08 - Pelzige Probleme

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Die Nacht ist kalt, es ist schon Oktober, und der Vollmond zeichnet durch die Äste der Fichten tanzende Flecken auf den Waldboden. Es ist ausreichend hell, um zu sehen, auch ohne Zauberstab.

Sara sucht Erklinge, sie hat gehört, dass es in dieser Gegend welche geben soll, es sind auch schon einige Kinder verschwunden, die allein zu tief in den Wald gegangen sind. Auch Sara ist allein, es gibt in der Gegend niemanden, der ausreichend Englisch spricht. Allerdings braucht sie auch niemanden, sie findet sich ganz gut allein zurecht.

Es ist still, das einzige Geräusch kommt von den dürren Ästen, die sich im Wind wiegen, und das verwundert sie schon. Normalerweise ist es nie ganz still im Wald, auch in der Nacht nicht. Doch da ist kein Laut, keine Eule, kein Raubtier, das durchs Unterholz streift. Sie denkt sich einfach, dass es an einem nahenden Gewitter liegt.

Ein Zweig knackt.

Sie hält inne, schaut sich um. Doch ein Tier des Waldes, vielleicht? Ein Erkling, der sie für Beute hält, obwohl sie schon lang kein Kind mehr ist?

Nein, nichts. Nur der Wind in den Baumkronen und ihr eigener Atem. Dennoch geht sie nur langsam weiter, vorsichtig und mit gezücktem Zauberstab, denn wer weiß, was hier noch lauert?

Etwas, mit dem sie nicht gerechnet hat, und sie ist nicht vorsichtig genug. Das Knurren, das aus derselben Richtung kommt wie das Knacken des Zweiges zuvor, hört sie zu spät. Als sie sich umdreht, sieht sie nur einen riesigen Schatten auf sich zuspringen und Fell, das im Mondlicht glänzt.

Im nächsten Moment wird sie zu Boden geschleudert, Schmerz breitet sich von ihren Schulterblättern her aus wie Nadeln, die ihr durch den Oberkörper getrieben werden, die Luft entweicht mit einem Keuchen ihren Lungen. Doch was ihr wirklich Tränen in die Augen treibt, sind Krallen, die sich in ihre Oberschenkel graben und brennender Schmerz in ihrem Bauch, als der Werwolf seine Zähne hinein schlägt.

Zum Glück hält sie den Zauberstab noch in der Hand und irgendwie trifft der rote Lichtblitz das Biest auch, obwohl das Stupor! ihr nicht über die Lippen kommt. Der Werwolf wird nach hinten geschleudert und kommt jaulend auf dem Waldboden auf.

Mit einem ebenfalls ungesagten Ganzkörperklammerfluch setzt sie ihn endgültig außer Gefecht, kommt sich furchtbar vor und kann gar nicht hinsehen, als der Fluch wirkt. Sie schaut auch vorsichtshalber nicht an sich herunter, als sie ihre Taschen durchwühlt, bis sie ein Fläschchen des Tranks findet, den sie zusammen mit Severus entworfen hat.

Der Schmerz lässt nach, sobald sie ein paar Tropfen auf jede Wunde gibt. Doch um sich weiter zu versorgen, muss sie zurück zu ihrem Lager, wo sie alles hat, was sie braucht.

Ihre Bauchdecke fühlt sich taub an, sie schafft es erst beim zweiten Versuch, aufzustehen. An ihren Händen bleibt halb getrocknetes Blut kleben, als sie ihren Umhang richtet und sich mit schweren Schritten an dem am Boden liegenden Werwolf vorbei schleppt.

Sein Blick folgt ihr und sie sieht den Hass in seinen Augen, die Wut, nach wie vor die Lust, sie in Stücke zu reißen. Doch bewegen kann er sie noch immer nicht, also bleibt sie kurz neben ihm stehen.

„Verzeih mir", sagt sie leise und versucht zu lächeln, doch der Schmerz lässt es nicht gelingen. „Du kannst wieder aufstehen, wenn ich weg bin."

Remus hatte gelacht, als sie ihm davon erzählt hatte. Er hätte keinen Ort, wo er bleiben könnte, hatte er gesagt, und sie hatte ihm angeboten, bei ihr in Finnland zu überwintern, wie er es schon öfter getan hatte. Bis zu diesem einen Abend hatte sie nie so recht verstanden, warum er immer so abgerissen aussah, warum er immer umher zog und nicht einfach eine Arbeit annahm, schließlich hatte er ausgezeichnete Noten gehabt. Hin und wieder hatte sie gefragt, vorsichtig, doch er hatte ihr nie antworten wollen.

Bis heute, denn nachdem sie ihm ihre kleine Geschichte aus dem Schwarzwald erzählt hatte, wie sie später noch versucht hatte, den Menschen wiederzufinden, dem sie in jener Nacht in Wolfsgestalt begegnet war, hatte er ihr auch seine Geschichte erzählt.

Aber erst, nachdem er lange darüber gelacht hatte, dass sie sich bei dem Monster, was sein Wort gewesen war, nicht ihres, auch noch entschuldigt hatte. Sie hatte das Gefühl, als würde er ihr das noch lange vorhalten.

Es hatte sie gewundert, dass seine Reaktion so leicht ausgefallen war. Sie hatte sich lange überlegt, wem sie wie davon erzählen sollte. Tabitha war freilich die Erste gewesen, die es erfahren hatte, und die hatte gemeint, Sara sollte auf jeden Fall sicher stellen, in einer Vollmondnacht fern jeden menschlichen Lebens zu bleiben. Das Häuschen in Finnland bot sich dafür perfekt an.

Als nächstes hatte sie sich an Remus gewandt, weil sie von ihm eine harmlosere Reaktion erwartet hatte als von Maggie oder Severus. Doch nicht mit dieser. Nicht mit der Wahrheit, die er ihr offenbart hatte.

Jetzt im Nachhinein kam es ihr beinah lächerlich offensichtlich vor, dass er all die Jahre ein Werwolf gewesen war. Darum war er um Vollmond herum immer so krank gewesen, das war es gewesen, was Severus herauszufinden versucht hatte. Darum war er nicht zu Lilys und James' Hochzeit gekommen, die an einem Vollmondabend stattgefunden hatte.

Sara hatte sich gefragt, warum er es ihr nie zuvor erzählt hatte, aber wahrscheinlich hatte er sich geschämt, das war nun einmal nichts, was man jedem erzählen musste. Die Jungs waren freilich eingeweiht gewesen, genau wie die Lehrer. Dumbledore hatte sich offenbar dafür eingesetzt gehabt, dass Remus die Schule überhaupt hatte besuchen dürfen.

Danach hatte James ihn unterstützt, doch seit dessen Tod war er immer nur irgendwie über die Runden gekommen. Sara sah darin für sich nur wenige Probleme, schließlich war sie ohnehin meist in unbewohnten Gegenden unterwegs.

Sie hatte Remus angeboten, nach Finnland zu kommen, wann immer er wollte.

Sie war sich nach wie vor unsicher, wie sie das Severus beibringen sollte. Wahrscheinlich interessierte er sich nicht für die ganze Geschichte. Maggie hatte sie hören wollen, sie war sofort nach Saras Brief gekommen, der nur Andeutungen enthalten hatte. Es war nicht so glimpflich gelaufen wie mit Remus, aber doch besser als erwartet. Auch ihr hatte Sara mehrmals versichern müssen, dass sie zu keiner Zeit für irgendjemanden eine Gefahr darstellte.

Aber Severus?

Sie konnte sich nicht im Entferntesten vorstellen, wie seine Reaktion ausfallen würde. Den ersten Kommentar, ja, sicher, aber ansonsten? Sie hatte Angst, auch wenn sie nicht wirklich glaubte, dass er sich nun von ihr abwenden würde, nach allem, was sie gemeinsam durchgestanden hatten. Bisher war es für sie nur eine Narbe mehr gewesen, aber wenn das geschehen würde, wüsste sie nicht mehr, was sie tun sollte.

Auf der Suche nach den richtigen Worten griff sie neben sich, doch ihre Hände berührten nicht das weiche Fell einer alten Katze, sondern nur das Polster des Sofas, auf dem sie saß. Es war nun schon beinah ein Jahr her, dass Athene tot unter der Bank hinter dem Haus gelegen hatte, zusammengerollt, als hätte sie nur geschlafen, und doch suchte Sara sie noch immer, erwartete, dass sie zu ihr ins Bett sprang, und am Morgen mit diesem warmen kleinen Körper an der Seite aufzuwachen.

Sie fehlte, plötzlich hatte sie sich selbst hier in Finnland allein gefühlt, weswegen es ihr sehr lieb war, Remus bei sich zu haben.

Oder Severus, für den sie noch immer keine Erklärung gefunden hatte, wieso sie ihn herbestellt hatte. In diesem Momenthatte sie auch nicht das Gefühl, sie würde jemals einen Weg finden, es ihm zu sagen, darum griff sie hinter sich, löste langsam die Bänder ihres Kleids und streifte es vom Oberkörper, damit er einfach sehen konnte.

Entgegen aller PrinzipienWo Geschichten leben. Entdecke jetzt