4 - Lisa

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Die Katzen halten keinen für eloquent, der nicht miauen kann.

Marie von Ebner-Eschenbach

Lisa versuchte, die folgenden Tage ihrem Nachbarn aus dem Weg zu gehen

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Lisa versuchte, die folgenden Tage ihrem Nachbarn aus dem Weg zu gehen. Er schien ein relativ unstetes Leben zu führen und folgte keinem festen Zeitplan. Mal sah sie ihn joggen, dann mit seiner großen Sporttasche das Haus verlassen. Viel Besuch bekam er nicht, wobei sie ihn natürlich auch nur flüchtig beobachtete. Natürlich.

Dazwischen ging sie ihrem eigenen Rhythmus nach. Vor den Spätdiensten und nach den Frühdiensten ging sie selbst laufen und nutzte die freien Stunden um die Nachtdienste herum für Hausarbeit und Einkaufen. Ihre Vermeidungstaktik ging etwa zwei Wochen gut, bis sie fulminant scheiterte.

Es war wohl kurz nach 21 Uhr, als sie nach einem anstrengenden Dienst nach Hause kam. Sie war während einer Personensuche in ein Gewitter geraten und hatte jedes Fitzelchen Talent und Erfahrung benötigt, um ihren Hubschrauber Libelle 12, sicher am Flughafen Hannover zu landen. Nach solchen Tagen fühlte sie sich ausgelaugt, am Ende ihrer Kräfte und sie war mehr als dankbar, am Ende der Sackgasse endlich ihre kleine Doppelhaushälfte zu entdecken. Es nieselte und Lisa hörte beim Aussteigen das klägliche Maunzen einer Katze. Sie folgte dem Geräusch auf die andere Straßenseite und entdeckte nach kurzem Suchen Moses im Baum einer Kastanie. „Na, da hast du dich ja ordentlich in die Klemme gebracht, mein Schöner."

Der Kater krallte sich nur an seinem Ast fest und blickte jämmerlich auf sie herunter. Kurz überlegte Lisa, ob sie bei Darrer klingeln sollte, entschied sich jedoch dagegen. „Ist schon gut, Kleiner, ich rette dich!"

Beherzt sprang Lisa an den untersten Ast und zog sich langsam hoch. Gerade als sie Moses erreichte, sah sie ein Motorrad in die Straße einbiegen. Langsam knatterte es weiter und blieb vor ihrem Häuschen stehen. Sie atmete genervt aus. Offenbar ein neuer Bewunderer. Der Mann parkte seine Maschine und nahm den Helm ab.

Darunter kam ein dünner Pferdeschwanz in Sicht. Entschuldigend blickte Lisa zu dem Kater, der sie irritiert anstarrte. Geduld schien nicht seine Stärke zu sein. Wenigstens hatte er aufgehört zu maunzen. Im Elend vereint. Mit einer Katze. Wie wunderbar.

Der Mann kratzte sich am Ohr und drehte sein Gesicht so, dass sie es im Licht der Laterne genauer in Augenschein nehmen konnte. Er hatte einen Bart und schien deutlich älter zu sein, vielleicht Mitte vierzig. Sein Gesicht war rau und wild. Zwar nicht uninteressant, aber auch nicht wirklich anziehend. Das Motorrad war da schon eindrucksvoller. Nicht dass sie sich viel daraus machte, aber viele ihrer Kollegen taten es und fuhren mit ihren Maschinen zur Arbeit. So kannte sie sich notgedrungen etwas aus. Es schien eine echte Harley zu sein. Super, ihre Großmutter schickte ihr einen Rocker.

Sie drückte den Kopf gegen den rauen Ast. Die Kastanie hatte ihre Blätter größtenteils verloren, aber sie rechnete auch diesmal nicht damit, dass jemand nach oben schauen würde. Diesmal gab es glücklicherweise keine Fenster, die Häuser befanden sich auf der anderen Seite des Gehweges und in Darrers Haushälfte war es dunkel. Unschlüssig betrachtete der Rocker ihr Haus, den Vorgarten und ihren alten Renault. Dann schaute er die Straße hinab. Sie folgte seinem Blick und sah Darrer in Laufsachen in ihre Richtung joggen. Seine Schritte waren langsam und gemütlich. Dieser Mann hatte wirklich ein unfehlbares Gefühl für schlechtes Timing.

Lisa nutze den unbeobachteten Moment aus, um ihn einmal ausgiebig anzustarren. Seine Anwesenheit wirkte auf sie wie Katzenminze auf eine Katze, und sie hasste es. Er kam immer näher und als er den Motorradfahrer vor ihrer Tür wahrnahm, stoppte er ab. Leider direkt unter ihrem Baum. Der Rocker hatte zwischenzeitlich wohl die Entscheidung getroffen, dass er nicht in die Vorstadtidylle passte und startete seine Maschine.

