Kapitel 5

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Die Phase des Halbschlafes erlebte Stephan als pure Entspannung. Das Gefühl, welches er empfand, war beinahe, als würde er auf einer Wolke schweben. Sein Körper fing an zu vibrieren. Es fühlte sich an, als wäre er schwerelos und würde nur aus Luft bestehen. Der Zustand hielt eine Weile an, bis die noch eben verspürte Leichtigkeit verloren ging und sein Körper sich plötzlich starr wie ein Brett anfühlte. Weiter in der Ferne hörte er etwas klingeln, ähnlich einer Kirchenglocke, jedoch viel länger anhaltend. Es war wie ein lang gezogenes Dinnnnng Donnnnng. Der Ton erklang dumpf, als würde sich diese Glocke in einem weit entferntem Haus befinden, umgeben von dicken Wänden und ummantelt mit Watte. Es blieb immer im selben Rhythmus und klang angenehm. Er lauschte gerne dem klingelnden Ton, der etwas Beruhigendes hatte. Doch seine Konzentration wurde durch ein zusätzliches Geräusch, in seiner unmittelbaren Nähe, unterbrochen. Es war nicht dumpf und auch nicht so weit entfernt, sondern klar und deutlich, eher wie ein Rascheln. Wie von einem Butterbrotpapier, das soeben von jemandem zerknüllt wurde. Dieses Rascheln hatte einen eigenen Takt und machte ohne Unterbrechung wrisch, wrisch, wrisch. Jetzt war Stephans Interesse auf die neue Erscheinung gelenkt. Es wirkte nicht beruhigend, jedoch interessant und er versuchte genauer hinzuhören. Das Glockengeräusch konnte man immer noch registrieren, aber es wurde leiser, sobald Stephan sich nur auf das Rascheln konzentrierte. Im nächsten Augenblick vernahm er einen weiteren Laut. Dieses Knistern befand sich nicht so weit in der Ferne wie die Glocken und auch nicht so nah wie das Geraschel, welches dem Zusammendrücken von Papier glich. Aus der Ferne beurteilt, musste sich dieser Laut mittig zwischen dem Glockengeläut und Rascheln befinden. Stephan bemühte sich, seine Aufmerksamkeit auf das Knistern zu richten. Als ihm das gelang, waren die anderen beiden Laute nur noch leise zu hören. Er nahm Stimmen zur Kenntnis. Es hatte den Anschein, als würden sich zwei Menschen unterhalten. Die Sätze konnte er nicht begreifen. Womöglich eine fremde Sprache? Er versuchte, sich noch mehr zu sammeln. Ab und zu hatte er das Gefühl, das eine oder andere Wort zu erkennen. Die wenigen Wörter, die er verstand, brachten ihn aber nicht weiter. Dem Gespräch konnte er kaum folgen. Wörter wie »Seele«, »tot«, »Verschwinden« und »auf der anderen Seite«, meinte er zu verstehen. Alles war viel zu undeutlich und die zwei weiteren Geräusche, die kaum noch zu hören waren, störten ihn außerdem. Er gab es auf. Diesem Geplapper wollte er nicht mehr folgen. Um dieser Situation zu entkommen, wünschte er sich zurück in seinen Körper. Stephan fühlte sich abermals leicht wie eine Feder und wieder war dieses Gefühl anwesend, als würde er auf einer Wolke schweben. Es dauerte nicht lange, bis er erneut fiel. Plötzlich und schnell. Wenige Zentimeter über dem Bett blieb er hängen, bis er wieder langsam hinauf stieg. Der Eindruck, als würde ihn nur Wind tragen, versetzte Stephan in ein berauschendes Glücksgefühl. Als ihn unvermittelt der Eindruck überkam, er würde sich nicht mehr bewegen, öffnete er die Augen. Seine Seele blickte nach unten auf das niedrige Doppelbett, in dem er noch vor ein paar Minuten gelegen hatte. Er sah sich genau dort liegen, wo er sich schlafen gelegt hatte. In dem Moment wurde ihm klar, dass er seinen Körper wieder verlassen hatte. Diese Gewissheit und die Freude darüber ließ ihn wach werden. In dem Augenblick der Erkenntnis wurde er zurück in seinen Körper katapultiert.
