Kapitel 3

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Vincent und Stephan machten es sich auf dem blauen Sofa gemütlich. Sie sprachen über die misslungene Arbeit, als es an der Tür klingelte. Stephan zuckte beim lauten Schrillen der Klingel vor Schreck zusammen.
»Erwartest du noch jemanden?«, fragte Stephan erstaunt.
»Es könnte Thomas sein. Er wusste heute früh noch nicht, ob er kommt.« Vincent stellte die Bierflasche ab und stand vom Sofa auf. Dabei vermied er es, seinen Freund direkt anzusehen, denn er ahnte, welcher Blick ihn dort erwartete. Damit hatte er keinesfalls unrecht. Stephans Blick verfinsterte sich. Er war in dem Moment sehr enttäuscht von Vincent. Das Gefühl hintergangen worden zu sein, ließ düstere Gedanken in seinem Kopf kreisen. Damit hatte er nicht gerechnet, Thomas am heutigen Tag erneut sehen zu müssen. Davon hätte er gerne früher erfahren.
»Das ist jetzt nicht dein Ernst! Auf den habe ich heute Abend überhaupt keine Lust!«
»Beruhige dich doch. Gib ihm noch eine Chance, Stephan. Du weißt doch, Thomas ist solchen Themen gegenüber nicht offen genug. Das hat er bestimmt nicht böse gemeint.« Mit diesen Worten verließ Vincent das Zimmer, um Thomas hereinzulassen.
Stephan umklammerte die Flasche noch fester. Am liebsten wäre er sofort aufgestanden und nach Hause gegangen. Er hatte sich einen ruhigen Abend nur mit seinem besten Freund erhofft. Das konnte er nun vergessen. Die Zeit zu zweit, abends mit einem Bier sitzend und über Gott und die Welt philosophierend, war vorbei. Im Beisein von Thomas konnte er sich nicht so locker und fröhlich geben. Thomas konnte mit vielen Themen nichts anfangen und war in dieser Hinsicht ein Spielverderber. Alles, was junge Menschen, wie sie drei es waren, faszinierte, war für Thomas langweilig. Wenn es möglich gewesen wäre, dann hätte man in dem Moment eine dicke, dunkelgraue Wolke über Stephans Kopf schweben gesehen.
Vincent verschwand in der kleinen Diele, um den Türdrücker zu betätigen, damit Thomas in das Haus hinein gelangen konnte. Es dauerte lange, bis er in der fünften Etage auftauchte. Mit seinen vielen Kilos war er beim Treppensteigen nicht so schnell wie Vincent oder Stephan. Er zog sich sehr oft an dem Treppengeländer hoch, um sich abzustützen. Immer wenn er dies tat, quietschte die Metallkonstruktion.
»Servus Vincent. Ich hasse dieses Haus«, sagte Thomas außer Puste, als er an der Haustür ankam. Das gab er jedes Mal von sich, wenn er Vincent besuchte.
»Jammere nicht. Komm rein«, erwiderte Vincent schmunzelnd, obwohl ihm eigentlich etwas anderes durch den Kopf ging.
»Hi.« Thomas betrat das Wohnzimmer und ließ sich in den Sessel plumpsen.
»Hi.« Stephan guckte bei der Begrüßung in eine andere Richtung. Eigentlich hatte er vor, ihn den ganzen Abend zu ignorieren. Manchmal konnte er sehr bockig sein und wollte diesmal auf keinen Fall so tun, als wäre nichts vorgefallen. Stephan hielt die Bierflasche fest und guckte zum Aquarium, in dem die Fische von links nach rechts und von oben nach unten schwammen. Das wirkte beruhigend auf ihn. Dabei zog er eine beleidigte Flappe und saß verkrampft in seinem Sessel.
»Bier?«, fragte Vincent, als er den Kühlschrank öffnete.
»Ja, gerne«, antwortete Thomas sofort.
»Benehmt euch doch endlich wieder normal, Jungs. Ihr seid neunzehn und nicht sechs! Wie im Kindergarten!«, übernahm Vincent schließlich das Wort, nachdem er merkte, dass sie von selbst nicht aufeinander zugehen würden. Er machte eine Bierflasche auf und reichte sie Thomas, der sie dankend entgegen nahm und sofort dran nippte. Mit Stephan und Vincent anzustoßen traute er sich bei der dicken Luft nicht. Thomas schielte vorsichtig zu Stephan herüber, der weiterhin auf das Aquarium starrte, und machte dann doch den Versuch mit Stephan zu reden.
»Es tut mir leid, wenn ich dich verletzt habe. Ja, ich habe darüber gelacht, als du uns damals davon erzählt hast, aber ich habe damit nicht dich persönlich gemeint. Ich kann nun mal an solche Dinge kaum glauben.« Thomas sah ihn mit einem Hundeblick an und hoffte, dass er endlich das Schweigen beenden und ihm verzeihen würde. Hilflos schielte er kurz zu Vincent rüber, doch von dort bekam er keine Hilfe. Stephan sah ihn immer noch nicht an, sondern starrte die Bierflasche in seiner Hand an und wirkte nachdenklich. Auch wenn Stephan sehr stur sein konnte, er hatte ein gutes Herz und hasste Streitereien. Er wartete noch einen Augenblick, um Thomas zappeln zu lassen, bevor er schließlich antwortete. Die Flasche ließ er endlich aus dem Blick, drehte langsam den Kopf zur Seite und sah Thomas an.
»Du solltest nicht über Dinge lachen, die du kaum verstehst oder von denen du absolut keine Ahnung hast«, antwortete Stephan, immer noch beleidigt, aber der Zorn schien sich verflüchtigt zu haben.
»Ja, du hast recht. Es war falsch von mir. Werde ich nicht mehr machen. Frieden? Tut mir wirklich leid. Schwamm drüber?« Er streckte seine Hand Stephan entgegen. »Komm schon, schlag ein.«
Dieser ließ ein paar Sekunden verstreichen, bevor er ihm die Hand reichte. »Na schön.«
»So gefällt es mir schon besser.« Vincent setzte sich wieder auf das Sofa. Es vergingen noch einige Minuten, bis die Situation absolut entspannt wirkte und die beiden ein normales Verhalten zeigten. Sie wurden lockerer und Stephans Hände umklammerten die Bierflasche nicht mehr so fest wie zuvor.

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