Mit lautem Dröhnen verließ er die Straße und nickte Darrer beim Vorbeifahren stoisch zu. Lisa hielt die Luft an. Doch entgegen ihrer pessimistischen Erwartungen passierte nichts. Leider auch unter ihr. Anstatt endlich in sein Haus zu gehen, begann dieser unmögliche Mann tatsächlich vor ihrem Baum Dehnübungen zu machen. Moses, vom lauten Geräusch des Motorrads irritiert, warf Lisa einen arroganten Blick zu, der in Katzensprache wohl auszudrücken schien, was er von ihren bisher gezeigten Rettungsfähigkeiten hielt. Auf sanften Pfoten kletterte er problemlos den Baum hinab, wo er seinem verblüfften Herrchen vor die Füße sprang.

„Na, wo kommst du denn her?" Der undankbare Kater rieb sich an Darrers Beinen und erzählte miauend die ganze leidvolle Geschichte, die Darrer glücklicherweise nicht verstand. Doch dann blickte er nach oben. Mist.

Lisa sah wie sich Darrers Augen überrascht weiteten, als er sie zwischen den Ästen erblickte. Dann fing er an, breit zu grinsen. Moses nutzte den Moment und hüpfte über den Zaun in Darrers Garten. Darrer räusperte sich. „Also Sie tauchen wirklich an den ungewöhnlichsten Orten auf."

Lisa strich sich verlegen eine Haarsträhne aus dem Gesicht und lächelte unverbindlich. „Guten Abend."

„Möchte ich eigentlich wissen, was sie da im Baum machen, also mit meinem Kater?"

„Nein, wahrscheinlich nicht", grummelte Lisa. Sie begann vorsichtig, den Baum hinabzuklettern und war sich bewusst, dass sie ihm dabei einen guten Blick auf ihre Kehrseite gewährte. Glücklicherweise hatte sie eine Jeans an.

„Ich muss Ihnen sagen, Sie machen mich neugierig. Sind Sie jetzt Teil einer Rockergruppe? Hells Angels vielleicht?"

Sie weigerte sich, ihm zu antworten und konzentrierte sich aufs Klettern. Immer einen Ast nach dem anderen. Die Rinde fühlte sich trocken an. Nicht auszudenken, wenn sie den Halt verlor und wie ein fauler Apfel vom Baum fiel.

„Na kommen Sie schon, Sie können ganz ehrlich sein. Ein verkappter Drogendeal? Probleme mit den Prostituierten? Gang-Nöte?"

Ihr Fuß rutschte ab und sie spürte, wie er ihr zu Hilfe kam und stütze. Mit letzter Kraft klammerte sie sich an ihre Würde und hielt sich am Ast fest, sodass sie direkt vor ihm baumelte.

„Es ging tatsächlich um einen Auftragsmord." Lisa versuchte, ihn bedrohlich anzustarren, aber er grinste nur. Wirklich wahnsinnig schöne blaue Augen. Bevor er näher an sie herantreten konnte, öffnete sie ihre Hände und löste sich von der Kastanie. „Und wenn Sie wissen, was gut für Sie ist, erstatten Sie mir meine Pizza zurück." Mit diesen Worten wollte sie in Richtung ihrer Haustür gehen. Diesmal langsam und cool. Unbeeindruckt.

Sie hörte ihn lachen. „Wenn Sie ein Date wollen, müssen Sie es nur sagen - ich stehe Ihnen gerne zur Verfügung." Lisa verabschiedete sich von ihrer unbeeindruckten Haltung, drehte sich um und streckte ihm die Zunge raus. Sein wissender Gesichtsausdruck scheuchte sie doch schneller ins Haus als sie wollte. Noch nie hatte sie einen Mann getroffen, der sich seiner Wirkung auf Frauen dermaßen bewusst war. Es war nervtötend. Anstrengend. Heiß.

Nachdem sie die Haustür hinter sich zugezogen hatte, lehnte sie sich mit dem Rücken gegen das Holz. Ihre Freunde warfen ihr immer vor, sie sei viel zu anspruchsvoll, aber das sah sie anders. Wählerisch zu sein hatte noch niemandem geschadet. Da die einzige funktionierende Beziehung in ihrem Umfeld von ihren Großeltern geführt worden war, hatte sie schon früh beschlossen, sich nicht für weniger herzugeben. Es war nicht so, dass sie dabei Beziehungen generell aus dem Weg ging, aber sie hatte sich eine geistige Liste angelegt. Verlässlichkeit war wichtig. Vertrauen und Gemeinsamkeiten. Jedenfalls spielte ein heißer Profisportler mit dem Hang dazu, sie in peinlichen Situationen zu erwischen eindeutig außerhalb ihrer Liga. Und sie weigerte sich, dem Beispiel ihrer Mutter zu folgen und auf ein hübsches Gesicht reinzufallen. Nicht mit ihr.

Mit Herz und Degen (Stadtgeflüster) LESEPROBEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt