Kapitel 3 - Feinde und Freunde

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Bevor ich den Entschluss ganz gefasst habe, dass es einzig und alleine gilt Arrow zu töten, bin ich auch schon wieder schussbereit.
Ich bin bereit sie zu töten und dieses Mal ist es nur eine Sache zwischen ihr und mir, die anderen sind Nebensache.
Sie ist diejenige die zwischen mir und meinem Sieg steht. In diesem Moment dränge ich selbst Seda zurück, zwinge mich nicht an sie zu denken, daran dass ich sie retten möchte und konzentriere mich auf Arrow.
Die Welt scheint wie erstarrt, der Kampf um uns brennt weiter und wir stehen mitten im Geschehen.
Schätzen das Können des anderen ab, überlegen welcher unserer Pfeile am schnellsten ist.
Ich umkrampfe den Bogen, bereit jede Sekunde die Sehne zurückzuziehen und die Pfeilspitze auf Arrow's Herz zu richten.
Doch etwas hält mich ab, den Pfeil jetzt gleich abzuschießen, sie jetzt zu töten.
Sie scheint dasselbe zu spüren, mit ihrer Reaktion hätte ich jedoch niemals gerechnet.
Sie wirft mir einen kurzen Blick zu, dann wirbelt sie herum und rennt davon.
Ich kann es nicht glauben, stehe perplex da, bevor ich mich wieder fange und ihr hinterher sprinte.
Ich werde sie nicht entkommen lassen, nicht jetzt, wo sie beschließt die Flucht zu ergreifen.
Tausend Gedanken wirbeln in meinem Kopf herum, während ich den Bogen spanne.
Sie hat den Waldrand fast erreicht, ich bin nah genug, doch jetzt schiebt sich ein Junge vor mich und Arrow.
Ein kräftiger, unerwarteter Stoß gegen meine Brust, ein schmerzhaftes, unerträgliches Stechen in meinem Oberschenkel und in der nächsten Sekunde liege ich auf dem Boden, Steine bohren sich in meinen Rücken.
Ich keuche auf , angesichts des Messers in meinem Oberschenkel und des Gewichtes des Jungen, der auf mir sitzt und mein Gesicht nach unten drückt.
"Nein!", stoße ich hervor und versuche mich dem Jungen zu entziehen, doch er grinst nur und drückt mich mit seinen kräftigen Armen wieder zu Boden.
Jetzt sehe ich mich in der Situation in der ich mich befinde. Jüngste Siegerin hin oder her, ich bin nur ein 16 jähriges Mädchen, das einigermaßen gut mit Bogen, Messer und Schwert umgehen kann.
Doch dies ist nichts im Vergleich zu meinem schwachen Körper, den ich seit meinem Sieg vernachlässigt habe und meiner mangelnde Körperbeherrschung.
Dieser Junge ist kräftig, seine Oberarme sind doppelt so dick wie meine und sein Grinsen verrät, dass er genauso wie ich sieht, wie ausgeliefert ich eigentlich bin.
Ausgeliefert.
Ich rufe mir ins Gedächtnis, dass ich eine Siegerin bin, eine Gewinnerin und das ich niemals so einfach aufgeben werde. Denk wie eine Karriero. Sei eine!
Ich reiße mich zusammen, lenke all meine Kraft in meine Arme, die ich hebe und ihm fest ins Gesicht schlage.
Sein Kopf ruckt zurück, ich höre das Knacken seiner brechenden Nase und dieses Geräusch bringt mich wieder in die Realität.
Blut strömt aus seiner Nase und tropft mir auf das Gesicht als er sich zu mir vorbeugt, das Gesicht schmerzverzerrt.
Meine Hände sind frei, die ich jetzt benutze um ihm meine Fingernägel wie Krallen in den Hals zu schlagen.
Er will sich zurückziehen, doch ich halte ihn fest im Griff und spüre unter meinen Fingern das Pochen seines Blutes.
Ich richte mich mit einem Ruck auf, wodurch meine Nägel sich noch fester in seine Haut bohren, seine Haut aufplatzt und rote Blutstropfen seinen Hals entlang rinnen.
Ich halte das klebrig, warme Gefühl an meinen Fingern nicht mehr aus und lasse von ihm ab, schwer atmend.
