Kapitel 8

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Noch am selben Nachmittag trafen Leon und ich uns in der Stadt. Lasse stoß nach kurzer Zeit zu uns und ich hatte anfangs kein Problem damit. Wir saßen auf einer Bank und während die zwei sich unterhielten streichelte Leon meinen Oberschenkel. Doch so ging es weiter. Nach einer Weile fiel Leon wieder auf, dass ich auch noch anwesend war.

"Alles okay?", fragte er.

"Ja, aber ich dachte wir würden Zeit zu zweit verbringen."

"Es ist doch nur Lasse."

"Trotzdem wäre ich gerne mal wieder mit dir alleine. Wir sehen uns in letzter Zeit kaum und dann muss ich dich bei solchen Gelegenheiten auch noch teilen."

"Was heißt teilen?"

"Na, du gibst Lasse deine ganze Aufmerksamkeit und mich ignorierst du voll. Wenn du schon mit uns beiden gleichzeitig unterwegs bist, gib uns beiden gleich viel Liebe."

"Dein Ernst?! Gleich viel Liebe?! Wir haben uns ganz normal unterhalten. Und du hättest dich auch daran beteiligen können."

"Ihr habt mir keine Chance gegeben. Es nervt mich eben, dass wir nicht viel Zeit miteinander verbringen können."

"Mein Gott, es geht eben gerade nicht!"

"Aber jetzt hätten wir allein sein können."

"Sind wir aber nicht."

"Ja!"

"Hör zu, ich bin kein Besitz, den man einfach teilen kann oder nicht. Und darüber hast du nicht zu entscheiden."

"Ich weiß dass du nicht mein Besitz bist. Alles was ich will ist deine Aufmerksamkeit und Liebe."

Es folgten unschöne Worte, auch in Lasses Richtung. Mich verletzte es, als Leon sagte, dass er nicht abhängig von mir war und mich nicht brauchte. Das wusste ich, aber es auszusprechen tat schrecklich weh. Lasse zündete eine Zigarette an und ging, wir blieben alleine zurück. Ich schaute auf Leons Handy, sein Hintergrund war nicht mehr ein Bild von uns beiden, sondern von einem Videospielcharakter. Er meinte, er wollte etwas ohne Reize ausprobieren. Als ich ihn zum Abschied küsste erwiderte er es nicht, auch nicht mein 'Ich liebe dich', er schob mich weg. Mir war bewusst, dass mein Verhalten nicht okay war und es tat mir auch leid. Leon straffte mich mit Ignoranz. Ich schrieb ihm einen langen Text, wollte es aus der Welt schaffen, doch bekam nur kurze, kalte Antworten.

Als ich am nächsten Tag mit Lasse darüber sprach konnte er mich verstehen. Er wusste, dass da mehr dahinter steckte und es die aufgestauten Emotionen waren, die ich rausließ. Etwas, das Leon nicht gefiel. Er hatte gesagt, dass ich wie er meine Gefühle kontrollieren sollte. Ich war ein emotionaler Mensch und konnte nicht, wie er, die ganze Zeit ein Pokerface tragen und nichts an mich ranlassen. Seine kalte Art tat mir weh.

Der Vormittag zog sich. Meine Wut und Frustration ließ ich im Sportunterricht raus, was mir Vorteile erbrachte. Danach konnte ich mich in Kunst entspannen. Mir gefiel mein gemalter Himmel, auch wenn Frau Holländer ihn kritisierte.

"Zu viel Farbe, zu wenig Wasser. Aber jetzt kannst du es eh nicht mehr ändern.", meinte die kleine, zierliche Brünette.

"Hör nicht auf sie, dein Bild ist toll.", munterte mich Lasse auf.

Ich malte eine grüne Wiese und ein braunes Haus. Dann fügte ich rote Blumen hinzu.

"Was machst du in der Mittagspause?", fragte mich Lasse.

"Ich hole mir was beim Bäcker. Und du?", ich legte gerade meine Pinsel in den Kasten. Lasse zog sich schon sein Jacke an.

"Wir gehen eine rauchen und kommen dann wieder."

"Auf dem Spielplatz?"

"Genau. Kannst ja dazu kommen wenn du willst."

"Ich überleg's mir."

"Und mach dir keinen Kopf wegen Leon. Ihr kriegt das schon hin. Er ist halt manchmal kalt. So ist er halt.", versuchte er mich aufzumuntern.

"Er hatte weder auf mein Gute Nacht geantwortet, noch auf mein Guten Morgen. Beim schreiben benutzt er keine Emojis mehr und beendet jeden Satz mit einem Punkt."

"Das hat nichts zu bedeuten."

"Doch, hat es."

"Das wird schon wieder. Ich drück euch die Daumen."

"Danke."

Es war nett von ihm, mich miteinbeziehen zu wollen, obwohl er wusste dass ich fast nie mitkam. Ich verbrachte die Mittagspause allein auf der obersten Ebene. Während ich aß hörte ich Musik und hoffte auf eine Nachricht von Leon. Doch er meldete sich nicht. Ich machte mir Sorgen um meine Beziehung, ich liebte ihn doch! Deprimiert hörte ich mir zum dritten mal das Lied 'Ptica' von Capital Bra. Der Text spiegelte meine Lage wieder. Und vielleicht musste ich wieder lernen zu fliegen, wie ein Vogel. In Gedanken versunken bemerkte ich nicht, dass es geklingelt hatte. Schnell packte ich alles weg und lief zwei Stockwerke nach unten, zum Biosaal. Glücklicherweise war ich pünktlich. Meine Gedanken waren immer noch bei meinem Freund. Der Biounterricht war nicht anspruchsvoll und ich befürchtete in meinem Overthinking unterzugehen. Doch Herr Wommert schaffte es mit seiner Aufgabenstellung tatsächlich mein Gehirn auf andere Gedanken zu bringen. Meine Laune besserte sich. Links von mir arbeiteten Lasse und Frederick zusammen. Neben mir saß TC, der gerade das Mikroskop einstellte. Er rückte seine Brille zurecht und ließ dann mich durchschauen. Gegen Ende der Doppelstunde wurde es lauter. Herr Wommert fuhr sich über die Glatze und dann durch den langen, braunen Bart.

"Die letzten Minuten bitte nochmal ruhe, ja? Sonst muss ich euch bestrafen. Ihr wollt doch sicher alle bestraft werden, oder?"

Aufgrund seiner ernsten, aber dennoch sarkastischen Tonlage musste ich zu stark lachen. Ich konnte mich nicht mehr einkriegen vor lachen. Oh ja, bestraf mich Daddy. TC sah mich irritiert an. Ich war fertig, mit den Nerven am Ende. Das zeigte ich durch meinen Lachanfall. Uns standen noch zwei Schulstunden bevor. Vielleicht drehte ich ja durch und musste nicht bis 17 Uhr in der Schule bleiben.

Doch ich war, leider, noch bei Sinnen und verließ um 17 Uhr das Gebäude. Ich checkte mein Handy, doch hatte keine Nachricht von Leon. Wir hatten uns noch nie ignoriert.

Zuhause begrüßten mich meine Eltern. Wir sprachen nicht viel, da ich nach dem Essen in meinem Zimmer verschwand. Gedanklich ging ich durch, was mir bevorstand. Erdkunde, Chemie und Englisch. Herr Pfanns Unterricht war entspannt und die Hausaufgaben hatte ich bereits erledigt, Herr Heißmann hatte uns keine aufgegeben und Herr Dumond war wahrscheinlich immer noch krank. Ich hatte die Hoffnung, dass wir früher aus hatten, doch wie ich Herr Morhbeck kannte würde er mit uns Mathe machen, anstatt dass er uns früher nach Hause ließ.

Ich blickte ein letztes Mal auf mein Handy, immer noch keine Nachrichten. Bis auf Lasse, der mir ein Meme geschickt hatte, aber Leon zeigte mir die kalte Schulter. Ich legte mein Handy weg und kuschelte mich an das Kuscheltier, welches er mir geschenkt hatte. Der Löwe roch nur noch leicht nach seinem Parfüm. Mir kamen die Tränen. Zuerst liefen sie nur runter, dann fing ich an zu weinen.

"Mister Löwe, wieso ist er so?", schluchzte ich in den kleinen Löwen.

"Es tut so weh!", meine Stimme war zittrig und ich fror.

"Du tust mir nicht gut.

Du tust mir nicht gut.

DU TUST MIR NICHT GUT.

DU TUST MIR NICHT GUT!", wiederholte ich immer wieder wie ein Mantra, während meine Tränen immer stärker wurden und das schluchzten drohte meine Stimme zu ersticken. Die Anfangszeit mit ihm war so schön gewesen. Er war so romantisch und liebevoll gewesen, ich wollte noch so viel mit ihm erleben. Und nun lag ich im Bett und weinte, wie so oft, wegen ihm. Zuerst war es die Angst gewesen ihn zu verlieren, nun war es weil mich sein Verhalten verletzte. Er betonte immer mich zu lieben, gezeigt hatte er dies nur selten. Lasse meinte, dass er eben so war. Doch dann wäre es die ganze Beziehung über so gewesen. Erst seit kurzem fing er an Abstand zu halten. Meine Tränen verstummten und ich wurde ruhig. Meine Augenlider waren schwer und erst nach langer Zeit fiel ich in einen nicht erholsamen Schlaf.

Denn er wollte sie spürenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt