Starr-Wettbewerbe und mehr

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Ich kam kaum zum Sortieren meiner Gedanken, da traf ich ihn auch schon wieder: Herrn F., Arschloch in Person und nebenbei mein Deutschlehrer.

Jeden Montag, Dienstag und Freitag musste ich ihn im Unterricht ertragen. Nahezu täglich begegneten wir uns im Schulgebäude. Nicht selten mehrfach.

Ich wusste nicht wirklich, wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte und so beschloss ich, ihn erstmal zu ignorieren.
Der Nachteil ist offensichtlich - er war mein Lehrer. Herr F. war jedoch nicht irgendein x-beliebiger Lehrer, der sich damit zufrieden gab. Nein, er provozierte, wo er nur konnte. Und ich ließ es zu. So begannen wir, uns gegenseitig das Leben zur Hölle zu machen.

Mein Alltag veränderte sich total: An einem normalen Schultag führte mein erster Weg von nun an aus dem Bett erstmal zur Toilette, meist wachte ich schon mit großer Übelkeit vor dem Klingeln des Weckers auf. Ich übergab mich fast ausnahmslos jeden Tag, wenn ich in die Schule musste. An ein Frühstück war gar nicht zu denken.

Während ich mit dem Fahrrad zur Schule fuhr, malte ich mir im Kopf schon mal alle möglichen Horrorszenarien des anstehenden Tages aus. Das war dann wohl die Zeit, in der ich meinen Optimismus irgendwo verloren habe...

Kaum angelangt, lief mir meist schon direkt Herr F. über den Weg. Wir grüßten einander nicht. Und versuchten - so gut es ging - uns gegenseitig aus dem Weg zu gehen. Was nie sonderlich gut funktionierte.

Recht bald hatten wir unsere Begegnungen unausgesprochen zu einem Stärke-messen umgewandelt: Wir blickten einander in die Augen, starrten uns regelrecht an, und wer zuerst weg sah, war der "Verlierer". Ein ziemlich bescheuertes Spielchen aber ich "gewann" insgesamt betrachtet wohl 70-80% unserer Begegnungen und daraus holte ich mir mein Selbstvertrauen. Blickte er zu Boden, so war mein Tag gerettet.

Langfristig gesehen konnte so etwas gar nicht gut gehen, aber dazu später mehr.

An einem Montag, Dienstag oder Freitag hatte ich immer besonders schlechte Laune. Meine Motivation, mich zur Deutschstunde in den Keller zu begeben, sank von Sekunde zu Sekunde, die ich in diesem Gebäude verbrachte. Hatten wir erst nachmittags Deutsch, war es besonders schlimm.

Ich war immer unheimlich nervös und folgte meist als Letzte schweren Schrittes meinen Klassenkameraden durch das dunkle und ausladende Treppenhaus hinab in die unterste Etage. Dort angelangt, bogen wir nach links ab, passierten die Brandschutztür (welche stets geschlossen sein sollte und IMMER offen stand) und schoben uns an, vor ihren Zimmern wartenden, Schülern anderer Klassen vorbei, entlang der Fenster bis zum Ende des Ganges.

Und dort, auf der rechten Seite, kurz bevor ein paar Treppenstufen bereits wieder nach oben führten, war es: DZ U.31, unser Zimmer.

Während der Rest meiner Klasse unbekümmert die Pause genoss, steigerte sich meine Nervosität langsam aber sicher ins Unermessliche. Mein Herz schlug nicht mehr; es tat stattdessen das, was in diesen Momenten meine Beine am allerliebsten getan hätten: Es rannte. Als ginge es um Leben und Tod. Ich war von Panik erfüllt, zitterte am ganzen Körper und hatte das Gefühl zu ersticken. Nach und nach setzten dann noch Schwitzen, Schwindel und ein starkes Stechen in der Brust ein.

So ging das vor jeder einzelnen Deutschstunde. Bis zum Ende der Pause.

Keine Minute nach Ende der Pause kam er dann auch schon den Gang entlang: Dynamisch, selbstbewusst, gar nicht so mies gelaunt und immer einen blöden Spruch für irgendjemanden von uns parat. Seltsamerweise traf es meistens mich.

Während er das Zimmer aufschloss, fingen unter den um mich stehenden Mitschülerinnen die Tuscheleien an. Wie gut er ja heute wieder aussehe, wie toll sein Bart und wie jung er sei und überhaupt, seine Hemden würden ihm super stehen.

Ich stand scheinbar teilnahmslos daneben. Zumindest nach außen, denn in mir drinnen sah das Ganze komplett anders aus: 1. Er sieht NIE gut aus! 2. Auch der Bart ist kein Ausdruck grenzenloser Schönheit sondern einfach ein Bart! Haare! Mitten im Gesicht! Mehr nicht! 3. Okay, er ist noch recht jung im Vergleich zu anderen Lehrkräften aber trotzdem viel zu alt für euch alle und außerdem verheiratet. Und 4. lasst mich bloß mit diesen beschissenen Hemden in Frieden!
Wie gesagt, ich hatte an solchen Tagen eine umwerfend gute Laune...

Eigentlich erwartete in diesen Momenten vor dem Zimmer, dass ich endlich in Ohnmacht fallen würde, aber dieser Wunsch wurde mir nie erfüllt.

Somit hatte ich keine Wahl. Ich nahm meine Tasche und begab mich hinein, an den einsamsten Ort, den ich kannte, umgeben von knapp 30 Menschen: DZ U.31

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