Er fällt auf die Knie und presst sich die Hand auf den Hals, aus den halbmondförmigen Wunden, die meine Fingernägel hinterlassen haben, läuft Blut.
Ich sitze keuchend da, nicht imstande mein Messer zu ziehen, mein Schwert zu nehmen, irgendetwas zu tun.
Die Entscheidung wird mir schnell abgenommen, als eine Gestalt sich uns schnell nähert und ein Schwert den Jungen von hinten durchbohrt.
Ich sehe die Klinge die ihm wieder aus dem Bauch austritt und nur wenige Zentimeter von mir entfernt zum Stillstand kommt, sehe das Blut dass von dem Schwert tropft und die weit aufgerissenen Augen des Jungen.
Ich sehe ihn zur Seite fallen; dann werde ich an der Hand hochgerissen, das Messer gräbt sich tiefer in mein Fleisch und ich verliere durch den Schmerz fast wieder das Gleichgewicht.
Ich hebe den Kopf und blicke in die blitzenden Augen von Atlas, dem neunzehnjährigen Sieger aus Distrikt 2. Sein braunes Haar klebt ihm an der Stirn und ich sehe in seinen Augen den irren Ausdruck, den wohl jeder von uns gerade hat. Ein hektischer Ausdruck, gespickt mit Blutdurst und Todesangst.
"Was tust du denn?", zischt er jetzt und versetzt mir mit meinem Bogen einen Stoß gegen die Brust.
Ich wanke und klammere meine Finger an das kühle Metall des Bogens, unfähig etwas zu sagen.
Lasse meine Augen schweifen, doch sie ist weg.
Arrow ist weg, entkommen.
Wut schäumt in mir auf, die die drängendste Frage noch dringender macht : Wieso ist sie geflohen?
Sie hätte mich töten können.
Und ich hätte sie töten können.
Die Wahrheit trifft mich mit voller Wucht, während Atlas mich weiter stößt und befiehlt weiter zu kämpfen.
Sie ist geflohen, da sie Angst hatte, so wie ich.
Sie wusste dass ich eine Konkurrentin bin und wollte den Kampf herauszögern.
Ich unterdrücke ein Lachen.
Das gibts doch nicht.
Die große Arrow Flint hat Angst vor einem kleinen Mädchen.
"Beweg dich, Neva!", sagt Atlas grob, lässt meinen Arm los und stürmt wieder auf das Schlachtfeld.
Einen Moment halte ich inne, suche etwas Ruhe in meinem Inneren, außerhalb der Hektik, doch dafür ist keine Zeit.
Als sich mir zwei Tribute von hinten nähern bin ich bereit, ich habe sie schon von weitem gehört und nur auf den richtigen Moment gewartet.
Jetzt lege ich einen Pfeil ein, drehe mich um und erschieße das Mädchen, dass in einem Aufschrei zu Boden stürzt, den Pfeil in ihrem Hals umklammert.
Der Junge, anscheinend aus demselben Distrikt wie das Mädchen, lässt von mir ab, blendet mich aus und kniet sich neben das sterbende Mädchen.
Umklammert ihre Hand, berührt die Stelle wo der Pfeil in ihrem Hals steckt und flüstert ihr, für mich unhörbare Worte, ins Ohr.
Doch es ist zu spät, ich sehe es an seiner verzweifelten Miene und den Tränen, als das Mädchen aufhört zu atmen.
Sein Schrei, der im Kampfgetummel untergeht, das Rütteln an ihrem Körper. Dann wendet er sich an mich, stocksteif stehe ich da. Liebe. Das erste wahre Gefühl, dass ich jemals in der Arena gesehen habe. In meinen ersten Spielen gab es nur Tod, Leid und Hass. Wie konnte es möglich sein, dass Liebe hier existiert?
Zumindest existiert hat.
Der Junge sieht mich an und ich erkenne in seinen Augen, dass er aufgegeben hat. Keinen Sinn mehr sieht. Mich stumm fleht, ihn zu töten.
Die Erlösung von seinem seelischen Leid kommt von hinten. Ich sehe ein Aufblitzen von blondem Haar, dann bohrt sich die Hellebarde in seinen Rücken. Ein Ruck fährt durch seinen Körper und sein Gesicht verzieht sich vor Schmerz. Als Victoria die Waffe aus seinem Körper zieht, kippt er nach vorne und landet auf seiner toten Freundin. Sein Blut vermischt sich mit ihrem. Im Tod vereint. Victoria lässt ihre Waffe mit einem Klirren fallen, dann stampft sie auf mich zu und versetzt mir einen so heftigen Stoss, dass ich umfalle und erneut heftig aufkomme. Sie stellt einen Fuß auf meine Brust und zieht mir das Messer in meinem Oberschenkel mit einem Ruck aus dem Fleisch. Ich jaule vor Schmerz auf und presse die Hand automatisch auf die Wunde, aus der das Blut nun ungehindert herausläuft. "Ich erledige meine Aufgabe wenigstens richtig!", zischt sie und wirft mir einen letzten, angewiderten Blick zu. Aufgabe? Die Aufgabe Menschen zu töten?
Sie dreht sich um und rennt davon. Ich verfolge sie noch eine Weile mit den Augen und sehe wie sie sich auf einen Tribut stürzt, wie ein wildes Tier auf seine Beute.
Dann wird mir bewusst, dass Ich hier mitten auf dem Präsentierteller sitze und ich versuche schnellstmöglich aufzustehen. Dabei wird mir schwarz vor Augen, der Schmerz beginnt langsam mein Bein zu zerreißen. Bevor ich umkippen kann, sind da plötzlich zwei starke Arme, die mich auffangen und zurück auf die Beine hieven."Neva!"
Seda, das ist Sedas Stimme. Sie lebt!
Doch ihre Arme sind das nicht und als ich zu meinem Retter hochschaue, versinke Ich im Erdboden. Atlas. Schon wieder. Grimmig schaut er mich an und nickt dann Seda zu. "Bring sie ins Füllhorn. Bevor sie mir hier wegstirbt."
Mit diesem Satz dreht er sich um und stürmt los.
Ich wende mich Seda zu, die mich nicht ansieht, sondern nur ihre Arme um mich schlingt und zum Füllhorn zieht. Ich beeile mich mit ihr Schritt zu halten, humpele mehr als dass ich laufe. Sie lässt mich hinter einigen hochgestapelten Kisten zu Boden gleiten und kniet sich dann neben mich. Ihr Blick ist besorgt und zugleich hektisch. Ich frage mich, ob sie jemanden getötet hat. "Hier sind wir sicher.", sagt sie und wirft einen Blick über die Kisten. "Yann bewacht das Füllhorn. Und es sind auch nicht mehr viele andere da. Ich glaube es ist bald vorbei."
Ich sehe sie nur stumm an und dann erwidert sie meinen Blick endlich. Ihre Augen sind unfassbar traurig und in ihrer Stimme ist keine Ruhe mehr zu erkennen als sie sagt:" Neva, ich habe Angst. Es ist so..schrecklich."
Ich verziehe mein Gesicht zu einem schiefen Grinsen aber sage nichts dazu. Was sollte ich auch? Dass ich das hier praktisch schon gewohnt war? Ich lege eine Hand auf mein Bein und presse sie auf die Wunde. Seda verfolgt meinen Blick und saugt scharf die Luft ein. "Du bist ja verletzt! Wer war das?"
Eher eine rhetorische Frage und ich antworte darauf auch nicht.
Sie zerrt einen kleinen Rucksack von ihrem Rücken, den ich jetzt erst bemerke, und holt daraus ein Erste-Hilfe Set heraus. Ich muss lächeln. Während wir auf der Suche nach dem nächsten Opfer waren, hat Seda praktisch gedacht und sich die wichtigsten Dinge gesichert. Ich bin überrascht, an ihr keine Wunde zu erkennen, obwohl mich dies natürlich ziemlich erleichtert. Ein Glücksgefühl beginnt mich zu durchströmen, als sie das Loch, dass das Messer hinterlassen hat, vergrößert. Sie wird den ersten Tag überleben. Ein Tag näher dran an ihrem Sieg.

Neva Santos I. - Das 4. Jubel-Jubiläum#Wattys2019Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt