Kapitel 5- Jagd

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Nachdem die Ankündigung der Toten vorbei ist, ziehen wir uns wieder ins Füllhorn zurück. Nur Atlas bleibt draußen und bezieht Stellung auf einer herangezogenen Kiste. Er hat sich bereit erklärt die erste Wache zu übernehmen und als ich mich noch einmal umdrehe, sitzt er da. Wie ein Wachhund, bereit loszustürmen, das Schwert auf seinen Oberschenkel ausbalanciert und die Augen starr auf den Wald gerichtet.
Als hätte er meinen Blick bemerkt, dreht er sich um und sieht mich an. Seine grünen Augen halten mich für einen Moment gefangen, bevor ich mich innerlich schüttele und frage:
"Und du willst alleine Wache halten?"
"Wieso? Traust du mir nicht?", kontert er und ich erkenne einen schelmischen Ausdruck in seinem Gesicht. Vehement schüttele ich den Kopf. "Ich schätze mal nicht, dass du dir an Arrow ein Beispiel nimmst. Oder stehst du drauf deine Verbündeten abzuschlachten?"
Das hat gesessen. Seine Miene verzieht sich und er wendet seinen Blick wieder nach vorne.
"Gute Nacht", sage ich leise und warte gar nicht auf eine Antwort, bevor ich mich zu Seda flüchte. Sie hat sich bereits in einer Ecke des Füllhorns eingerichtet und mehrere leere Kisten vor die zwei Decken geschoben, die sie sich gesichert hatte. Dort sitzt sie, im Schneidersitz auf den Decken und lächelt zu mir hoch.
Während ich meine Waffen ablege und neben mich an die Wand lehne, spüre Ich ihren Blick auf mir.
"Wie geht es dir Neva?"
Ihre Frage kommt etwas unerwartet und ich drehe mich unsicher zu ihr um. "Wieso fragst du Seda? Wie geht es dir denn?"
Sie zuckt die Achseln und schiebt sich die Decke über die Beine, schindet Zeit.
"Es geht mir nicht besonders gut. Ich sterbe. Ich bin nicht verletzt und grade auch nicht in Gefahr, aber der Tod steht über mir. Ich sterbe mit jeder Sekunde die ich hier drin bin."
Geschockt sehe ich sie an und greife schnell nach ihrer Hand. "Seda.."
Sie zieht die Nase hoch, als wäre sie kurz vorm Weinen, und ringt sich dann ein Lächeln ab. "Ich werde nicht überleben. Alle hier werden nicht überleben. Aber du vielleicht."
Ich senke meine Stimme, ich kann es nicht ertragen sie so reden zu hören:
"Seda, bitte, sag sowas nicht. Ich habe mich freiwillig gemeldet um dich zu schützen."
Ein kurzer Blick über die Kisten, ob uns jemand zuhört, dann wende ich mich wieder Seda zu. Sie empfängt mich mit einem wütenden, Entsetzen Blick. "Du bist also bereit zu sterben? Damit Ich überlebe? Neva, ich habe keine Chance. Und du hast sicher nicht deine Spiele damals gewonnen, damit du jetzt stirbst!"
Ihr Mund klappt zu als sich zwei Gestalten nähern. Ich rücke näher zu Seda hin und wir beobachten beide schweigend Armet und Kyra, die ihr Lager offensichtlich neben unserem aufschlagen. Sie widmen uns nur kurz einen Blick, bevor sie sich auf den Boden legen,dicht nebeneinander. "Lass uns wann anders darüber reden", flüstere Ich Seda ins Ohr und sie sieht mich traurig an. Ich kann in ihren Augen die Zweifel lesen, ob sie diese Nacht überhaupt überlebt.
Auch ich kenne diese Zweifel aus meinen ersten Spielen und so weiss ich wie Seda sich fühlt. Es ist schrecklich zu wissen dass man sterben wird aber nicht wann und wie.

Tag 2 in der Arena

Die Nacht ist zu schnell vorbei.
Sie ist ruhiger als ich gedacht hatte, zwar hat nur die Hälfte der Karrieros geschlafen und die anderen haben sich leise unterhalten, doch Schlaf habe ich trotzdem gefunden.
Auch Seda sieht einigermaßen fit aus, als sie zum Frühstück dazustößt.
Ans Rationieren denken die anderen gar nicht und bedienen sich reichlich am Fleisch, am Brot, an der Flüssignahrung und dem halb vergammelten Obst.
Ich dagegen bekomme kaum etwas runter und behalte stattdessen den Waldrand im Auge. Auch Atlas scheint unruhig.
Ich habe im Gefühl dass er die Nacht gar nicht geschlafen hat und seine müden Augen bestätigen mir das. Als sich unsere Blicke für einen Moment begegnen, nickt er mir zu. Das ermutigt mich, aufzustehen und zu ihm rüber zu gehen. Seda ist in ein Gespräch über das Meer mit Quirin aus 4 verwickelt und merkt es nicht mal.
"Harte Nacht gehabt?", begrüße Ich Atlas und er lächelt schief als Antwort.
Seine Augen schweifen zum Wald ab und einen Moment verharren wir in dieser Position. Beide Augenpaare auf den Wald gerichtet, wachsam.
"Ich habe ein ungutes Gefühl. Wir sind hier praktisch auf dem Präsentierteller. Da sind über 30 Tribute und Sieger. Und sie beobachten uns vielleicht.",sagt Atlas, seine Stimme ist vorsichtig und bedacht, als wolle er ein schlafendes Kind nicht wecken.
"Und wenn schon, dann sollen sie uns eben angreifen. Solange sich die Hälfte von ihnen nicht verbündet, sind wir in der Überzahl.", beruhige Ich ihn und er seufzt leise auf. "Ja. Noch."
Eine Weile herrscht Stille und ich drehe mich zu den anderen um. Die meisten essen schweigend, dabei beäugen sie sich alle misstrauisch. Die anfängliche Lagerfeuerstimmung von gestern Abend ist verflogen.
Sie beobachten.
Wägen ab, wem sie trauen können und wem nicht.
Auch ich werde beobachtet und als ich Victoria's Blick auffange, lässt ihr wütender Blick mein Herz in die Hose rutschen.
Dieses Mädchen wird neben Arrow eine weitere große Gegnerin sein.
Sie scheint nicht begeistert davon zu sein, dass ich bei Atlas bin und so wende ich mich mit einem vernichtenden Blick wieder provokant zu ihm um.
"Du hast gestern gut gekämpft", sagt Atlas zu mir und einen Moment sehe ich ihn perplex an. Seine Aussage schmeichelt mir und dennoch wiegele ich ab: "Ich habe ein Messer ins Bein bekommen, schon vergessen?"
Ich wackele mit meinem Bein in seine Richtung und kippe vor Schmerz fast um.
Atlas lacht auf, als er sieht wie ich japsend die Luft einziehe.
"Wir haben Tabletten da, die werden deinen Schmerz lindern und dafür sorgen, dass du auch wieder rennen kannst."
"Das müssen ja magische Tabletten sein. Aber gerne. Hast du vor heute jagen zu gehen?", frage ich und gleichzeitig wird mir ganz heiss. Vor Scham und Wut. Jagen gehen. Ein typischer Karriero-Slang, den ich verabscheute und jetzt selber benutzte.
"Ja. Dabei können wir uns auch die Arena etwas genauer anschauen. Ich bezweifle dass sie nur aus Wald besteht. Schließlich.."
"Ist das ein Jubiläum.", vollende ich seinen Satz und er nickt.
Wie zur Bestätigung, knallt eine Kanone durch die Morgenluft und lässt uns alle samt zusammenfahren.
Einer ist eben gestorben. Einer weniger. Während wir hier sitzen, sterben dort draußen Menschen.
Atlas sieht mich an und dann ist da dieser Augenblick, wo sich unsere Augen treffen und aneinander festhalten. Verwirrt wende ich mich ab und sage zerknirscht:"Ich gehe wieder zurück. Meine Waffen holen. Vielleicht ist der Mörder von eben ja noch in der Nähe"
Er nimmt meine Ausrede schweigend hin, doch ich spüre seinen Blick als ich zum Füllhorn zurück gehe.

