Die bessere Hälfte

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Lieber Schnuffler,

Was wurde nur aus uns? Ich würde dich heute gerne fragen, wie es dir geht. Glaube ich zumindest...

Jahrelang waren wir unzertrennlich. Wir machten so viel, vor allem viel Blödsinn und am allermeisten lachten wir. Stundenlang saßen wir da und steigerten uns gegenseitig so hinein, dass wir irgendwann nur noch Bauchschmerzen hatten. Ganz egal, was es war: Die Vogelrucksack-Frau, unser Schepper-Bumms-Batsch-Klirr-Gedicht, der Nachhauseweg per Mail und so so vieles mehr.

Und trotzdem warst du jemand, mit dem man über wirklich alles reden konnte.

"Warst"... Wir sagten uns immer, dass wir auch nach deinem Umzug noch gleich viel Kontakt halten würden. Weil es ginge, wenn beide es nur wollten. Und weil keiner von uns daran dachte, dass sich das einmal ändern könnte. Best friends forever war dein Status gewesen.

Als du das letzte Mal hier warst, hätte ich dich fast nicht erkannt. Du hast dich verändert. Hauptsächlich äußerlich. Und doch, hast du mit deinen Haaren auch einen Teil deiner Seele verfärbt.

Ich wusste gar nicht, was ich mit dir reden sollte. Du kamst mir vor, wie jemand Fremdes. Auch ich habe mich verändert, was du ebenfalls bemerkt hast.

Als wir "unsere" Route zum letzten Mal entlang gingen, weißt du, was ich mir dachte? Vielleicht war es richtig, dass ihr umgezogen seid. Dass wir über 400 Kilometer entfernt voneinander wohnen, inzwischen sogar noch mehr. Wir haben uns beide verändert, neue Freunde gefunden und gehen unseren Weg. Wärst du noch hier, so hingen wir doch viel zu sehr aufeinander, als dass jeder sein Leben leben könnte. Oder?

Die Sache mit den drei Orgelpfeifen würde inzwischen auch nicht mehr gehen, du bist jetzt größer als ich. Und du bist groß genug, dass du mich nicht mehr brauchst.

Ist es falsch, dass ich vor deinem Wegzug Zweifel hatte, ob du es schaffen wirst?

Heute klingt vieles so verkehrt. Wie schüchtern du warst! Ein Jahr jünger als alle anderen, zurückhaltend, einsam. Ich nahm dich vom ersten Tag an jedes Mal in Schutz, wenn dich unsere Chaotenklasse mal wieder beleidigte, bespuckte, ausgrenzte. Weißt du das überhaupt noch? Als wir Sport hatten und dein Lieblingsfeind die Story mit dem roten Biogummibärchen auspackte? Wir hassten sie beide. Kaum zu glauben, dass ich in der Kursstufe ein gutes Verhältnis zu ihr entwickelte, ein Jahr lang neben ihr in Deutsch saß!

Ich habe vor zwei Jahren die ganze Nacht mit dir geschrieben, als du alles beenden wolltest. Als du deinen Plan in die Tat umsetzen wolltest und für keinen zugänglich warst. Außer für mich. Du hast danach gesagt, dass ich dir das Leben gerettet habe. Wo warst du im Oktober???

Seit du weg bist, auf dich allein gestellt, bist du endlich selbstbewusst! Ich habe mich so für dich gefreut! Du hattest es dir über die Jahre hier langsam angeeignet und es dann mitgenommen, ich war stolz auf dich.

Ich habe dir nie erzählt, was Frau K. auf dem blauen Platz nach Sport einmal zu mir sagte: "Wo ist denn deine bessere Hälfte?" Meine bessere Hälfte war an diesem Tag nur krank. Heute gibt es sie nicht mehr.

Unsere Freundschaft hat mit sehr jungen Jahren beim Schwimmkurs angefangen, und 12 Jahre später beim Sitzen am See aufgehört.

Weil wir nicht mehr auf einer Wellenlänge waren.

Ich hoffe du bist glücklich, dort, wo du bist und mit den Menschen um dich herum. Du wirst deinen Weg gehen.

Doch will ich dich fragen: Isst du sie noch? Die Mühlenkekse?

Dein mobiler moffler Koffer

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