Kapitel 6

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Schnell zog Ariel die Tür hinter sich zu und lehnte sich dagegen. Sein Bett gewärmt... War sie deshalb entführt worden? Hatte er die ganze Zeit nur das von ihr gewollt? Ihr etwas vorgespielt? Ein stechender Schmerz zuckte durch ihre Brust. Warum machte ihr das soviel aus? Hatte sie denn nicht die ganze Zeit gewusst, dass sie ihm nicht trauen durfte? Warum fühlte sie sich dann, als hätte es sie enttäuscht? Sie hatte es gewusst und dennoch... Erst als etwas auf ihre Hand fiel, wurde ihr bewusst, dass sie weinte. Ärgerlich wischte sie die Tränen fort. Sie konnte hören, wie er zur Tür kam, doch er machte keinerlei Versuche sie zu öffnen, stattdessen sagte er: „Hör mir bitte zu. Ich konnte nicht ahnen, dass mein Vater kommen würde. Bitte glaubt mir, es war nicht meine Absicht euch irgendetwas zu tun. Ich verspreche es euch, ich werde euch nicht anrühren. Also kommt bitte wieder raus.“ „Warum,“ fragte sie. „Warum sollte ich euch glauben?“ „Ich werde warten, ich werde so lange hier stehen bleiben, bis ihr mir glaubt und heraus kommt. Außerdem, meint ihr nicht, ich hätte euch längst dazu genötigt, wenn es tatsächlich mein einziges Interesse wäre mit euch zu schlafen?“ Bei dem Gedanken daran, wie leicht dies für ihn, einen Prinzen, wäre, fröstelte sie. Aber er hatte recht... Er hätte sie schon unzählige male berühren können, wenn er das gewollt hätte und vor Adrien hatte er sie auch beschützt... Dabei kannte er nicht einmal ihren Namen. Sie atmete noch einmal tief durch, dann öffnete sie die Tür und er stand vor ihr. „Warum habt ihr das dann gesagt?“ Er seufzte. „Weil mein Vater anders ist als ich. Wenn er auch nur den Verdacht hegen würde, dass ich euch in seinem Sinne nicht brauchen würde, würde er über euch herfallen.“ Er streckte die Hand aus und strich ihr sanft über die Wange, sie bemühte sich ihm ihre Angst nicht zu zeigen, indem sie zurückschreckte. „Und das will ich nicht,“ fügte er leise hinzu. Sie machte einen Schritt zurück, erneut drohten die Tränen in ihren Augen überzulaufen und sie senkte den Kopf. „Warum,“ ihre Stimme brach weg und sie versuchte es erneut. „Warum ist euch das wichtig? In euren Augen bin ich nichts weiter als irgendein Mädchen.“ Er hob ihr Gesicht an und sie schrak zurück, seine Mine war wütend. „Das stimmt nicht, ihr seid nicht irgendein Mädchen und als mein Vater euch entführte habe ich die Verantwortung für euch übernommen. Also werde ich nicht zulassen, dass euch etwas passiert. Habt ihr das verstanden?“ Nein, sie verstand es nicht. Warum sollte sie etwas besonderes für ihn sein? Er konnte sich einfach jemand anderen holen. Dennoch nickte sie, denn er sah so aus als ob er es ernst meinen würde. Urplötzlich legte er den Kopf schief und musterte sie, dann nahm er sie an die Hand und führte sie zum Sofa, dort bedeutete er ihr sich zu setzen und lies sich dann ihr gegenüber in den Sessel fallen. „Ihr wollt mir euren Namen immer noch nicht verraten, oder?“ Ihre Augen weiteten sich ein wenig und sie schüttelte schnell den Kopf, sie wusste immer noch nicht, was sie von ihm halten sollte. Er lächelte. „Dachte ich mir schon. Aber dann sagt mir, wie ich euch nennen soll.“ „Wie meint ihr das?“ Er zuckte mit den Schultern. „Irgendwie muss ich euch doch nennen. Also habt ihr einen Spitznamen, oder so?“ Sie überlegte, in ihrem Heimatdorf hatte sie niemanden gehabt, für den es nötig sein könnte einen Spitznamen zu brauchen. Ihre Amme hatte sie früher Ari gerufen, aber diese war schon vor langem gestorben. Und sie wollte nicht, dass er sie so nannte. „Nein, ich hab keinen Spitznamen.“ Er sah sie durchdringend an. „Warum? Haben deine Freunde dir denn keinen gegeben?“ Sie wandte das Gesicht ab. Sie würde ihm ganz sicher nicht erzählen, dass sie nie Freunde gehabt hatte, das ging ihn nichts an. „Nein.“ „Dann sag mir einfach, wie ich dich nennen soll.“ „Ich weiß nicht.