Prolog

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Hallo mein Name ist Charlotte Leonard, allgemein stelle ich mich aber immer als Lotte vor. Mit meinen 22 Jahren gehöre ich eher zur jüngeren Generation.
Mit meinem vollem Namen kann ich genau so wenig anfangen, wie mit meiner Familie.
Nicht dass ihr mich falsch versteht, meine Familie hat mich nie misshandelt oder ähnliches. Es ist nur so, dass ich aus einer klassischen Akademikerfamilie komme. Mein Vater ist Professor an der Uni in München für Physik und meine Mutter als diplomierte Psychologin, natürlich mit eigener Praxis, erfolgreich: Spezialgebiet Paartherapie. Auch meine ältere Schwester Clara hat eine Akademikerlaufbahn eingeschlagen.  Mit jetzt 27 Jahren ist sie schon ausgezogen und arbeitet als Architektin in dem Büro ihres Freundes.

Alle sind verdammt erfolgreich und natürlich hat meine Schwester ein perfektes Abitur gemacht. Mir im Gegensatz ist die Schule nie leicht gefallen. Gerade so habe ich mein Abitur geschafft. Eins kann ich euch sagen: Schule in Bayern ist nicht leicht! Mit meinen schulischen Problemen haben mich meine werten Eltern ab der 9. Klasse in ein Internat gesteckt, damit ich „spezielle auf mich angestimmte Förderung" erhalten kann. Auf jeden Fall habe ich so, gerade das Abi geschafft... Das ist mittlerweile aber auch schon wieder 4 Jahre her.
Wie ihr euch vorstellen könnt, ist das Verhältnis zu meinen Eltern durch die Internatsaktion nicht gerade besser geworden und auch zu meiner Schwester hatte ich nie eine richtig gute Verbindung. Ihre Probleme drehten sich um ihren Freund, während ich mit der Schule zu kämpfen hatte. Da sind einfach keine Gemeinsamkeiten vorhanden.

Von meinen Eltern zum Studieren gedrängt, habe ich mich in ein Fach ohne NC eingeschrieben. Es ist Biologie geworden, zumindest ein Fach, in dem ich in der Schule einigermaßen gut war, dachte ich. Es war eine einzige Katastrophe und nach einem Nervenzusammenbruch, da ich mit dem Uni-Stress nicht klar kam, brach ich das Studium im 2. Semester ab.

Meine Eltern haben endlich gemerkt, dass sie mich nicht in dieses Akademikerkorsett stecken können und ich habe mit meiner Ausbildung zur Notfallsanitäterin angefangen.
Zu Hause wohne ich während meiner Ausbildung noch, denn mit einem Ausbildungsgehalt muss man in München nicht versuchen eine Wohnung zu finden und ein Wg-Typ bin ich einfach nicht. Ich würde mich nicht als Menschenfeind beschreiben, wäre als Notfallsani ja auch nicht ganz so passend, aber ich bin echt froh nach einem langen Tag auch mal meine Ruhe zu haben.

Auch wenn meine Eltern meiner Ausbildung schlussendlich zugestimmt haben, steht mein „Versagen" als Nicht-Akademikerin immer unausgesprochen zwischen uns, was mich einfach fertig macht. Es sind diese kleinen Anmerkungen, die Vergleiche zu meiner erfolgreichen Schwester, mit denen ich einfach nicht klar komme. Clara hier, Clara da. „Hast du schon gehört Charlotte, dass Clara den Architekturwettbewerb gewonnen hat? Und das mit 27 Jahren, damit ist sie die jüngste Gewinnerin! Wir sind so stolz auf sie!" Ich weiß gar nicht, ob meine Eltern mir je gesagt haben, dass sie stolz auf mich sind.

Obwohl ich im Moment zu Hause wohne, sehe ich meine Eltern nicht wirklich häufig. Wir leben mehr aneinander vorbei.
In Kürze schließe ich endlich meine Ausbildung ab. Beworben habe ich mich schon in unterschiedlichen Städten, da ich hier einfach raus muss.
Natürlich haben meine Eltern nichts dagegen, dass ich ausziehe. Ist natürlich gut für sie, nicht mehr „ihr Versagen als Eltern", da sie es nicht geschafft haben aus mir eine Akademikerin zu machen, im Haus wohnen zu haben. Das mag etwas hart klingen, aber so fühle ich mich. Als Versagerin in einer Überfliegerfamilie.

Dass ich auch Sachen habe in denen ich gut bin, interessiert selbstverständlich keinen. Kickboxen mache ich mittlerweile seit meinem Nervenzusammenbruch vor drei Jahren, aber dass ich sogar Talent habe, interessiert meine Eltern nicht. Ist in ihren Augen ein „Männersport". Meine Schwester als Pianistin, die neben ihrer Arbeit immer mal wieder kleinere Konzerte gibt, ist natürlich viel angemessener und ein super Gesprächsthema, um vor Freunden anzugeben.

Naja, ich freue mich, dass ich bald hoffentlich ausziehen und einen Neuanfang starten kann.

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