Kapitel 15 - Schein und Sein

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Mich an Rasmus' Hinweise erinnernd lief ich den Gang entlang. Auch hier war alles weiß gestrichen, die nackten Wände leuchteten so makellos weiß, dass ich mich schutzlos und wie ausgeliefert fühlte. Das leise Hallen meiner Schritte war das einzige Geräusch, was zu hören war.
Das Büro des Direktors konnte ich wirklich nicht verpassen. Es war das einzige Zimmer auf dem gesamten Flur. Bis dahin war es allerdings ein ganzes Stück Weg.

Ich versuchte, meine Gedanken auf etwas anderes zu lenken als das bevorstehende Gespräch und musterte die Wand. Was sich dahinter wohl verbarg? Ein Geheimlabor? Eine Schatzkammer?
Ein flüchtiges Grinsen ließ meine Mundwinkel zucken. Wahrscheinlich nur weitere Büroräume. Vielleicht auch eine Suite des Direktors, wer wusste das schon?

Vor einer hohen Tür aus dunklem Holz mit goldener, angelaufener Klinke blieb ich stehen. Auf einem ebenfalls goldfarbenen Schild, das an ihr befestigt war, stand in geschwungener Schrift:
Direktoriat
Herr Wespausith

Ich ignorierte mein vor Aufregung pochendes Herz und hob die Hand, um zu klopfen. Im glatt polierten glänzenden Holz konnte ich matt mein Spiegelbild erkennen. Ich fuhr mir durch die Haare und versuchte, meine Frisur etwas zu richten. Dann hob ich erneut die Hand und klopfte an.
Nach ein paar Sekunden banger Erwartung hörte ich endlich: "Herein."

Die Klinke fühlte sich kühl an. Ich verspürte das dringende Bedürfnis, mir die verschwitzten Hände an meiner Jeans abzureiben, doch da hatte ich die Tür schon geöffnet.

Mein Blick glitt durch den Raum.
Durch die Fenster, an deren Seiten schwere Vorhänge hingen, sickerte trübes Nachmittagslicht. Die Wände waren mit dunklem Holz vertäfelt und wuchtige Möbel, die ebenfalls aus dunklem Holz gefertigt waren, ragten in Richtung der hohen Decke. Von der Einrichtung allein fühlte man sich schon eingeschüchtert und wie erschlagen.

Das Erscheinungsbild mit den großen Schränken, dem Sekretär, auf dem einige Bücher geschickt drapiert wurden und den Gemälden an der Wand machte insgesamt einen stilvollen Eindruck und wurde durch einem an der Decke hängenden Kronleuchter abgerundet, unter dem ein großer, ebenfalls hölzerner Schreibtisch stand, der mit Zetteln, Akten und Büchern überladen war.

Hinter diesem Tisch saß ein großer Mann mit ergrautem Haar, der mir entgegenblickte.
Er erhob sich und streckte mir die Hand entgegen.
"Guten Tag, mein Name ist Christoph Wespausith."
"Felicia Scherklint, guten Tag," erwiderte ich, trat endlich vollständig in das Büro und schüttelte die mir dargebotene Hand. Meine eigene war feucht vor Schweiß.

Ich ärgerte mich darüber, denn ich meinte, dass ihm das Wissen über meine Nervosität einen Vorteil im Gespräch verschaffte.
Auftreten war hier alles, wenn ich erreichen wollte, was ich anstrebte.
Als Ausgleich versuchte ich durch einen kräftigen Händedruck ihm meinen Durchsetzungswillen zu signalisieren.

"Bitte setzen Sie sich doch."
Ich tat wie mir geheißen und ließ mich auf das Polster des Stuhles dem Direktor gegenüber sinken.
Herr Wespausith setzte sich ebenfalls wieder und faltete die Hände auf dem Tisch.

"Also, Frau Scherklint, Sie wissen sicherlich warum Sie hier sind."
Es kam mir befremdlich vor, dass er mich siezte und mit Nachnamen ansprach, doch dadurch fühlte ich mich eher mit ihm auf einer Augenhöhe, als wenn er mich mit Vornamen angesprochen hätte.
"Frau Herlend hat mir davon berichtet, dass Sie ... nicht mit ihrem Stundenplan einverstanden sind. Können Sie mir Ihr Anliegen selbst noch einmal vortragen?"

Ich schluckte und setzte ein -hoffentlich- gewinnendes Lächeln auf. Jetzt kam es darauf an, wie überzeugend ich war.
"Wissen Sie," setzte ich an. "Das hier ist alles noch so neu für mich. Die Schule und die Schatten und so."
Herr Wespausith legte den Kopf ein wenig schief und beobachte mich. Ich hatte nicht geplant was ich sagen wollte und sprach deshalb einfach aus, was mir in den Kopf kam.
"In meiner Familie gibt es ja keine Umbrae. Ich habe so viel Zeit an einer normalen Schule verbracht und habe dort gute Freunde, die ich nicht verlieren möchte. Außerdem wäre es doch möglich, den speziellen Unterricht mit den Schatten hier zu absolvieren und ansonsten meine alte Schule zu besuchen. Das hat Frau Herlend mir gesagt!
Durch meinen Schatten werde ich nicht weiter beeinträchtigt, ich kann ihn kontrollieren."
Ich holte noch einmal tief Luft, doch mir fiel nichts mehr ein, was ich noch hätte hinzufügen können.

Iztal - SchattenspielWo Geschichten leben. Entdecke jetzt