3. Kapitel - Ein seltsamer Besuch

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Meine Mutter und ich verbrachten die Fahrt schweigend. Ich ließ meinen Blick schweifen. Wir mussten bald angekommen sein.
Die Häuser in dieser Wohngegend waren schöner, größer und die Vorgärten gepflegter.
Meine Mutter bremste und fuhr in eine Parklücke. Ich stieß einen anerkennenden Pfiff aus.

Wir hielten vor einer modernen Villa, die von einer Mauer umgeben war. Zusammen traten wir an ein Tor. Auf einem nicht übersehbaren, großen Schild stand Engelbert, der Mädchenname meiner Mutter.
Das war ja fast schon Ironie des Schicksals, stellte ich trocken für mich fest, schließlich hatten sich Mama und Jakob nicht immer gut verstanden.
Als ich zu ihr herüber blickte, sah ich, wie sie ihre Lippen zusammenpresste und dann mit ausdrucksloser Miene die Klingel drückte.

Ich bemerkte eine Kamera, die am Tor angebracht war. Anscheinend war mein Onkel kein geselliger Mensch, da er sich so von seiner Umwelt abschirmte.
Ich war so in Gedanken versunken, dass ich zusammenzuckte, als über eine Sprechanlage eine kräftige Stimme ertönte.
"Wer ist da?" Mama holte tief Luft. "Hier ist Louise. Ich brauche deine Hilfe."
Einen Moment lang blieb es am anderen Ende der Leitung still, dann begann vor uns dass Tor zur Seite zu fahren und gab den Blick auf einen Garten frei.

Ein großer Pool war in den Boden eingelassen. Ich verdrehte die Augen. Wie oft im Jahr würde mein Onkel diesen wohl benutzen können, bei dem Wetter, das es meistens bei uns gab?
Während ich den Garten eingehend musterte, stand meine Mutter schon vor der großen, weißen Tür, die in genau dem Moment aufschwang, als ich mich hinter Mama stellte.
Der Mann, der in der Tür stand, war groß und dunkelhaarig. Auf den ersten Blick hatte er nichts mit meiner Mutter gemein. Ich fragte mich schon ob wir hier richtig wären, da begann der Fremde zu sprechen.

"Hallo Louise. Ich habe es fast nicht geglaubt, als ich dich an der Tür stehen sah. Herzlich Willkommen in meiner bescheidenen Hütte."
Sein leichter Spott in der Stimme war nicht zu überhören. Die Art, wie er auf meine Mutter herabblickte, gefiel mir gar nicht.
"Was willst du denn, nach all den Jahren?", erkundigte er sich mit geheucheltem Interesse.
"Das Süßholzraspeln kannst du dir sparen," entgegnete meine Mutter harsch.
Jetzt viel mir doch eine Ähnlichkeit zwischen meiner Mutter und diesem Mann vor mir auf, der offensichtlich mein Onkel Jakob war: beide kniffen die Augen leicht zusammen und auf ihrer Stirn erschien eine kleine Falte über der Nasenwurzel, wenn sie verärgert waren.

Onkel Jakobs Miene wandelte sich innerhalb von Sekunden von scheinfreundlich zu deutlichem Missfallen. "Und was willst du hier? Soll ich mir jetzt Vorwürfe anhören? Dann verschwendest du nur deine Zeit!" Er hatte sich schon halb umgedreht und wollte und die Tür vor der Nase zuschlagen, da stellte meine Mutter ihren Fuß in die Tür. Unwillig drehte sich mein Onkel wieder um und sah uns genervt an. "Es ist wegen Felicia." Mama stockte kurz und sah mich an. Ich nickte ihr unsicher zu.
"Und? Was ist mit ihr?"
Meine Mutter wandte sich Jakob  wieder zu, deutlich erbost über so viel Ungeduld und zischte ihm zu: "Ich wäre niemals gekommen wenn ich eine andere Möglichkeit gehabt hätte. Aber es geht um Felicia. Sie...sie hat einen Schatten!"

Nun war es also heraus!
Es war beinahe lustig, das Mienenspiel meines Onkels zu beobachten. Er wirkte vollkommen fassungslos und durcheinander. Dann fing er sich jedoch wieder und sah mich beinahe abschätzig an. "Und jetzt bist du gekommen um mir das unter die Nase zu reiben?"
"Jakob, bitte! Das ist jetzt schon fast 20 Jahre her! Du musst ihr helfen!" Mein Onkel lehnte sich lässig mit verschränkten Armen gegen den Türrahmen. "Ich kann ihr nicht helfen. Wenn, dann kann das die Akademie."

Meine Mutter wurde blass. "Oh nein! Da schicke ich Felicia nicht hin!"
Ich stieß einen Seufzer aus und verdrehte die Augen. Konnte mir bitte einmal jemand sagen, was hier vor sich ging und was das für eine Akademie war? Oder war das etwa zu viel verlangt?
"Sie muss dort hin, um eine ordentliche Ausbildung zu bekommen!", widersprach Jakob. "Niemals schicke ich sie zu deinen Leuten auf die Akademie!", stellte sich meine Mutter stur.
"Du bist doch diejenige, die zu mir gekommen ist und gesagt hat, dass ihre Tochter Hilfe braucht!"
"Aber nicht so!"
"Es ist ja nicht so, als hättest du eine Wahl. Du kannst die nur zur Akademie schicken und das weißt du!", fügte Jakob in süffisantem Tan hinzu.
"Du könntest es ihr doch auch beibringen," bat meine Mutter. "Bitte, ich wäre dir wirklich sehr dankbar dafür..."
"Was deine Tochter alles lernen muss, kann ich ihr nicht alles beibringen. Sehe ich so aus, als wäre ich Lehrer?"

Ich mochte es nicht, wenn sich Leute stritten. Dass ich Inhalt dieses Streits war, machte die Sache nicht gerade besser.
Ich wandte mich mit einem unwohlen Gefühl ab und blickte zur Seite. Dort lag der Pool und die Wasseroberfläche kräuselte sich leicht. Das große Haus spiegelte sich verschwommen darin. Der grüne Rollrasen war makellos, nicht ein einziges Unkraut wuchs darin. Die Gartenmöbel wirkten so neu, als kämen sie direkt aus der Verpackung. Es war schick, und doch war es eine kalte Atmosphäre, kein Ort, um sich wohlzufühlen.

Ich war so in Betrachtungen vertieft, dass ich die Stimmen nur noch wie ein monotones Hintergrundgeräusch wahrnahm.
Auf einmal spürte ich ein unangenehmes leichtes Ziehen in der Magengegend. Mein Blick wurde für eine Sekunde unscharf und dann sah ich es wieder: die Schatten. Langsam krochen sie aus versteckten Ecken auf mich zu. Dieses Mal war ich fähig mich zu bewegen; ich drehte mich hektisch um und packte meine Mutter am Arm. "Es geht wieder los," brachte ich krächzend hervor und krallte mich noch mehr in ihren Arm, als das Ziehen zunahm.
"Tu doch etwas!", hörte ich meine Mutter wie von weit weg schreien.

Plötzlich tauchte das Gesicht von Onkel Jakob in meinem Blickfeld auf. "Du musst es zurückstoßen, Felicia. Du darfst keine Angst davor haben! Du hast die Kontrolle!"
Ich war kurz davor, wieder in heillose Panik zu verfallen, doch irgendwie drang dieser Satz zu mir durch und ich klammerte mich daran wie einen Anker:
Du hast die Kontrolle!

Ich wiederholte diesen Satz wie ein Mantra und bemühte mich nach Kräften, die Schatten verschwinden zu lassen. Ich kniff die Augen zusammen bis das Ziehen in meinem Bauch nachließ, aber erst als mich jemand an der Schulter rüttelte, öffnete ich die Augen und stellte fest, dass ich mich auf dem Boden zusammengekauert hatte, die Arme um meinen Körper geschlungen. Mein Onkel beugte sich über mich. Hinter mir erklang die Stimme meiner Mutter, und sie hörte sich dünn und besorgt an. "Felicia, geht es dir gut?"

Als ich gerade ansetzte, ihr zu antworten, kam mir mein Onkel zuvor. "Sie wird auf die Akademie gehen, Louise. Keine Wiederrede! Sie hat ihren Schatten heute schon zwei Mal gerufen. Wie soll sie normal leben können ohne zu wissen, wie sie ihn kontrollieren kann? Ab morgen wird sie auf die Akademie gehen, statt zur Schule, bis sie gelernt hat, ihren Schatten zu kontrollieren!"
Er hatte sich aufgerichtet und seine Stimme klang scharf. Ich sah gespannt zu meiner Mutter und wartete auf ihren Widerspruch.
Doch der blieb aus.
Ich rappelte mich vorsichtig auf.
Vielleicht war es jetzt an der Zeit, dass ich zum ersten Mal das Wort ergriff. "Was ist dieser Schatten denn jetzt? Und was werde ich auf der Akademie machen?" Gespannt wartete ich auf eine Antwort.

"Dort sind Leute, die so sind wie du. Sie werden dir helfen können den Schatten zu kontrollieren, so, wie du es eben gemacht hast. Alles weitere erfährst du morgen früh." Ich war zu durcheinander, um mir lange Gedanken darüber zu machen. Ich wollte einfach weg hier und nach Hause.
Also nickte ich ihm zu. Mit dem Versprechen konnte ich erstmal leben.

Doch schon auf der Rückfahrt kamen mir Zweifel daran, ob ich meine Geduld so lange strapazieren konnte.
Auf die Fragen, die mir unter den Nägeln brannten, seitdem ich wieder einen einigermaßen kühlen Kopf bewahren konnte, Bräute ich dringend Antworten.
Allerdings mischte sich auch das Gefühl der Angst dazu.
Angst vor dem, was ich erfahren würde. Ich war mir ziemlich sicher, dass es mein ganzes Weltbild verändern würden. Und ich war mir nicht sicher, ob ich es im Nachhinein vielleicht doch lieber nicht gewusst hätte.

So meine Lieben, genießt das schöne Wetter❄️🌨️.
Eure Eule 1805

Iztal - SchattenspielWo Geschichten leben. Entdecke jetzt