Kapitel 2- Das Blutbad

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Keine Gedanken haben Platz in meinem Kopf, keine Gefühle, nur meine Beine die mich immer näher ans Füllhorn bringen.
Ich muss als Erstes da sein. Ich muss.
Ein Tribut, ein Junge, nähert sich mir gefährlich nahe von der Seite und ich zögere keine Sekunden.
Ich habe keine Waffen, noch nicht, nur meine Fäuste und ich wirbele im Rennen herum und befördere ihn mit einem kräftigen Fausthieb zu Boden.
Sofort renne ich weiter, achte nicht auf ihn und sehe dass schon andere vor mir am Horn angekommen sind.
Nein! Mein Bogen!
Ich mache einen scharfen Schlenker nach rechts um einem anrasenden Messer zu entkommen und reiße den Bogen an mich.
Während ich mich ruckartig umdrehe lege ich einen Pfeil ein, ziehe die Sehne weit zurück und fixiere den Jungen der gerade ein weiteres Messer zieht.
Ich erhasche einen kurzen Blick auf sein Gesicht, auf den eingestickten Buchstaben und die Zahl auf seiner rechten Brusttasche. T7. Ein Tribut aus Distrikt 7. Mithilfe der Buchstaben würde es uns leichter fallen zwischen Tributen und Siegern zu unterscheiden.
Zwischen gefährlich und sehr gefährlich.
Mein Pfeil landet genau in seiner Brust, durchsticht das T und er wird nach hinten gerissen.
"Guter Schuß", sagt eine Stimme hinter mir, rau und honigsüß.
Ich wirbele herum und sehe das feixende Grinsen von Victoria, dem Siegermädchen aus Distrikt 2, dann ist sie verschwunden, eine riesige Hellebarde im Schlepptau.
Es juckt in meinen Fingern diesem hinterhältigen Mädchen einen Pfeil in den Rücken zu jagen, doch sie ist meine Verbündete und muss sie bei Laune halten. Es wäre dumm, wenn wir uns als Karrieros gleich am ersten Tag gegenseitig umbringen.
Ein kurzer Rundumblick, dann laufe ich wieder zum Füllhorn, wo die meisten Karrieros schon angekommen sind, sich Waffen schnappen und ins Gefecht stürzen.
Ich versuche diesen Moment etwas heraus zu zögern, doch einen Tribut habe ich schon auf dem Gewissen, da kommt es auf ein oder zwei weitere auch nicht an.
Ich reiße ein blitzendes Schwert aus einem Waffenhaufen und schlinge mir eine Art Gürtel um die Hüfte, in dessen Schlaufen mehrere Messer unterschiedlicher Größen stecken.
Jetzt bin ich voll ausgerüstet und ich drehe mich um, zu der Lichtung vor dem Füllhorn, auf dem schon mindestens zwei dutzend Tribute und Sieger gegeneinander kämpfen.
Ich halte Ausschau nach Seda oder Dad und dabei fällt mein Blick auf einen Jungen, der es klammheimlich ans Füllhorn geschafft hat und nun beginnt mehrere Gegenstände in einen Rucksack verschwinden zu lassen.
Ich zögere nur kurz, bevor ich eines der größten Messer ziehe und es in einer kräftigen Bewegung nach dem Jungen werfe.
Ich sehe mit einem Anflug von Genugtuung wie es den Jungen auf Halshöhe erwischt; meine Eltern hatten schon die Befürchtung dass ich das Kämpfen und Töten verlernt habe.
Von wegen.
Der Schrei des Jungen, der im Getümmel fast untergeht.
Das Blut dass auf die Kisten spritzt und sein kleiner Körper der nach hinten kippt.
Tot.