Stephan machte die Augen auf und ließ seinen Blick durch das Zimmer schweifen. Wie zu erwarten gewesen war, befand er sich in seinem Schlafzimmer. Es war nichts verändert oder unnatürlich. Trotz der Dunkelheit war es ihm möglich, alles grob zu erkennen. Er lauschte und hörte etwas. Aber woher kam dieses Geräusch? Unter dem Bett? Es konnte nur von dort kommen. Einen Moment zögerte er, aber die Neugier war größer als die Angst. Nun stand er auf, ging auf die Knie und bückte sich runter, um nachzusehen. Sein Bett war ziemlich groß, eigentlich viel zu groß für nur eine Person. Er sah zuerst in die rechte und dann in die linke, hinterste Ecke. Sogleich musste er erkennen, dass sich dort etwas befand, was da nicht hingehörte. Seine Pupillen weiteten sich bei dem Versuch, mehr zu erkennen. Als er den dunklen Schatten erblickte, der sich unter seinem Bett befand, erschrak er. Die dunkle Gestalt bewegte sich nicht und schwebte in einer waagrechten Position zwischen Lattenrost und Teppichboden. Dabei machte sie diese eigenartigen Geräusche, die er vorhin gehört hatte. Jetzt erinnerte es Stephan an das Atmen eines Asthmakranken. Stephan bekam Angst. Augenblicklich aus der Wohnung zu verschwinden, war in dem Moment sein einziges Ziel. Doch nur nach einem Schritt, den er in Richtung Tür gemacht hatte, erblickte er eine weitere dunkle Gestalt. Sie verstellte den Ausgang. Voller Panik sprang Stephan zurück unter die Bettdecke. Sein Kopf lag auf dem Kissen und fühlte sich so schwer an, als wäre er aus Beton. Die noch warme Decke zog er hoch bis an sein Kinn.
Als lange Zeit nichts passierte, setzte er sich aufrecht hin. In der Hoffnung etwas zu entdecken, ließ er den Blick im Raum umher kreisen, obwohl er wusste, dass das Übel sich unter seinem Bett befand. Er tastete im Dunkeln nach dem Knopf der Nachttischlampe. Die konnte er jedoch nicht auf Anhieb finden. Der Schalter war zwischen Bettrahmen und Nachttischschränkchen eingeklemmt. Stephan schob eine Hand in die Spalte, um den Drücker zu finden. In dem Moment streifte ihn etwas am Nacken. Seine Hand blieb wie erstarrt liegen und suchte nun nicht mehr nach dem Knopf, der den Raum erhellt hätte. Abrupt wurde er von einer Hand an der Kehle gepackt und wieder runter in das Kissen gezogen. Er fuchtelte mit seinen Armen und Beinen, um sich aus dem Griff, der ihn fest umklammerte, zu befreien. »Verschwinde! Lass mich!«, schrie Stephan, obwohl er merkte, dass der Druck um seinen Hals noch stärker wurde, als er sich noch mehr wehrte. Seine Decke wurde auf den Boden geschleudert. Als er den Eindruck hatte, dass sich der Druck um seine Kehle lockerte, versuchte er sich erneut aufzusetzen. In dem Moment wurde der Griff abermals fester und presste seinen Kopf wieder in das Kissen. Stephan fasste mit einer Hand nach hinten, um das, was ihn festhielt, zu packen. Bevor er die Stelle erreichte, an der sich dieses Etwas befand, wurde er um hundertachtzig Grad gedreht und lag nun mit dem Gesicht nach unten. Die Hand hielt seinen Hals fest und drückte zu. Er wurde so sehr mit seinem Gesicht in das Kissen gedrückt, dass er nach Luft schnappen musste. Seine Hände versuchten erfolglos, seinen Körper nach oben zu stemmen. Er versuchte seinen Kopf nach rechts zu drehen, um wieder Luft zu bekommen. Der Griff hatte ihn so fest gepackt, dass er seinen Kopf keinen Millimeter drehen konnte. Nun sah Stephan nur noch Schwärze und fiel in die Tiefe der Ohnmacht.

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⏰ Letzte Aktualisierung: May 05, 2019 ⏰

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