“ Er legte den Kopf schief und schien zu überlegen. „Bist du mit Aquamarin zufrieden?“ fragte er schließlich. „Aquamarin,“ wiederholte sie. „Wie kommst du auf so einen komplizierten Namen?“ Er lächelte. „Weil deine Augen die Farbe von Aquamarinen haben und ich den Namen hübsch finde, also was ist? Findet ihr ihn schön?“ Langsam nickte sie. „Ja, es ist ein schöner Name, aber ist er für einen Spitznamen nicht viel zu lang?“ „Ist doch egal, wenn er euch gefällt, dann nenne ich euch solange so, bis ihr mir euren richtigen Namen verratet.“ Sie wurde ein wenig rot, die Farbe ihrer Augen... Die anderen aus ihrem Dorf hatten sich immer vor ihnen gefürchtet. „Mögt ihr Tiere?“ fragte er aus heiterem Himmel. Damit hatte sie nicht gerechnet. „Ja, die meisten. Wieso fragt ihr?“ Er zuckte mit den Schultern und grinste schelmisch. „Vielleicht nur so, vielleicht aber auch, weil ich mehr über euch wissen möchte. Wer weiß. Aber wärt ihr gewillt mir ein paar meiner Fragen zu beantworten?“ Neugierig legte sie den Kopf schief. Was er wohl wissen wollte. „Das kommt auf die Fragen an.“ „Was ist eure Lieblingsfarbe?“ „Blau.“ „Wieso blau?“ Sie runzelte die Stirn. „Ich weiß nicht, blau war schon immer meine Lieblingsfarbe, das ist einfach so.“ „Und euer Lieblingstier?“ „Mein Lieblingstier?“ Sie legte den Kopf schief und überlegte. „Ich denke ich habe viele Lieblingstiere, aber wenn ich mich konkret entscheiden müsste, würde ich wahrscheinlich entweder einen Adler oder einen Wolf nehmen. Wölfe haben mich schon immer fasziniert, aber Adler sind auch hübsch und stolz. Such dir eines von beiden aus, ich kann mich nicht entscheiden.“ „Wölfe... Wölfe sind hübsche Tiere.“ Urplötzlich knurrte ihr Magen. „Hast du Hunger? Wir könnten etwas aus der Küche holen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, noch nicht wirklich.“ „Würdet ihr dann mit mir kommen, während ich Ilias einen Besuch abstatte. Ich bin mir sicher, er würde sich auch freuen, euch wieder zu sehen.“ Sie senkte den Blick, sie wollte nicht, aber noch weniger wollte sie allein da bleiben. Er schien ihre Gedanken erraten zu haben, denn er sagte: „Ihr müsst keine Angst haben, er ist wirklich nett und irgendwie war es ja auch meine Schuld, dass er euch Angst eingejagt hat. Ich hatte ihm befohlen euch wieder zu bringen, also hatte er gar keine andere Wahl. Tut mir leid.“ Er lächelte zerknirscht. „Außerdem, bin ich ja noch da und ich werde dir nicht von der Seite weichen. Ehrenwort. Ja?“ Wenn er die ganze Zeit da blieb konnte sie wohl... „Also gut, ich werde mit kommen.“ Er stand auf. „Das ist schön.“ Er wandte sich zur Tür. „Kommt ihr?“ schnell folgte sie ihm. „Ihr müsst mich nicht siezen, das fand ich schon die ganze Zeit seltsam. Das hat früher auch niemand gemacht. Das ist ungewohnt.“ Er blieb stehen, drehte sich um und nahm ihr Gesicht in die Hände. Vor Überraschung wehrte sie sich nicht. „Seid ihr euch da sicher?“ fragte er sie eindringlich. Sie schaffte es nur zu nicken. „Das freut mich sehr, Aquamarin.“ Obgleich des ungewohnten Spitznamens legte sie den Kopf schief. „Das hört sich auch ungewohnt an.“ Er lachte. Es war das erste mal, dass sie ihn Lachen hörte. Es war ein schöner Laut, bei dem sie am liebsten mitlachen würde. „Dann müsst ihr...“ Schnell korrigierte er sich. „Dann musst du mir nur deinen echten Namen sagen und ich höre auf dich so zu nennen. Im übrigen kannst du auch aufhören, mich mit euch anzureden. Das nervt.“ „Aber...“ Sie wollte protestieren, doch er unterbrach sie. „Es nervt mich schon genug wenn andere das tun und Adrien tut das ja auch nicht, also tu mir diesen Gefallen, ja?“ „Wie ihr... Wie du willst.“ Sie versteckte sich hinter ihren Haaren, denn sie wurde schon wieder rot. „Würdest du das bitte lassen.“ Sagte er plötzlich. Verwundert schaute sie auf, sein Gesicht war verärgert. „Was?“ fragte sie verwirrt. Er schob ihr die Haarsträhne hinters Ohr. „Dich immer hinter deinen Haaren verstecken, ich werde so schon nicht schlau aus dir, dann musst du dein Gesicht nicht auch noch hinter deinen Haaren verstecken.