Peinlich, peinlich

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Langsam merke ich, wie ich wieder aufklare. Bestätigt wird mir das durch eine mir unbekannte Stimme. Ein: „Ich glaube sie kommt wieder" höre ich, kann es aber nicht zuordnen. Ich versuche die Augen zu öffnen, was mich im Moment aber genauso anstrengt, wie der letzte Kilometer ein Marathons. Nicht, dass ich damit Erfahrung hätte, aber ich glaube man versteht, was ich meine. Nach gefühlten Stunden schaffe ich es die Augen zu öffnen. Ich liege auf einer Trage, aber was ist passiert? „Na, wieder bei uns?", höre ich eine Stimme, die ich zumindest Klaus zuordnen kann. Yey me, zumindest bin ich nicht komplett orientierungslos... Oh Gott, langsam verstehe ich was das heißt. Ich bin bei meinem Vorstellungsgespräch auf der Rettungswache kollabiert. Geht es eigentlich noch peinlicher?

Ich versuche mich aufzusetzen, werde aber sofort wieder auf die Liege gedrückt. „Du bleibst hier erstmal liegen! Zumindest bis die Infusion durchgelaufen ist", höre ich jemanden sprechen. Erst jetzt merke ich, dass ich eine Nadel im Handrücken stecken habe und dort gerade eine Infusion durchläuft. An meiner anderen Hand bemerke ich einen Clip, der meine Herzfrequenz und Sauerstoffsättigung misst. Nachdem jemand so nett war und das Kopfteil hochgestellt hat, kann ich mich nun auch besser orientieren. Ich bin in einem Arztzimmer, wohl in der Rettungswache und um mich herum stehen Klaus und zwei andere mir unbekannte Personen.

Super, so schnell lerne ich meine zukünftigen Kollegen kennen. *Ironie aus* „Genau Lotte. Bei dir ist alles in Ordnung", sagt  Klaus halb augenzwinkernd, halb ernst, „du warst gerade eine viertel Stunde bewusstlos und dein Blutzuckerspiegel war eindeutig zu niedrig. Mensch Mädchen, du bist doch Sani und musst auf die Signale deines Körpers achten!" Verlegen schaue ich ihn an und sage leise: „Ich war heute morgen und auch gestern schon einfach viel zu nervös. Ich habe mir so einen Druck gemacht, weil ich unbedingt den Job hier haben möchte, dass ich einfach keinen Hunger hatte. Gestern habe ich mir sogar ein Sandwich gekauft, aber es einfach vergessen zu essen. Ich mache das ja nicht extra. Deshalb war mir auch schwindelig im Büro und ich hatte höllische Kopfschmerzen. Das ist jetzt aber weg. Es tut mir leid, dass ihr wegen mir so einen Aufwand machen musstet". Betreten schaue ich auf meine Hände und entdecke ein wenig Dreck unter den Fingernägeln, den ich hochkonzentriert entferne.

„Wir haben uns Sorgen um dich gemacht", sagt Klaus eindringlich. Ich sehe ihn erstaunt an. Seit wann macht sich jemand Sorgen um mich? Noch dazu kenne ich ihn ja eigentlich gar nicht.  Der andere Mann, der mich vorhin wieder auf die Liege gedrückt hat fängt wieder an zu sprechen: „Wenn es weiter nichts ist und du nur vergessen hast zu essen, gehe ich mal davon aus, dass es nichts Ernstes ist. Ach so, ich bin übrigens Oliver Dreier und Notarzt hier, aber Oli reicht". „Lotte", murmele ich. „Ich weiß", sagt Oli lachend. Jetzt kommt auch die andere Person und stellt sich als Marion Fröhlich vor.

Oh Gott ich versinke hier wirklich gleich im Boden. So habe ich mir das Kennenlernen mit meinen zukünftigen Kollegen echt nicht vorgestellt. „Ich würde mal sagen, dass du hier liegen bleibst bis die Glucose-Infusion durchgelaufen ist", sagt Oli noch einmal, „dann kannst du meinetwegen auch wieder aufstehen,  aber bitte gebe Bescheid, wenn es wieder schlimmer wird". Das sind Worte, die eigentlich ich sonst nur immer von mir gebe, wenn ich mit Patienten spreche. Ich nicke und Klaus sieht mich prüfend an. „Versprochen", sage ich kleinlaut. „Na dann kannst du uns wieder frei melden", sagt Oli schmunzelnd zu Marion.

Echt peinlich, denke ich mir. Die waren extra wegen mir geblockt... Zumindest waren die beiden sehr nett, ganz nach dem Motto: Immer etwas positives in jeder Situation suchen... Ich hänge noch ein wenig meinen Gedanken nach und merke gar nicht, dass Oli und Marion den Raum schon wieder verlassen haben und Klaus vor mir steht. Erst als er was sagt, sehe ich erschrocken auf. Déjà-vu... „Nicht wieder eintrüben", sagt Klaus zwinkernd, „ich sagte, dass ich dir die Infusion jetzt abmache und dann nochmal deinen Blutzucker messe, der müsste jetzt aber wieder im normalen Bereich sein".

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