir Gänsehaut und ich bekomme keine Möglichkeit, irgendetwas zu antworten, da die ganze Szene- ob glücklicherweise bin ich mir noch nicht sicher- von meiner Mutter unterbrochen wird, die ruft, dass wir wieder zurück fahren müssen.

Mieser Moment.

"Hm, dann eben das nächste Mal."
Was, das nächste Mal? Ich bin verwirrt und die junge Frau lässt von mir ab und verhält sich so, als wäre nichts gewesen.

Proc(l)(i)(v)ityWo Geschichten leben. Entdecke jetzt