Kapitel 5

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~ Soraya ~

Ich rannte und rannte, um dem Mann hinter mir zu entkommen, dessen ganzes T-Shirt blutbefleckt war, genau wie seine Haare. Zu meinem Schrecken war seine Kehle zerfetzt und aus der Wunde tropfte ununterbrochen die rote Flüssigkeit. Seit gefühlten Stunden irrte ich nun schon durch die Gänge und Straßen, um ihn abzuhängen, doch er gab einfach nicht auf. Eigentlich hätte er bei diesem Blutverlust schon längst Tod sein müssen. Oder? Tränen traten mir in die Augen, weil ich einfach nichtmehr konnte. Meine Beine schmerzten bei jedem Schritt und auch das Atmen fiel mir zunehmend schwer. Mit letzter Kraft rannte ich um die Ecke, bevor ich mich hinter einer Mülltonne an die Wand presste, die die einzige Möglichkeit war sich wenigstens etwas zu verstecken. Ich versuchte meinen lauten Atem und das Wimmern zu unterdrücken, damit der Mann mich nicht fand. Mit einer schnellen Bewegung wischte ich mir die Tränen aus den Augen, doch nach diesem kurzem Moment der Unaufmerksamkeit stand er schon vor mir. Ich wollte weglaufen, aber es ging nicht!! Panik wallte in mir auf, das konnte doch nicht wahr sein! Erneut versuchte ich mit aller Kraft meine Beine davon zu überzeugen zu laufen, aber diese waren wie festgewachsen. Verzweifelt fing ich wieder an zu weinen. Nein, nein, nein!!! Ich hatte das alles nicht gewollt! Der Mann stand noch immer reglos vor mir, bis er sich die Zähne leckte. Plötzlich riss er den Mund auf, wodurch seine langen Eckzähne zu Vorschein kamen und stürzte sich auf mich.
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Mit einem Schlag war der Horror vorbei und ich saß kerzengerade im Bett. Mein Pulsschlag beruhigte sich erst, als ich mich versichert hatte, dass ich wirklich in meinem Zimmer war und nicht wer weiß wo.
„Ist alles in Ordnung?", fragte meine Schwester, womit sie meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Irgendwie hatte ich sie übersehen.

„Ja", antwortete ich, während ich mich zurück auf mein Kissen fallen ließ. Man war das ein Schock gewesen!

„ Sicher? Du hast geschrien, um dich geschlagen und geweint...", bohrte sie weiter nach.

„ Es war ein Alptraum, nur ein Alptraum." Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich das mehr zu mir sagte als zu ihr. Man meinte ja immer, dass jeder in seinen Träumen etwas verarbeitete, aber ich hatte das wirklich nicht wissen wollen. Wieder tauchten die Bilder vor meinem inneren Auge auf, doch ich verbannte sie in die hinterste Ecke meines Gehirns.
Eine unangenehme Stille breitete sich zwischen Luci und mir aus, da keiner das Thema ansprechen wollte, obwohl sich jeder fragte was der andere glaubte. Waren wir wirklich Vampire? Ich hatte nie behauptet, an so etwas zu glauben, aber auf eine verdrehte Art und Weise schien es logisch. Allein das, was gestern geschehen war, war schon Argument genug. Auch dass Luci sich so verändert hatte und nun eine viel blassere Haut, weiße Haare und diese hellen stechenden Augen besaß, dass etwas nicht normales an ihr war. Außerdem würde das auch ihr Verhalten der letzten Woche erklären. Da ich es nicht mochte Menschen seelisch , körperlich oder auf irgendeine Art zu verletzen, hatte ich eigentlich keine andere Wahl als Cayden zu glauben und daran, dass er uns helfen konnte, wie er es gesagt hatte. Trotzdem hatte ich bedenken, was Luci anging. Sie hatte sich gestern heftig gegen die Aussage Caydens gesträubt und ihn für verrückt erklärt.

Ein Räuspern holte mich aus meinen Gedanken in die Wirklichkeit zurück.
„ Ich, ähm, gehe dann mal...", meinte meine Schwester und stand auf, aber gerade als sie die Hand auf die Türklinke gelegt hatte, rang ich mich dazu durch die entscheidende Frage zu stellen.

„ Glaubst du es?"

Luci, die immer noch mit dem Rücken zu mir gewandt stand, schüttelte leicht den Kopf. „Nicht wirklich", sagte sie noch bevor sie die Tür öffnete und verschwand.
Ich seufzte. Genau das hatte ich erwartet. Jetzt stand es eins zu eins, denn ich würde keinen Fuß ohne sie auf diese Akademie setzten, aber leider war Lucielle sehr stur und man brauchte schon gute Argumente, um sie zu überzeugen, womit sie mir das Leben ab und an ziemlich erschwerte. Dennoch liebte ich sie über alles. Sie war mehr als meine Schwester, sie war mein Zwilling, meine zweite Hälfte und meine beste Freundin zugleich. Wie meine Mutter gesagt hatte, Jing und Jang.
Meine Gedanken fingen wieder an um das Thema Vampire zu Kreisen. Ob wir uns nun nur von Blut ernähren mussten oder gab es einen anderen Weg? Ach verdammt! Ich drehte mich nur im Kreis! Ein unbändiger Tatendrang überkam mich, weshalb ich mein Radio anschaltete, auf volle Lautstärke drehte und anfing aufzuräumen. Man glaubte es kaum, ich, die die nie aufräumte, tat es nun freiwillig. Nach einer Stunde Arbeit war ich dreiviertel fertig, als plötzlich mein Handy anfing zu klingeln. Nur war dieses irgendwo in meinem Bett...oder hatte ich es doch in meine Nachttischschublade gelegt? Das kam davon, wenn man aufräumte, man fand einfach nichts wieder! Genau in dem Moment in dem der Anrufer auflegte, hatte ich das Handy gefunden. Super, es war doch immer das gleiche! Ein verpasster Anruf von Sam wurde auf dem Display angezeigt. Eigenartig. Sonst rief Sam mich nie an...
Ich drückte auf Rückruf und obwohl sein Anruf keine halbe Minute her war, nahm er nicht ab. Nach dem fünften klingeln, gab ich es auf und schrieb ihm eine WhatsApp, aber auch hier kam keine Antwort. Vielleicht hatte er sich verwählt?

Nachdem ich noch etwas auf dem Handy gespielt hatte, beschloss ich mal wieder zu lüften, da die Luft hier drinnen ziemlich schlecht war. Als ich den Vorhang einen Spaltbreit geöffnet und ein Lichtstrahl auf die nackte Haut an meinen Arm fiel, schoss mir ein Schmerz durch den ganzen Körper. Ich schrie auf und meine Beine gaben unter mir nach. Fast panisch wich ich vor dem Licht zurück bis mein Rücken auf die kalte Wand traf. Nachdem ich mich wieder etwas beruhigt hatte und die Schmerzen minimal schwächer geworden waren, sah ich mir die Wunde an. Auf meinem Unterarm prangte eine tiefe, zehn Zentimeter lange Brandwunde. Zum Glück hatte ich immer etwas Wasser in meinem Zimmer, damit ich nicht mitten in der Nacht in die Küche musste, wenn ich durst hatte. Vorsichtig ließ ich etwas der kühlen Flüssigkeit auf meinen Arm tropfen. Als das Wasser auf die Wunde traf, sog ich scharf die Luft ein. Es brannte höllisch! Doch kurz danach wurde es besser und meine Haut fing schon langsam an zu heilen. Mit geschlossenen Augen lehnte ich meinen Kopf an die Wand hinter mir. Was hatte das jetzt zu bedeuten? Luci konnte sich doch bereits in der Sonne bewegen, erst gestern hatte ich sie im Sonnenlicht stehen sehen! Musste ich mein ganzes Leben jetzt nur noch im dunkeln verbringen, während Luci bei Tageslicht herumspazieren konnte wie ihr lieb war?

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Nach einer Weile konnte ich wieder aufstehen, selbst wenn ich noch etwas wackelig auf den Beinen war. Die Brandwunde war schon etwas kleiner geworden, dennoch beschloss ich sie noch ein Mal zu kühlen und da unser Bad kein Fenster hatte, sollte das kein Problem sein.

Wir hatte zwei Bäder im Haus, eins für meine Eltern, welches etwas größer war und das kleinere für uns.
Ich machte um den Lichtstrahl einen so großen Bogen wie möglich und zog mir, als ich am Kleiderschrank vorbei kam, ein kleines Jäcken über, dabei achtete ich peinlichst genau darauf, dass kein Stück Stoff meine Verletzung berührte. Ich huschte ins Bad, wo ich sofort die Tür hinter mir abschloss. Danach öffnete ich den Wasserhahn, um meinen Unterarm darunter zu halten. "Verdammte Scheiße!", fluchte ich, weil es so weh tat, als das kühle Nass meinen Arm berührte. Mein Blick fiel auf den Spiegel oder besser gesagt in den Spiegel, der über dem Waschbecken hing. War das wirklich ich? Meine schönen hellblonden Haare, waren zu einem hässlichen weiß gebleicht, aber auch meine Augen sahen nicht besser aus, denn diese besaßen nun außen einen hellen weißen Rand der nach innen hin immer blauer wurde. Ich sah aus wie ein Gespenst! Hätte ich nicht wenigstens mein Aussehen behalten können?! Eine Träne löste sich aus meinem Augenwinkel. Ich wollte einfach nicht mehr. Dieser ganze übernatürliche Kram! Ich hatte nicht darum gebeten ein Vampir zu werden! Wütend wischte ich mir die Träne von der Wange. Gefühle und Tränen waren reine Verschwendung, denn die konnten einem auch nicht helfen, außerdem machten sie das Leben nur noch komplizierter. Es klingelte, aber ich ignorierte es einfach und verschwand wieder in meinem Zimmer. Für mich war das Leben gerade gestorben.

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Was haltet ihr von Sorayas Reaktion? Mein ihr sie ist übertrieben oder gerechtfertigt?

~ Tiara ~

Blutsschwestern-Die Schwestern des TodesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt