Rote Flut

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Liebe. Loser. Liebe. Loser. Liebe... Loser.

Genervt verdrehe ich die Augen und schmeiße das Gänseblümchen, naja das was von dem Blümchen übergeblieben ist, wieder in das lächerlich grüne Grass zurück. Mal ehrlich, so stechend grün kann Grass doch gar nicht sein oder? Ich pflücke mir ein neues Opfer und beginne meine Tortur von vorne.

„Loser", murmle ich und seufze auf. Scheiß Blümchen!

Schweigend beobachte ich die Leute, die nichts Besseres zu tun haben, als gestresst im Park hin und her zu laufen und ständig am Handy zu kleben. Als ob man ohne nicht leben könnte. Das verdammte Blümchen hat Recht, ich komme mir vor wie ein kompletter Loser. Ich hocke ganz allein hier im Grass, an einen schattigen Baum gelehnt und entkleide unschuldige Blumen. Macht mich das jetzt schon zu einem Perversen im obszönen Sinne? Damit ich nicht ganz so opferhaft wirke, nehme ich mir mein Buch zur Hand und fange an, mich darin zu verlieren. Okay das ist gelogen, ich verliere mich wenn dann in diese nervigen Menschen, die ihre Klappe nicht halten können. Frustriert versuche ich mich noch stärker auf die Wörter vor mir zu konzentrieren. Ich beneide diejenigen, die zu allen Bedingungen lesen können, ich kann es nämlich nicht. Zugegeben, ich lese auch sonst nicht so oft, aber es ist ja nie zu spät, um sich ein neues Hobby zu suchen, obwohl die meisten unter einem Hobby wahrscheinlich eher etwas Anderes verstehen würden.
Als die Wörter vor meinen Augen anfangen zu tanzen, klappe ich das Buch zu. Diese Müdigkeit erschöpft mich bis ins Tiefe und es macht nicht den Anschein, dass sie in naher Zukunft weggehen wird. Ich habe die ganze Nacht über kein Auge zu bekommen, weil ich immer noch damit beschäftigt war, meinen Tränen freien Lauf zu lassen. Gott ich klinge so bemitleidenswert, das ist ja widerlich. Aber ich kann ja nichts daran ändern, dieses Gefühl, es geht nicht einfach weg. Am liebsten würde ich mich einfach so richtig volllaufen lassen und dann wahllos mit irgendeinem Typen schlafen, Druck abbauen, den Stress vergessen, an nichts denken, nur für eine verdammte Nacht. Doch wie die neusten Erkenntnisse zeigen kriege ich selbst das noch nicht einmal hin, selbst wenn Riley schon echt süß war. Er war nur nicht Fin und auch nicht Kai.

Mein Blick bleibt an einem Pärchen hängen, welches es sich auf einer Decke gemütlich gemacht hat und sich eine Pizza teilen. Und schon treten Bilder in meinen Kopf, wie ich mit Kai am Strand Pizza gegessen und ihm gesagt habe, dass ich ihn liebe. Kai hat mir geholfen über Fin hinwegzukommen, doch niemand kann mir helfen, über Kai wegzukommen. Mir ist eins klargeworden, Fin war meine erste große Liebe, und Kai... er war meine wahre Liebe. Und ich kann einfach nicht anders als ständig zu denken, was, wenn er noch eine OP gemacht hätte. Wäre er jetzt noch bei mir? Würde er gemeinsam mit mir Leute verurteilen, die Wolken deuten, aus dem Buch vorlesen? Okay zugegeben, in Wolken deuten war er damals nicht wirklich gut, aber alles andere hätten wir gemacht.

Doch nicht nur Kai huscht wie ein Poltergeist durch meinen Kopf, auch Fin hat seinen Weg wieder zu mir gefunden und mit ihm auch dieses Gefühl. Schuld. Wie ein Messer sticht der Satz mir immer wieder ins Herz, „Du hättest es wissen müssen!“

Ich hätte es spüren müssen, hätte etwas ahnen können, hätte ihm besser zuhören müssen. Ich hätte, hätte, hätte. All das ist zu spät, nicht mehr von Bedeutung. Mein Mann durchlitt innerlich die Hölle und ich hatte keinen blassen Schimmer. Wir waren jeden Tag zusammen, jeden verdammten Tag hätte ich etwas merken können, aber das habe ich nicht. Fin hat diese Welt verlassen, er hat mich verlassen, weil er keinen anderen Ausweg mehr sah. Es stimmt, was man sich sagt, die Menschen mit dem breitesten Lächeln, sind die, die innerlich schon längst gebrochen sind. Und ich habe versagt, weil ich nicht hinter seine lächelnde Fassade geblickt habe. An dem Tag, als es passiert ist, hätte ich etwas merken müssen. Als die Erinnerung wieder hochkommt, kneife ich meine Augen zusammen.

Lächelnd öffne ich ein Auge, als ich fühle wie Fin sich näher an mich ankuschelt und leise seufzt, „Ich liebe dich.“

„Ich liebe dich auch“, flüstre ich und drehe mich auf die Seite, um ihn besser angucken zu können.

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