06 - Zuflucht im Schnee

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Es war so still in Saras Zimmer, dass sie sogar hören konnten, wie Tabitha im Erdgeschoss die Haustür öffnete. Anstatt einer Begrüßung folgte nur Schweigen und das bestätigte die Vermutung der beiden Mädchen, wer der Besucher sein konnte.

„Sie ist oben", hörten sie Tabitha sagen und kurz darauf erklangen Schritte auf der Treppe.

Maggie stand auf und zog langsam ihren Zauberstab, den Blick auf die Tür gerichtet.

„Maggie." Sara hielt ihr Handgelenk fest und erhob sich ebenfalls. Athene maunzte erschrocken, weil der Widerstand, an den sie sich gelehnt hatte, verschwunden war. „Bitte nicht. Er hat nichts damit zu tun."

Maggie schaute sie nur skeptisch an und steckte doch den Zauberstab weg. Ihr Blick wanderte zum Fenster, als überlegte sie, einfach davon zu fliegen. Allerdings bezweifelte Sara, dass es nach ein paar Monaten mit ihren Animagusfähigkeiten schon so weit her war.

Das schien ihr selbst ebenfalls klar zu sein, denn sie rührte sich nicht. „Kannst du es wissen?"

Sara nickte nur schweigend. Allein der Gedanke kam ihr absolut absurd vor, und wäre es so, wäre er jetzt garantiert nicht hier.

Ihre Zweifel verschwanden vollends, als die Tür geöffnet wurde und Severus im Türrahmen stand, Haare und Umhang nass vom finnischen Schnee. Er sah aus, als hätte er seit Tagen weder gegessen noch geschlafen. Sara hielt das nicht für unwahrscheinlich.

Einen Moment lang herrschte angespanntes Schweigen. Sara fürchtete, es würde zu einer Auseinandersetzung kommen, doch Maggie drehte sich ruckartig zu ihr um, streichelte über Athenes Rücken und umarmte Sara. Drückte sie fest an sich. „Ich geh dann mal. Komm vorbei, wann immer du möchtest."

„Danke." Sara küsste sie flüchtig auf die Wange.

Maggie ging mit dem größtmöglichen Abstand an Severus vorbei, hastete die Treppe hinunter und rief Tabitha einen Abschiedsgruß zu, bevor sie durch die Tür verschwand und es wieder still wurde.

„Schließ die Tür." Sara ließ sich wieder auf das Bett sinken und kraulte Athenes Wange. „Bitte." Sie nahm den Blick nicht von ihm, war förmlich entsetzt darüber, wie anders er wirkte. Dass er ihrer Bitte einfach nachkam, nichts gegen ihren beinah gebieterischen Ton einzuwenden hatte, den das Bitte doch nicht ganz hatte abmildern können.

Er wirkte erschöpft, als er sich auf den Stuhl neben dem Bett fallen ließ, und gebrochen. Die Geschehnisse mussten ihm zugesetzt haben, mehr als irgendjemandem sonst. Sie selbst war in Norwegen gewesen, hatte von all dem nur durch Briefe von Remus und Maggie erfahren. Daraufhin war sie hergekommen, irgendwohin hatte sie gehen müssen, aber allein hatte sie auch nicht sein wollen.

Sie merkte, dass sein Blick an ihrer linken Wange hing, wo direkt über dem Knochen eine halb verheilte, waagrechte Wunde war. „Keine Woche her", erklärte sie und fuhr mit der Hand daran entlang. Der Schmerz ziepte durch ihr ganzes Gesicht. „Ein Bowtruckle ... Jedenfalls hab ich Glück gehabt, dass es nicht meine Augen getroffen hat."

Er schwieg und verzog keine Miene, aber sie konnte sich seine Reaktion vorstellen, wenn sie in einer anderen Situation gewesen wären als der gegenwärtigen. Du bist zu unvorsichtig, hätte er gesagt und vielleicht sogar höhnisch gelächelt. Doch jetzt war jedes Lächeln fehl am Platz.

„Völlig unwichtig", sagte sie leise. Es war nur eine kleine Narbe, weder die erste noch die letzte. Nur eine weitere Geschichte, die sie in einem passenderen Moment gern erzählt hätte.

Weiterhin schwieg er und sie hatte keine Möglichkeit, ihm anzusehen, was er dachte. Vorstellen konnte sie es sich, ja, denn im Grunde war es wohl dasselbe, was auch ihr durch den Kopf ging.

Entgegen aller PrinzipienWo Geschichten leben. Entdecke jetzt