Ich lasse dem schlechten Gewissen keine Zeit sich in meinem Körper auszubreiten und unterdrücke den Würgereiz.
Unterdrücke den Wunsch mich zwischen den Kisten zu verstecken und nie mehr aufzutauchen.
Ich habe zwei Minderjährige ermordet, ohne zu Zögern und sogar mit einem Hauch von Stolz.
Ich frage mich, zu was mich das Kapitol gemacht hat, schon im frühen Kindesalter.
Meine Eltern haben mich schon früh auf die Spiele vorbereitet und ich habe Messer geworfen bevor ich sprechen konnte.
Sie haben mich vor den Fernseher gesetzt auf denen frühere Ausgaben der Spiele zu sehen waren, bevor ich die Windeln abgelegt habe.
Aber ich kann jetzt nicht aufhören, nicht jetzt, mitten im Kampf.
Ich habe es begonnen und ich muss weitermachen. Im Gegensatz zu meinen ersten Spielen, in denen Ich von den Karrieros meines Alters wegen nicht in ihrer Allianz aktzeptiert wurde, muss Ich jetzt genau das sein: Eine Karriero. Eine Mörderin.
Also schüttele ich alle widersprüchlichen Gedanken ab und suche nach meinem nächsten Opfer.
Ein Mädchen, dass mit einem Speer in Richtung Wald flieht.
Ich schnalle mir das Schwert auf den Rücken, damit es mich nicht behindert und renne los.
Als ich nur noch zwanzig Meter von dem Mädchen entfernt bin, reiße ich den Bogen hoch und lasse den Pfeil losschnellen.
Blitzschnell schießt er los und bohrt sich treffergenau in den Hinterkopf des Mädchens.
In einer grotesken Körperbewegung stürzt sie zu Boden und rührt sich nicht mehr.
Drehe deinen Feinden nie den Rücken zu.
Als müsste ich mich selbst daran erinnern, drehe ich mich um, doch niemand ist mir auf den Fersen.
Dafür sehe ich Chase , einen Tribut aus meinem Distrikt, mit erhobenen Händen und kalkweißem Gesicht.
Vor ihm stehen drei weitere Tribute, wie geifernde Hunde vor ihrem Opfer und blecken die Zähne zu einem Grinsen.
Sie haben ihr Opfer in die Falle getrieben, noch dazu ist es ein Karriero.
Ein toter Karriero ist ein Karriero weniger der zur Gefahr werden kann.
Ohne zu überlegen stürme ich los und als sie noch einige Meter entfernt sind, schieße ich kurz hintereinander zwei Pfeile ab, die zwei von den Tributen erwischen und sie zu Boden bringen.
Noch während sie um ihr Leben ringen und die Pfeile in ihren Körpern umklammert, stürzt sich der Dritte auf mich und verfehlt mit seinem Schwert knapp meinen Oberschenkel.
Der Bogen bringt mir auf die Nähe nichts und Ich lasse ihn fallen.
Diese kurze Verzögerung nutzt der Junge und versetzt mir einen kräftigen Tritt in den Magen, der mich taumeln und würgen lässt.
Chase schlägt ihm fest mit der Faust auf den Hinterkopf, wovon sich der Junge kaum beirren lässt.
Er ist rasend vor Wut und er sieht nur mich.
Seine Hände legen sich um meinen Hals, doch meine selbst habe ich frei und ich ziehe ein Messer und stoße es ihm in den Bauch.
Er keucht auf, lässt von mir ab und sackt im Gras zusammen. Noch während Ich meinen Bogen packe, werden seine Augen leer und sein Kuchen verstummt. Nur das Blut tritt rasch aus der Wunde aus.
Ich stehe auf, bevor ich mich übergeben kann und wende meinen Blick von den drei toten Tributen ab.
Chase ist blass wie die Wand, doch er fängt sich schnell.
"Danke, Neva. Du hast mir das Leben gerettet "
Ich weiß nicht was ich erwidern soll, so zucke ich nur mit den Schultern.
Mir ist bewusst dass wir schnell hier weg müssen, dass Chase am besten in meiner Nähe bleibt.
Und dass er eine Waffe braucht, unbedingt.
"Nein,wirklich. Ich.."
Doch er bringt seinen Satz nie zu Ende.
Ich höre die Gefahr bevor ich sie sehe, höre das vertraut, sirrende Geräusch und bevor ich ihn warnen kann ist es zu spät.
Der Pfeil durchbohrt ihn von der Seite und dringt bis zu den Federn in seinen Körper ein.
Er gibt ein ersticktes Geräusch von sich, seine Augen suchen hektisch herum, bis sie mich finden und halten mich fest.
"Nicht..", sage ich und strecke hilflos die Arme aus, da sackt er zu Boden.
Ich verliere keine Zeit.
Ich drehe mich auf den Absatz um und ziele auf die erste Person die ich sehe.
Es ist sie...
Arrow.
Sie starrt mich an, ihr wehend braunes Haar, ihre scharf stechenden, seltsamen Augen, den Bogen in ihrer Hand.
Der weibliche Siegertribut aus Distrikt 9.
Ich erinnere mich an sie, aus ehrfürchtig erzählten Geschichten.
Sie hat mit 17 Jahren die 92. Hungerspiele gewonnen und ging in die Geschichte Panems ein.
Schon als sie sich freiwillig gemeldet hat, war klar, dass sie anders war.
Sie bewies es im Kapitol, als sie sich im Einzeltraining eine 12 ergattert und im Interview alle an die Wand geredet hat.
Schon am ersten Tag in der Arena, zeigte sie was in ihr steckte.
Beim Füllhorngemetzel fielen 12 Tribute, die Hälfte ging auf Arrow's Konto, ihre Künste im Bogenschießen waren besser als die meinen und sind es anscheinend immer noch.
Sie ging ein Bündnis mit den Karrieros ein, brach es jedoch in derselbigen Nacht.
Sie meldete sich freiwillig um Wache zu halten und als alle schliefen, schnitt sie ihren 6 Verbündeten die Kehlen durch.
18 tote Tribute an einem Tag.
Sie nahm das Füllhorn ein und niemand traute sich heran, erst als sich die restlichen 5 Tribute zusammenschlossen um sie zu töten, wurden sie mutiger.
Doch es dauerte nur zwei weitere Tage bis alle restlichen Tribute tot waren.
Drei tötete sie, zwei brachten sich gegenseitig um.
Arrow brach zwei Rekorde.
Sie war Siegerin der kürzesten Hungerspiele, drei Tage.
Und sie war die Teilnehmerin mit den meist getöteten Tributen, denn von 23 Tributen tötete sie 15.
Sie ist gefährlich, eine Killermaschine.
Meine wahren Feinde sind nicht die Karrieros.
Es ist Arrow.

Neva Santos I. - Das 4. Jubel-Jubiläum#Wattys2019Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt