Kapitel 8 - Treppenhäuser

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Ich bemühte mich, mit Sophia Schritt zu halten. Wir bogen in die große Eingangshalle ein und wie immer wurde ich von dem Anblick überwältigt. Man sollte meinen, dass das nach einer Woche nicht mehr der Fall war, doch es war und blieb so. Während ich unwillkürlich langsamer geworden war, lief Sophia unbeeindruckt weiter und erklomm die ersten Stufen der großen Treppe in den ersten Stock. Ich beeilte mich zu ihr aufzuschließen.

Sophia schien nett zu sein. Sie wippte auf ihren Zehenspitzen auf und ab während sie auf mich wartete. Als ich bei ihr angekommen war, setzte sie sich in ihrem alten Tempo wieder in Bewegung.
"Wir müssen in den dritten Stock," erklärte Sophia mir.
Sie schien eine ziemlich gute Kondition zu haben, denn wir rannten fast die Treppenstufen hoch und trotzdem fand sie noch genug Atem, mir zu sagen, wie nett unser Geschichtslehrer wäre.

Wir gingen im ersten Stock an der großen Galerie entlang. Meine Finger fuhren bewundernd über das dunkle, kühle Holz des Geländers.
Dann bogen wir in ein kleineres Treppenhaus ein, in dem eine steinerne, enge Wendeltreppe nach oben führte. Ich keuchte hinter Sophia die Treppen herauf und an einer Tür vorbei. "Das war der Ausgang zur zweiten Etage," erklärte mir meine Führerin.

Von ihrem Tempo war ich bereits außer Atem, wollte aber auch keine Schwäche zeigen und bemühte mich verbissen, nicht den Anschluss zu verlieren. Es gab keine Fenster. Trotzdem meinte ich zu wissen, dass gleich der Ausgang in den dritten Stock kommen musste. Doch als ich um die nächste Kurve bog, starrte ich nur auf nackten Stein. Im schummrigen Licht der Leuchtröhren an der Decke blinzelte ich ein paar mal, aber eine Tür tauchte immer noch nicht auf.

Verwirrt wandte ich mich an Sophia.
"Wo ist der Ausgang zum dritten Stock?" Sophias Antwort ließ mich fast an ihrem Verstand zweifeln.
"Es gibt keinen," erwiederte sie und schaute mich an, als wäre ich ein wenig schwer von Begriff.
"Der ist im vierten Stock."
Sie grinste über mein verwirrt es Gesicht.
Ich beschloss, nichts mehr zu sagen und mich durch nichts beeindrucken zu lassen. Ich nickte einfach und mit einem glucksen setzte sich Sophia wieder in Bewegung.

"Du erinnerst mich so an mich, als ich das erste Mal in der Akademie war," erzählte sie nebenbei. "Aber mit der Zeit wird alles normal für dich, vertrau mir. Du glaubst nicht, wohin ich mich alles verlaufen habe! Aber angekommen bin ich immer. Also alles kein Problem."
Sophia lachte wieder, mein Schweigen als Angst und nicht als Erschöpfung fehldeutend.
"Lass dich davon nicht einschüchtern. Außerdem bin ich auch noch für dich da. Mit mir als Führerin kann dir nichts passieren."
"Das will ich doch hoffen." Von ihrer guten Laune angesteckt zogen sich meine Mundwinkel ein Stück nach oben.
"Bitte keine Zweifel an meiner Kompetenz!", gab diese scherzhaft zurück.

Im vierten Stock gab es tatsächlich eine Tür, durch die wir einen Flur mit einem langen Teppich und bodenlangen Fenstern betraten, durch die das warme, goldene Licht der Morgensonne schien.
Ich mochte diesen Ort auf Anhieb. Es wirkte auf mich, als verströme er pure Ruhe und ich spürte das Verlangen, mich auf den Teppich zu setzen, die Augen zu schließen und die Sonne auf mein Gesicht scheinen zu lassen.
An der Wand waren in  unregelmäßigen Abständen kleine Holztüren eingelassen und zwischen den Türen standen Bücherregale bis unter die Decke. Ich sog den vertrauten Geruch von alten Büchern ein und wollte nichts weiter, als einfach hier zu bleiben.

"Ist das die Bibliothek?", fragte ich Sophia überwältigt.
Schon wieder sah sie mich etwas verwirrt an. "Nee, die Bibliothek ist woanders. Aber es kommen immer so viele neue Bücher rein, dass wir die alten in die oberen Stockwerke auslagern müssen. Hier kommt eigentlich kaum jemand vorbei."
"Warum haben wir dann den Weg hierher genommen?"
"Es war vielleicht nicht der bequemste, aber der kürzeste Weg. Er wird kaum benutzt, weil durch die schmale Wendeltreppe ja keine Schülermassen passen."
Das leuchtete mir ein.
"Also komm, hier geht es lang."

Iztal - SchattenspielWo Geschichten leben. Entdecke jetzt