"Andrea! Komm doch mal und hilf deiner Schwester!"
"Mhheew", gebe ich grummelnd von mir und erhebe mich demotiviert von der Couch.
Es ist verdammt noch mal Samstagnachmittag und ich will einfach nur chillen und genießen, dass ich nicht früh aufstehen musste.
Dazu komme ich jedoch nicht, da meine große Schwester vor einer Woche ausgezogen ist und es noch einiges zu tun gibt. Wieso muss eigentlich ich dabei helfen und irgendeine Scheiße einladen? Und ja, ich bin angenervt. Wer wäre das nicht, wenn er mit der Person, für die er etwas tun musste, die letzten Jahre nicht mal viel zu tun hatte, außer im selben Haus zu wohnen.
Also schlürfe ich raus in den Hausgang und ziehe meine Schuhe an, um irgendwelche kleinen Kisten mit undefinierbarem Inhalt ins Auto meiner Mutter einzuladen.
"Kannst ja auch mitfahren, wenn Du schon mal da bist, hm?", bietet meine Mutter mir an, doch ich habe kein Interesse, beim Einrichten einer halbfertigen Wohnung zu helfen. Also sage ich nein. "Aber vielleicht nächstes Mal, jetzt gehe ich erst mal wieder zurück ins Bett. Kreislauf und so."
Auf den kritischen Blick meiner Mutter achte ich gar nicht und pilgere zurück an meinen Lieblingsort.Sis: Andi, Mum und Dad kommen am Samstag her, die Wohnung ist zum Großteil fertig, komm doch mit.
Als ich einige Tage später diese Nachricht meiner Schwester lese, verdrehe ich anfangs die Augen. Allerdings muss ihr wirklich viel daran liegen, dass ich vorbeischaue, sonst würde sie mich nicht extra anschreiben. Also, was soll's, 'n paar Stunden dort zu sein werd ich schon mal überleben. Und solange sie mich nicht einfach mit ihren mir fremden Mitbewohnerinnen alleine lässt, sodass ich mich irgendwie ins soziale Leben einfügen müsste, wird es schon klar gehen.
Als der Tag dann kommt, schäle ich mich aus meinen Chill-Klamotten und kleide mich alltagstauglich. Meine langen, hellbraunen, welligen Haare binde ich zu einem lockeren Pferdeschwanz und trage ein bisschen Maskara auf. Ok, passt. Ohne Motivation, aber dennoch ein wenig gespannt auf die Wohnung, setze ich mich ins Auto und höre ein wenig Musik, um Gesprächen mit meinen Eltern aus dem Weg zu gehen.
Gedankenversunken starre ich aus dem Fenster und nehme die Musik nur unterbewusst wahr.
Time stood still
The way it did before
It's like I'm sleepwalking
Fell into another hole I got."Andrea? Andrea! Wir sind da." Mit diesen Worten reißt Mom mich aus meiner Trance und überrascht blicke ich aus dem Fenster auf der anderen Seite des Autos, um die Wohnung zu erblicken, statt die Straße noch länger anzustarren.
Das, was ich da sehe, nennt sich vermutlich ein Mehrfamilienhaus in hellblau. Besonders begeistert bin ich von diesem Anblick nicht, doch das ist ja nicht die Wohnung selbst. Anstatt länger zu spekulieren, wie diese aussehen wird, steige ich aus und marschiere mit meinen Eltern auf das eindeutig viel zu hell gestrichene Gebäude zu. Zu meinem Bedauern muss man einige Treppen steigen, um an die Haustür der WG mit dem verhältnismäßig großen Klingelschild zu gelangen, und als meine Schwester nach einer halben Minute die Tür öffnet, wünsche ich mir auch schon, ich wäre nicht mitgefahren."
Muum! Daad! Andi! Kommt doch rein!" Meine Schwester lächelt uns breit an und ich kann ihre Freude überhaupt nicht nachvollziehen, da sie doch eigentlich so schnell wie möglich von unserem alten Zuhause weggewollt hatte und unsere Familie ein großer Aspekt dessen war.
Auch ihre Mitbewohnerinnen sind wohl nicht so begeistert von Besuch, denn aus irgend einem der sechs Räume grummelt eine helle Stimme "Ist das etwa deine Familie?". Trotzdem bittet Saskia uns mit einer Handbewegung herein und führt uns kurz durch die Wohnung.
Insgesamt ist es schlicht, aber doch stilvoll eingerichtet. Die Einrichtung ist zum Großteil in normal hellem braun gehalten, die Wände sind in Orange- oder Rottönen gestrichen. Ich muss zugeben, dass mir das Gesamtbild durchaus zusagt.
Die WG besteht aus zwei Schlafräumen mit jeweils zwei Betten und mit jeweiligem Badezimmer, einer etwas kleiner gehaltenen Küche, die sehr vollgestopft wirkt, und einem geräumigen Wohnzimmer, das bisher nur mit einer großen Couch und einem Fernsehschrank gefüllt ist- und momentan ist diese Couch beladen mit zwei am Smartphone hängenden jungen Damen.
"Hi", winken sie aus dem Zimmer, als sie mich und meine Eltern sehen und fügen an Saskia gewandt noch hinzu "Olivia is' grad im Netto einkaufen, neh.". Als ich die zwei ansehe, merke ich wieder, wie ich lesbisch bin, da ich sie sofort etwas genauer betrachte und mir mein Urteil über sie fälle (was in diesem Fall kein Interesse lautet).In meinem Leben habe ich mich nie wirklich für Jungs und deren Körperlichkeiten interessiert. Das andere Geschlecht ist für mich nur etwas für freundschaftliche Beziehungen. Allerdings hab ich auch noch nie eine feste Freundin gehabt. Trotzdem bin ich felsenfest davon überzeugt, lesbisch zu sein, da sich meine Gefühlswelt einfach schon immer so verhalten hat.
Die Mädchen haben an mir scheinbar genauso wenig Interesse, also natürlich auf andere Weise, da sie keine Anstalten machen, irgendwie mit mir oder meinen beiden Elternteilen ein Gespräch aufzubauen, was aber auch keinen weiter zu stören schien. Also begibt sich meine Familie in die Küche und trinkt ein wenig Maschinenkaffee und unterhält sich über all die Dinge, die noch gemacht werden müssen. Klar, dass ich mich da langweile, da ich nicht im Geringsten mitreden kann und so sitze ich völlig reglos rum und nuckle an meinem Kaffee.
Bis sie die Wohnung betritt.
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Proc(l)(i)(v)ity
RandomAls die sechzehnjährige Andrea das erste Mal in die neue WG ihrer Schwester kommt, um sie besuchen, ahnt sie noch nicht, dass die Wohnung nicht das sein wird, was sie so wohl fühlen lässt. Stattdessen versteht sie sich super mit einer der Mitbewohne...