“ „Das mache ich aber immer,“ sagte sie verunsichert. Er lächelte wieder. „Dann hörst du jetzt damit auf.“ „Ich kann es versuchen.“ „Hier lang.“ Er bog um eine Ecke und blieb vor einer Tür stehen. „Hier wohnt Ilias,“ sagte er und klopfte. „Einen Moment.“ Kam die gedämpfte Antwort, dann hörten sie Schritte. Sie konnte nicht anders, griff nach seinem Ärmel und stellte sich dichter neben ihn. Jetzt wurde die Tür geöffnet und Ilias sah sie erstaunt an. Sie machte noch einen Schritt weiter hinter Lyrian. Ilias lächelte sie an. „Ihr habt also immer noch Angst vor mir. Ich werde euch nichts tun, stimmt's, Lyrian?“ Er zuckte entschuldigend mit den Schultern und grinste. „Ich hab schon versucht es ihr zu sagen, aber sie glaubt mir nicht.“ Böse blickte sie zu ihm hoch. „Kommt rein.“ Lyrian ging durch die Tür, sie blieb einen Augenblick unschlüssig in der Tür stehen, dann folgte sie ihnen in den Raum. Ilias setzte sich in den Sessel und Lyrian auf das Sofa. Wieder verharrte sie unschlüssig. Diesmal bemerkte Lyrian es und klopfte auf den Platz neben sich. „Ich habe dir doch gesagt, dass du keine Angst haben musst, also komm her und setz dich.“ Sie tat was er gesagt hatte und setzte sich neben ihn. Der Mann schien sie interessiert zu beobachten und sie versteckte sich wieder hinter ihren Haaren. Doch der Junge nahm die Strähne und strich sie wie selbstverständlich hinter ihr Ohr. „Du wolltest versuchen das zu lassen,“ ermahnte er sie. Sie duckte sich leicht und wurde noch roter, doch er hatte sich bereits wieder abgewandt und sah den Mann an. „Gibt es irgendwas neues, Ilias?“ Dieser lenkte seinen Blick jetzt ebenfalls von ihr ab. „Es hat wieder Angriffe an der Grenze gegeben. Und wieder scheint es als wäre das ein und dieselbe Bande gewesen, da alle Überfälle die gleichen Punkte aufzuweisen haben. Die Soldaten werden kurz vorher beinahe alle krank, sie nehmen immer alle Waffen mit und keiner hat sie gesehen, da sich die, die nicht erkrankt sind um ihre Kameraden kümmern müssen.“ „Haben die Soldaten medizinische Versorgung?“ Ilias seufzte. „Das ist das Problem, in den meisten Fällen sind die Heiler ebenfalls erkrankt, so dass die medizinische Versorgung ausfällt.“ Lyrian lehnte sich zurück und schloss die Augen. „Das ist in der Tat verzwickt. Wenn wir weitere Soldaten oder Heiler hinschicken, könnten auch diese erkranken und damit wäre nichts gewonnen. Ich bin momentan also machtlos dagegen.“ Plötzlich meldete sie sich. „Aber sagtet ihr nicht, dass es noch Leute gibt die gesund sind?“ Überrascht schauten die beiden sie an. „Das nützt aber nicht viel, weil diese keine Heiler sind und wir auch keine neuen hinschicken können.“ Antwortete Ilias. Sie machte sich wieder klein. Sie verstanden nicht was sie wollte. „Ja, aber auch normale Leute könnten eine, oder am besten gleich mehrere, Krankengeschichten notieren und diese dann zu einem Heiler außerhalb bringen, so könnte dieser dann herausfinden was für eine Krankheit es ist und vielleicht sogar Medizin herstellen, ohne selbst in Gefahr zu geraten, der Krankheit zu erliegen, oder nicht?“ Die Beiden ihr gegenüber sahen erst einander an, dann sie. „Das ist brillant,“ sagte Lyrian schließlich. „Wie kommst du auf so etwas?“ Sie konnte spüren wie sie wieder rot wurde. „Weil ich keine Eltern hatte, hat sich die Dorfheilerin meiner angenommen. Sie hat mir gelegentlich ein paar Dinge beigebracht.“ „Keine Eltern...“ wiederholte er. Sie wandte das Gesicht ab. „Egal,“ beeilte sich Ilias und sie war ihm ausnahmsweise dankbar dafür. „Das ist ein guter Plan, ich werde umgehend einen Boten aussenden und du solltest etwas essen gehen Lyrian.“ Er erhob sich. „Woher...“ wollte Lyrian fragen, doch Ilias war bereits durch die Tür verschwunden.

Des Prinzen Aquamarin {On Hold}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt