Das Familienleben ist ein Eingriff in das Privatleben.
Karl Kraus
Lisas Finger trommelten auf der antiken Tischplatte einen wilden Rhythmus, während sie in das sture Gesicht ihrer Großmutter blickte. „Oma, wirklich, bei aller Liebe - du musst damit aufhören, mir irgendwelche Männer nach Hause zu schicken. Der Typ von gestern war wahrscheinlich nicht einmal volljährig! Ich dachte, wir hätten das besprochen!"
Die ältere Dame zupfte an einer grauen Haarsträhne, die in perfekten Locken um ihren Kopf angeordnet waren. Keine wagte es, aus der Reihe zu tanzen. Trude Allermann verfügte über wundervolles Haar, alles grau bis auf eine einzelne weiße Strähne, die sich über ihrer Stirn gebildet hatte. „Lieschen, mein Kind. Ich will dir doch nur helfen."
„Helfen? Das hilft mir nicht!"
Oma Trude stoppte Lisas aufgeregtes Trommeln, indem sie ihre kräftige Hand auf die schlanken Finger ihrer Enkeltochter legte. Die Gicht hatte Knoten an ihren Fingerknöcheln gebildet, aber Oma Trude ließ sich davon nicht beeinträchtigen. „Du gehst nicht hinaus. Du lernst niemanden kennen. Der richtige Mann für dich wird nie an deine Tür klingeln. Zumindest, wenn man nicht nachhilft."
„Vielleicht will ich ja gar keinen Mann!"
Lisa kam in den Genuss von Omas besonders nachsichtigem Blick. Ein kurzer Augenkontakt, der viel aussagen konnte. In diesem Fall mischte sich ein Ach wirklich?! mit einem Wem willst du das weismachen, junge Dame? und wurde von Ich weiß, dass es nicht einfach für dich ist. untermalt. Prima, wie sollte sie dagegen ankommen?
Lisa legte ihre freie Hand auf Oma Trudes und drückte sie kurz. Es war ihr bisher nie aufgefallen, aber ihre Großmutter hatte mittlerweile viel mehr Altersflecken als noch vor ein paar Jahren.
In vier Wochen würden sie Omas achtzigsten Geburtstag feiern und die ganze Familie von fern und nah würde zu diesem Anlass anreisen. Sie hatte wie jedes Jahr im Gasthaus „Högers 1910" einen Tisch reserviert, weil sie wusste wie sehr ihre Großmutter das historische Ambiente und die altdeutsche Küche liebte. Ihr Bruder unterbrach dafür extra seine Europareise, und auch ihr Onkel würde mit seiner Frau und ihren beiden erwachsenen Cousins anreisen.
„Freust du dich schon auf deine Geburtstagsfeier?", versuchte Lisa Oma Trude abzulenken.
„Sehr", lächelte diese, „Patrick und Pascal bringen übrigens ihre Verlobten mit."
Ach, daher wehte der Wind. Lisa fiel es wie Schuppen von den Augen. „Ach Oma, nur weil meine Cousins verlobt sind, heißt das nicht, dass ich auch schon jetzt ans Heiraten denken muss!"
„Natürlich nicht." Lisa seufzte erleichtert. „Aber ich möchte nicht, dass jemand denkt, dass du keinen Mann finden könntest." Frustriert knirschte Lisa mit den Zähnen. Oma Trude hörte es und bedachte sie nun mit einem tadelnden Blick. Nicht zum ersten Mal fragte sich Lisa, wo ihre Oma nur gelernt hatte, solche Blicke zu werfen und ob sie das irgendwann auch beherrschen würde. Es würde ihr Leben bestimmt viel einfacher machen.
„In Ordnung, Oma. Ich werde nicht allein kommen. Ich denke mir etwas aus. Aber bitte, keine Blindgänger mehr." Ohne etwas zu erwidern, tätschelte Oma Trude ihre Hand. Es wirkte nicht zwingend, sondern beruhigend.
Lisa verließ ihre Großmutter kurz vor dem Mittagessen und fuhr direkt vom Altersheim zum Dienst. Es hätte sich nicht gelohnt, noch einen Zwischenstopp daheim einzulegen, daher traf sie eine knappe Stunde zu früh auf dem Gelände der Hubschrauberstaffel ein. Zu ihrer Überraschung stand auch Johanns Auto schon auf dem Parkplatz hinter dem massiven Ziegelsteingebäude.
Frustriert raufte sie sich die Haare. Es war so viel passiert. Dann zückte sie ihr Handy. Sarah hob schon beim ersten Klingeln ab.
„Sag mal, arbeitest du auch irgendwann?", blaffte Lisa zur Begrüßung.
„Neidisch? Du hättest ja etwas Sinnvolles studieren können, anstatt mit Hubschraubern zu spielen", lachte Sarah, „Rufst du an, um zu philosophieren oder hast du einen besonderen Grund?"
Lisa legte ihren Kopf aufs Lenkrad. „Ich drehe durch. Mein Kopf besteht aus Wackelpudding."
„Erzähl!" Sarahs Tonfall schwankte irgendwo zwischen neugierig und sensationslüstern.
„Hey! Du brauchst gar nicht so begeistert zu klingen. Mein Leben ist keine Seifenoper und du bist als beste Freundin zu Mitleid verpflichtet."
„Süße, dein Leben ist besser als Fernsehen. Das war schon immer so. Bei dir gibt es einfach Sachen, die normalen Menschen nicht passieren." Sarah atmete tief ein.
„Hey, was soll das..." Lisa stutzte und versuchte ihre Ohren auf das zu konzentrieren, dass am anderen Ende der Leitung passierte. „Sag mal, rauchst du wieder?"
„Nein...?"
Lisa erkannte den Tonfall, hatte ihn in unzähligen Situationen zu hören bekommen. Immer dann, wenn ihre Freundin versuchte, etwas zu verheimlichen. „Sarah Hasenbach, du rauchst! Lüg mich nicht an!"
„Na gut", fauchte ihre Freundin, „Dann gönn ich mir halt eine Zigarette. Alkohol darf ich ja wohl kaum im Dienst konsumieren. Du glaubst ja gar nicht, was hier los ist. Diese Woche muss sich die Abschlussklasse Themen für ihre Bachelorarbeiten ausdenken. Eben war einer hier, der fragte, ob er die strafrechtliche Relevanz von Scooby-Doo thematisieren dürfe."
Lisa lachte. „Und, darf er?"
„Natürlich nicht", schnaubte Sarah und zog erneut an ihrer Zigarette.
„Ach, hätte ich doch nur studiert... Etwas Sinnvolles mit meinem Leben angefangen."
„Sehr witzig." Sarah schien einen weiteren Zug ihrer Zigarette zu nehmen. „Aber mal ganz ehrlich, warum rufst du an?"
„Sag mal, hast du in vier Wochen am Freitag Zeit? Ich brauche eine Begleitung für Omas Achtzigsten."
„Klar. Warum?" Lisa gab ihr eine Kurzfassung über ihren erneuten Zusammenstoß mit Darrer und das nicht wirklich klärende Gespräch bei Oma Trude.
Sarah unterbrach sie immer wieder mit Fragen und Gelächter. „Du, ich komme gerne mit, aber meinst du das ist, was Oma Trude zufriedenstellt?"
Wohl kaum. „Das muss aufhören!", maulte Lisa schließlich.
„Was genau? Dass sich Oma Trude in dein Leben einmischt oder dass du von einem heißen Kerl flachgelegt wirst?"
Bevor Lisa antworten konnte, hörte sie, wie es bei Sarah an der Tür klopfte.
„Sorry, Süße. Ich muss auflegen. Kundschaft." Lisa seufzte und stieg aus.
Es ging nicht nur darum, flachgelegt zu werden. So wichtig waren diese fünf Minuten auch nicht. Es war einfach ihre Entscheidung, ob sie einen Menschen in ihr Leben lassen wollte oder nicht. Die meisten, die ihre Türen öffneten, bereuten es früher oder später. Ihre Gedanken schweiften zu Gregors letztem Besuch ab. Natürlich hatte sie erwartet, dass sich Gregor nach dem Desaster mit seiner Exfrau irgendwann wieder auf eine Frau einlassen würde. Er war ein Typ dafür, fürsorglich und liebevoll. Ein Beziehungsmensch. Doch, dass er sich ausgerechnet ihre Nachbarin aussuchte, damit hätte sie nicht gerechnet. Sie kannte Marianne Kramer noch aus der Zeit, in der Niklas und sie im Haus ihrer Großmutter gelebt hatten. Damals hatte Mariannes Mann noch gelebt und die Kramers waren sehr süß zusammen gewesen. Lisa hatte ihre Großmutter ein Jahr nach dem Tod ihres Großvaters auch zur Beerdigung von Herrn Kramer begleitet und der weinenden Marianne kondoliert. An dem Tag hatte Marianne ihren Glanz verloren, hatte sich hinter ihren Windspielen versteckt und die Welt ausgesperrt. Vielleicht passte ein Mann wie Gregor tatsächlich zu ihrer sanften Nachbarin.
Schulterzuckend betrat sie das Gebäude, in dem sie nun ihren Traum vom Fliegen lebte. Sie würde einfach abwarten müssen, wie das mit den beiden weiterging. Auch wenn das Warten so gar nicht ihre Stärke war.
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Mit Herz und Degen (Stadtgeflüster) LESEPROBE
RomanceVerlag! Die Geschichte wurde am 02.08.21 über den Tribus Verlag veröffentlicht und ist im Handel erhältlich! Lisa Ritter hat ein ganz besonderes Talent dafür entwickelt, sich in Schwierigkeiten zu bringen. So muss sie an einem nebligen Abend auf d...