Der Vormittag verläuft friedlich.
Die restlichen Waffen werden aufgeteilt und selbst als wir alle bis an die Zähne bewaffnet sind, bleiben noch genug übrig um einen Krieg zu gewinnen.
Seda sitzt im Schatten des Horns und hat die Knie an die Brust gezogen. Sie kommt ihrer neuen Lieblingsbeschäftigung nach: Unsere Verbündeten beobachten. Sie studiert sie regelrecht.
Ich dagegen werde unruhig.
Wir sind 15 und dennoch passiert nichts. Es passiert nichts und das sind die Hungerspiele. Das passt nicht zusammen.
Ich laufe wie ein aufgescheuchtes Huhn hin und her, mein Bogen und ein Schwert auf dem Rücken, die Messer in meinem Gürtel.
Doch dann erweckt eine Bewegung am Waldrand meine Aufmerksamkeit.
Ruckartig bleibe ich stehen und fixiere die Bäume.
Die Stimmen der anderen verschwimmen, als ich mich konzentriere und die Welt ausblende.
Ich bin nicht die einzige, auch Akira ist aufmerksam geworden und ich sehe wie sie einen Dolch in die Hand nimmt.
Dann, urplötzlich, sehe ich einen deutlichen menschlichen Umriss im Wald, kurzes Aufblitzen von rotem Haar. Ohne ein Wort zu den anderen, stürme ich los und reisse im Rennen den Bogen von meinem Rücken.
Adrenalin schießt durch meine Adern und lässt meine Beine schneller rennen. Die Gestalt wirbelt herum und verschwindet im Wald, ein Pfeil von mir schießt ihr hinterher und nagelt sich in den ersten Baum.
Wütend knurre ich auf und höre jetzt Schritte hinter mir. Ein Blick nach hinten lässt mich Akira und Armet erkennen, die mir hinterher stürmen.
Während ich meinen Bogen fester umklammere, muss ich an Seda denken.
Hoffe, dass da nicht noch mehr Tribute sind, die jetzt vielleicht das Füllhorn stürmen. Aber so lenke ich immerhin die Person mit dem roten Haar von ihr ab.
Als ich die Bäume durchbreche, empfängt mich der Geruch des Waldes und er ist so intensiv dass mir schwindelig wird.
Ein Knacken von Ästen lässt mich herumwirbeln und ich sehe gerade noch, wie das rothaarige Mädchen hinter einem Busch hervor springt und flieht.
Die anderen sind dicht hinter mir und zu dritt preschen wir dem Mädchen hinterher. Sie wird sterben. Gegen uns hat sie keine Chance.
Mordlust steigt in mir auf und ich spanne einen Pfeil in den Bogen ein, ziehe im Rennen die Sehne zurück.
Dann passiert etwas Unerwartetes. Das Mädchen dreht sich im Rennen um und wirft etwas in meine Richtung. Etwas metallisch glänzendes wirbelt durch die Luft und ich lasse mich mit einem "Achtung!" auf die Knie fallen und lasse sogleich die Sehne los.
Er fliegt zielsicher und schlägt in der Herzgegend des Mädchens ein. Die Wucht lässt sie nach hinten umkippen und die Kanone knallt, verkündet ihren Tod, bevor sie auf dem Boden aufkommt.
Ich muss grinsen und senke den Bogen . Dann merke ich, dass es zu still ist. Das erstickte "Akira" von Armet, lässt mich innerlich gefrieren. Bitte nicht. Bitte.
Ich drehe mich langsam, immer noch kniend, um und sehe wie Akira ebenfalls auf die Knie gefallen ist. Sie starrt mich geschockt an.
Das glänzende Ding dass das Mädchen geworfen hat, war ein Messer. Und es steckt bis zum Schaft in Akiras Hals.

Neva Santos I. - Das 4. Jubel-Jubiläum#Wattys2019Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt