Kapitel 19 - Familiengeschichte

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Ich war erleichtert, als der Gong das Ende dieser Stunde verkündete und ich endlich Frau Kaha und der bedrückenden Atmosphäre des Raumes entfliehen konnte.
Ich wollte unbedingt mit Sophia reden und nachsehen, wie es ihr ging.
Den Weg in die große Halle fand ich schnell. Allerdings war das nicht meinem Orientierungssinn, sondern den Schülermassen geschuldet, die alle in Richtung Eingangshalle strömten. Dort angekommen verriet mir ein Blick durch die Fenster, dass der strömende Regen noch immer nicht aufgehört hatte.
Ich seufzte. Zu gerne wäre ich dem beklemmenden Gefühl nach draußen entflohen.
Die Halle mochte noch so groß sein - gerade fühlte ich mich durch das ganze Gebäude eingeengt.

Ich streifte durch die wegen des schlechten Wetters überfüllte Halle und hielt Ausschau nach Sophia. Mir war deutlich bewusst, dass ich sie niemals finden würde, wenn sie das nicht wollte. Und das war nicht einmal besonders schwer zu bewerkstelligen.
Aber vielleicht, so hoffte ich zumindest, war Sophia wie ich gerade hierher gegangen. Immerhin hatte sie den Unterricht erst wenige Minuten vor Schluss verlassen.

Ich war mir nicht sicher, wie ich mich ihr gegenüber verhalten sollte.
Ich hatte nur das dringende Bedürfnis, mit ihr zu reden. Sie zu fragen, was ihre Worte bedeuten sollten. Woher sie das alles wusste. Und wer sie eigentlich war. Zumindest kannte ich nun ihren Nachnamen.
Sophia Bingenn.
Was mir aber ein mulmiges Gefühl bescherte, war die Tatsache, dass Sophia hauptsächlich wegen mir zum Unterricht gegangen war und somit den Zorn ihrer ungeliebten Lehrerin auf sich gezogen hatte.
Ich hatte das schlechte Gewissen, dass ich an Sophias Misere mitschuldig war, weil ich sie in diese Situation gebracht hatte.

Gedankenverloren schlenderte ich in Richtung Cafeteria, den Blick stets schweifen lassend.
Mir fiel auf, dass die meisten Schüler kaum jünger als ich waren. Die Jüngsten schätzte ich auf vierzehn. Offensichtlich gingen die Kinder von Umbrae nicht sofort auf die Akademie, sondern besuchten entweder eine andere Schule für Umbrae oder eine gewöhnliche Schule.
Die Jüngeren liefen lärmend herum, die Älteren standen oder saßen in Grüppchen zusammen.

Ich ließ mich mit den Schülern treiben, doch die ganze Zeit so ziellos herumzulaufen gefiel mir nicht. Ich fühlte mich fehl am Platze. Das Lachen und Rufen klang laut und störend in meinen Ohren. Sie alle hatten ihren Spaß, während Sophia Gott weiß wo war, nur, weil sie den Mund aufmachte.
Ich konnte Sophia ihr Verschwinden nicht übel nehmen. Wahrscheinlich hätte ich mich ebenso verhalten und meine Ruhe gewollt.

Einen Moment lang sehnte ich mich ebenfalls nach einem Ort zum Ausruhen. Meine Schritte fanden ihren Weg zur Eingangshalle des Gebäudes zurück.
Ich verzog mich auf die Galerie im ersten Stock, die im Vergleich zum Rest der Halle deutlich leerer war, lehnte mich an den kühlen Stein und versuchte die vielen Stimmen auszublenden.

Plötzlich drang ein Ruf in mein Ohr. Eine Stimme rief meinen Namen. Ich wandte mich um und erblickte Frau Herlend, die über die große Treppe mit langen Schritten auf mich zugeeilt kam.
"Felicia! Gut, dass ich dich treffe!"
Sie wirkte gestresst und schien direkt weiterlaufen zu wollen. Ihr über die Schulter geworfener Schal wehte hinter ihr her und sie drückte einige Papiere und Aktenordner an ihre Brust.
"Hallo Frau Herlend. Was gibt es denn?", fragte ich nach.
Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr.
"Ich muss mich beeilen. Verflixt, ich bin spät dran. Ich wollte dir nur sagen, dass Rasmus heute unabkömmlich ist. Dein Kampftraining fällt damit aus, da du jetzt noch nicht allein trainieren solltest."

Die war ja lustig. Ich hatte doch noch nie Kampfunterricht gehabt und demnach keine Ahnung, was ich machen sollte. Aber dass ich ein wenig Aufschub hatte, kam mit nur gelegen.
"Das ist kein Problem. Ich suche mir solange eine andere Beschäftigung," bemühte ich mich, Frau Herlend zu beruhigen.
"Geh doch in die Bibliothek," schlug diese vor.
"Sie ist sehr sehenswert. Sophia kann dir den Weg zeigen.
Wo ist sie eigentlich?"
"Sie ist nur kurz auf der Toilette," erwiederte ich mit trockenem Mund und wunderte mich dabei, wie leicht mir diese Lüge über die Lippen kam.
"Gut. Na dann. Entschuldige mich bitte, ich habe es wirklich eilig."
Frau Herlend nickte mir zu und eilte davon. Sie verschwand hinter einer der vielen Türen.

Iztal - SchattenspielWo Geschichten leben. Entdecke jetzt