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„Und sie ist wirklich nicht mehr bei dir?"

„Nein, wir haben uns nach dem Einkaufen verabschiedet. Sie ist zur Bushaltestelle gegangen. Ist sie denn wirklich nicht zu Hause angekommen?"

„Nein!"

Andrea war verzweifelt. Ihre Bella kam sonst immer rechtzeitig nach Hause, denn sie wusste, welche Sorgen ihre Mutter sich andernfalls machte. Morgen war Schule und es war bereits zehn vor zwölf. Das war ganz und gar nicht typisch für Bella. Nachdem Andrea mit einem beklemmenden Gefühl in der Brust einige Stunden gewartet hatte, wusste sie nun einfach nicht mehr weiter, weshalb sie Lisa mitten in der Nacht und mit einem schlechten Gewissen aus dem Bett geklingelt hatte.

„Aber wo ist sie denn dann?", fragte Lisa noch immer verschlafen.

„Das weiß ich eben nicht. Hast du eine Idee? Hat sie irgendetwas gesagt? Wollte sie noch jemand anderes besuchen? Bitte, Lisa, denk nach. Sie muss doch irgendwo sein."

„Es tut mir furchtbar leid, aber wir haben uns verabschiedet und sind dann getrennte Wege gegangen. Bella wollte direkt nach Hause, das hat sie mir gesagt. Sie wollte sich noch einen entspannten Abend machen. Ich bin mir sicher, dass sie nicht noch irgendwo anders hin ist. Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen."

Andreas Herz wurde immer schwerer. Sie wusste nicht, was sie glauben sollte. Natürlich wollte sie nicht an das Schlimmste denken, aber sie konnte es nicht verhindern. Die Gedanken waren da und sie ließen sich nicht mehr abschütteln.

„Glaubst du...", kam Lisas zögerliche Stimme aus dem Hörer. „Glaubst du, ihr ist etwas passiert? Sie... sie wäre doch direkt nach Hause gegangen. Wieso sollte sie über fünf Stunden später immer noch nicht dort sein? Hast du es auf ihrem Handy probiert?"

„Mehrmals", schluchzte Andrea inzwischen. „Lisa, bitte sag mir, dass ihr nichts passiert ist. Bitte sag mir, dass sie bei dir ist. Dass sie etwas angestellt hat und sich nun bei dir versteckt. Mir ist egal, was es ist. Drogen, Diebstahl, ganz egal. Nur bitte sag mir, dass sie bei dir ist. Sag mir, dass sie bei dir ist!"

Andreas Verzweiflung stieg ins Unermessliche. Doch am anderen Ende blieb es still.

„Lisa?"

Ein ersticktes Schluchzen war zu hören.

„Es tut mir leid, Andrea." Lisas Stimme war nun ein heiseres Krächzen. „Bella ist nicht bei mir. Sie ist nicht da. Wirklich nicht. Ich würde alles dafür geben, dass es so wäre, aber sie ist nicht hier. Ruf bitte die Polizei, Andrea. Es ist mir egal, ob das völlig übertrieben ist und sie in zehn Minuten vor deiner Haustür steht. Aber bitte ruf die Polizei. Was ist, wenn Bella wirklich etwas passiert ist?"

Andreas Herz blieb stehen. Lisa sprach aus, was sie schon längst dachte. Sie hatte nur nichts überstürzen wollen und als die überfürsorgliche Mutter belächelt werden. Andernfalls hätte sie bereits vor zwei Stunden die Polizei gerufen. Es sah Bella so gar nicht ähnlich, nicht nach Hause zu kommen. Andrea hatte bereits das ganze Internet durchforstet, ob es irgendwelche Unfälle gegeben hatte, an denen Bella hätte beteiligt sein können. Aber es war nichts dergleichen passiert. Und dennoch war Bella nicht da. Andrea überlegte nicht mehr lange und verabschiedete sich bei Lisa mit dem Versprechen, sich sofort wieder bei ihr zu melden, wenn sie etwas Neues wusste. Mit einem beklemmenden Gefühl in der Brust telefonierte sie alle weiteren Freunde von Bella durch, von denen sie wusste. Doch niemand hatte etwas von ihrer Tochter gehört.

Bella war verschwunden.

Voller Grauen tätigte Andrea den nächsten Anruf bei der Polizei.

Entführt - Im Dunkeln (Leseprobe)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt