Immer ängstlicher nähere ich mich dem Blonden mit recht breiten Schultern, bis ich neben ihm stehe. Er schenkt mir keine Beachtung,seine blauen Augen sind weiter auf den Statuten fixiert. In seiner Hand hält er die Rose, die ich zuvor abgelegt hatte.
Ich traue mich nicht zu sprechen.
Etwas beschämt drehe ich mich ebenfalls zu den Figuren und schaue hinauf. Sie funkeln - genau wie die Augen der Person, die neben mir steht.
Es vergehen gefühlte 5 Minuten, eh das erste Wort aus seinem Mund fällt. "Wer bist du?",fragt er mich ohne eine Begrüßung und ohne mich auch nur anzusehen.Ich schrecke auf - er spricht perfektes deutsch! Wie ist das möglich?Ich habe seit Jahren niemanden mehr deutsch sprechen gehört.
Eh ich ihm antworte sehe ich ihn erneut an, nun fällt mir das Hakenkreuz an seiner Armbinde auf, dann erhasche ich erneut ein Blick in sein Gesicht. Blond, blauäugig, seine Haut ist hell und der leichte Bart ist wohl Geschmackssache, aber ich finde, es sieht recht gut aus.
Wieder sucht mein Blick die Statue.
"Jaewoo. Jong Jaewoo.", wackelt meine Stimme hin und her. Er bleibt kurzruhig, meint dann aber kühl und besonnen:"Ich habe von dir gehört."
Ich weiß nicht was ich sagen soll.
"Wie heißen Sie?", wähle ich nun als passende Antwort aus. Ein minimales Lächeln ziert nun sein Gesicht, er kommt mir immer bekannter vor.
"Nenn' mich Leutnant.", grinst er kaum hörbar. Ich frage nun etwas mutiger:"Leutnant, wissen Sie, was mit den ganzen Menschen passiert ist?"
"Nein.",spricht er fast schon gleichgültig und wendet sein Gesicht zu mir, in welches ich nun blicke.
Er sieht aus wie ein Engel, ein Übermensch. "Warum sind Sie hier?", frage ich ihn und schaue wieder weg. Er tut es mir gleich und schüttelt leicht mit dem Kopf:"Manche Dinge verstehe selbst ich nicht."
Wieder ist Stille und ein kurzer Blick auf meine Uhr sagt mir, dass schon eine halbe Stunde vergangen ist.
"Woher haben Sie von mir gehört, und warum?", frage ich ihn nun. Wieder kommt ein kurzes Lächeln über seine Lippen:"Du hast ein gutes Herz, anders als die Meisten."
"Sie haben also von meiner Arbeit hier gehört?", frage ich und schaue zu ihm auf, er blickt mir in die Augen. Seine blauen Augen werden vom künstlichen Licht getroffen, er braucht etwas um zu antworten, ihm scheint die unangenehme Stille nicht zu stören:"So zu sagen... Sag' mal, ist dir nicht kalt?""Ich denke schon.", meine ich,"Ich sollte wohl besser gehen. Kommen Sie irgendwo unter?"
Sein Blick fällt auf die Rose in seiner Hand, er hebt sie etwas und reicht sie mir."Das ist deine.", flüstert er schon fast,"So sehr sie diese Blume verdienen - du verdienst sie umso mehr."
Wer ist dieser mysteriöse, attraktiver Mann nur?
Ich nehme vorsichtig die rote Blume aus seiner Hand. Wieder bleibt mir das Wort im Halse stecken. In seiner anderen Hand befindet sich ein Buch mit blankem Umschlag, welches mir vorher nicht aufgefallen ist. Der Leutnant schaut auch dieses kurz an und gibt es mir mit bedacht.
"Sagen Sie, wie führt einen SS-Mann des zweiten Weltkrieges nach Pyongyang?", frage ich ihn nun. Er weiß sichtlich keine Antwort. Sein Blick fällt auf das Buch - ich soll es wohl öffnen.
Ich bleibe stumm und schaue ihn wieder an.
Er ist so unglaublich hübsch.
"Leutnant, haben Sie eine Unterkunft?",frage ich nun. "Ich kann auch einfach hier stehen bleiben.", lacht er leicht. Irgendetwas an ihm fasziniert mich und gibt mir Sicherheit. "Tu mir bitte einen Gefallen.", spricht er fast schon bestimmend,"Geh die nächste Zeit nicht vor die Tür, schließe dich ein, entferne den Umschlag vom Buch und lege es gut sichtbar auf deinen Wohnzimmertisch." Aus seiner Brusttasche holt er nun einen Anstecker mit roter Umrandung. "Trag ihn, er wird dir das Leben retten."
Er schaut mich noch ein Mal an, nickt und geht zügig vom Platz, verschwindet hinter einem Gebäude. "Warten Sie, Leutnant!", rufe ich ihm hinterher und folge seinem Weg - und lande in einer Sackgasse.
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Pyongyang Nights
Short StoryJaewoo ist vor seinen Verfolgern entkommen, indem er vor rund 5 Jahren nach Nordkorea geflüchtet ist. Dort hat er sich eine Existenz aufgebaut und lebt ein glückliches Leben als Geschäftsmann im Zentrum der Hauptstadt Pyongyang. Jedoch meint es das...