9 - Gregor

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Freundschaft fließt aus vielen Quellen, am reinsten aus dem Respekt.

Daniel Defoe

Gregor hatte ein System

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Gregor hatte ein System. Er teilte sich seinen Streifenbereich ein, teilweise lagebedingt nach Schwerpunkten, teilweise aufgrund willkürlicher Überlegungen. Natürlich brachten aktuelle Einsätze dieses System ab und an durcheinander, aber nicht so häufig wie man vermuten würde. Immerhin war er für Kontakte zuständig und jagte keine Straftäter mehr.

Montags beispielsweise patrouillierte er durch die öffentlichen Parkanlagen und genoss die Natur, sprach mit Enten fütternden Leuten auf Parkbänken und versuchte die Menschen in Bezug auf Müll und Hundekot zu sensibilisieren.

Mittwoch und Freitag standen Schulwegskontrollen, Kindergartenbesuche und Fahrradtraining für Schüler auf seinem Programm. Donnerstag beriet er in Sicherheitsfragen und an Dienstagen war er flexibel, je nachdem was gerade anstand.

Davon besuchte er jeden geraden Dienstag seine ehemalige Partnerin und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass er sie als Familienmitglied betrachtete. So war es in den letzten Jahren immer gewesen, doch nun stand er an einem Freitag in Lisas Straße.

Zögernd blickte er zwischen Lisas Haus und dem ihrer Nachbarin hin und her. Marianne hieß sie. Schöner Name. Er klang weich und trotzdem vollmundig. Sollte er wirklich bei ihr klingeln?

Vielleicht war sie nur freundlich gewesen und nicht interessiert.

Vielleicht war ihr nur langweilig gewesen.

Vielleicht war er auch zu alt für so etwas. Er raufte sich die Haare.

Vielleicht sollte er jemanden fragen, der sich mit so etwas auskannte. Doch wen? Lisa war selbst allein und andere enge Kontakte hatte er nicht mehr.

Vielleicht sollte er sich lieber ein Haustier zu legen. Die verwirrten ihn nicht und wären treue Begleiter.

Gregor versuchte sich von dem Haus mit den Windspielen abzuwenden, doch seine Beine weigerten sich.

So blieb er starr auf dem Gehweg stehen. Vielleicht hätte er ein Geschenk mitbringen sollen? Er fing an zu schwitzen.

„Gregor?" ertönte es hinter ihm. Halb enttäuscht und halb erleichtert erkannte er Lisas Stimme. Sie stand mit einem vollen Müllbeutel in ihrer Hand hinter ihm. „Was machst du hier?"

„Ich, ähm, patrouilliere."

„Aha. Das sehe ich. Aber heute ist Freitag."

Gregor nickte bloß. Schweigend musterten sie sich. Lisa schaute ihn an, dann das Haus ihrer Nachbarin, dem er sich zugewandt hatte. Was Lisa an ihm bemerkte, wusste er nicht. Ihm fiel aber auf, dass sie sehr müde und fahrig wirkte. Er verdrängte kurz seine Probleme und konzentrierte sich auf sie. Vielleicht hatte sie schlecht geschlafen. Ihre Haut wirkte fahl, fast käsig. Dunkle Ringe zeichneten sich unter ihren Augen ab. Hoffentlich wurde sie nicht krank.

Mit Herz und Degen (Stadtgeflüster) LESEPROBEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt