zeichnung für dich

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als ich dich kennenlernte, fing ich an, sprachen zu lernen. 

unzählige sprachen, in der hoffnung, du würdest sie sprechen. 

aber du sprachst keine einzige. 

und als ich das begriff, schmiss ich alles gelernte wieder weg. 

es war hoffnungslos und unsinnig gewesen, all diese sprachen zu lernen, wenn du doch sowieso keine einzige kanntest.

ich beschloss, nicht mehr auf dich einzureden, mit all den worten, die du niemals verstehen könntest.

stattdessen begann ich, dir zuzusehen.

und was ich sah, ließ mich begreifen.

du kanntest keine dieser sprachen, redetest nicht, weil worte für dich bedeutungslos waren.

sie erfüllten dein leben weder mit trauer, noch mit glück, sie machten für dich keinen unterschied.

sie erweckten keinerlei gefühle.

sie ließen dich kalt.

ich verstand, als ich sah, wie du zeichnetest. 

es war die kunst, die dich berührte.

also fing ich an zu zeichnen.

und ich zeichnete alles.

alles, was ich die ganze zeit versucht hatte, dir zu erzählen.

ich gab mir so viel mühe, zeichnete tag und nacht.

ich wollte, dass meine zeichnungen dir gefallen, wie deine mir gefielen.

und als ich dich dann wieder sah, schob ich dir meine zeichnungen rüber.

du betrachtetest jedes noch so kleine detail, damit dir auch ja nichts entgehen konnte.

und als du fertig warst, da lächeltest du.

du lächeltest so lange und so breit und ich verstand nicht wieso.

aber dann wurde mir klar.

du hattest jemanden gefunden, der bereit war,  dir zuzuhören, ohne dass du eine sprache sprechen musstest.

jemanden, der sich so viel zeit genommen hatte, zu erkennen, wer du warst.

jemanden, der erkannte, wie ausdrucksstark ein blatt papier, ein stift und die fantasie, im gegensatz zu einfachen worten waren.

seit diesem tag spreche ich keine sprache mehr, ich zeichne.

meistens für dich.


survive my own little galaxy  #Pessi-Award2019Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt