Debüt - II - Die Magie der Wildpferde

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Sei vorsichtig, hat er gesagt. Setze die Kraft überlegt ein, hat er gesagt. Sie ist stark, hat er gesagt.

Und - verdammt! Er hatte Recht!

Calla stand inmitten der Manege. Das Publikum starrte sie an. Calla starrte zurück. Sie musste das hier jetzt tun. Nicht nur Ydris und der Zirkus verließen sich auf sie, nein, auch die Wildpferde. Calla atmete tief ein und aus. Dann pfiff sie laut. Ein Pferd kam in die Manege gestürmt, es war Enid. Das graue Pony kam neben ihr zum Stehen, wieherte aufgeregt und musterte das Publikum.

"Wir bekommen das hin", flüsterte Calla ihrem Pferd ins Ohr, sodass es niemand hören konnte. Sie legte ihre Hände auf den Rücken des Tieres und schwang sich hoch. Enid wusste, was zutun war, trabte los, als Calla richtig saß. Dann galoppierte sie. Ohne jegliche Hilfsmittel stand die Schwedin auf, betend, dass sie nicht in der nächsten Sekunde Bekanntschaft mit dem Boden machte. Alles was ruhig, doch dann kamen fünf weitere Pferde in die Manege galoppiert. Schwarze, weiße, braune. Sie reihten sich alle neben Enid ein, galoppierten im Kreis. Dann aber reihten sie sich in der Mitte der Manege ein, blieben stehen und sahen das Publikum an. Calla auf Enid stand direkt in der Mitte der Pferde. Sie legte eine Hand auf ihre Brust, atmete tief ein und aus. Sie durfte nichts falsch machen.

"Meine Damen und Herren", begann sie. Sie brauchte kein Mikrofon. Die Magie, die sie von Ydris für die Show bekommen hatte, regelte das. "Das sind einige Wildpferde der südhufer Halbinsel." Ein Raunen ging durch die Menge. Die Wildpferde waren in vielen Teilen Jorviks als unzähmbar angesehen worden. Und nun waren sie Zirkuspferde? "Doch es ist gut möglich, dass es bald keine Wildpferde mehr gibt. Die Regierung Jorviks will das Land, auf dem die Wildpferde leben, verkaufen. Teuer. Sehr, sehr teuer. Die Pferde werden als störend angesehen. Wenn wir, das sind Hermit, Justin und ich, das Land nicht rechtzeitig kaufen, werden die Pferde entweder zwangsversteigert oder anderweitig 'entsorgt'. Ich denke, sie wissen, worauf ich hinaus will." Calla wollte das Wort nicht aussprechen. Es waren kleine Kinder anwesend. Sie sollten nicht verstört werden. "Hermit lebt seit vielen Jahren auf Südhuf, direkt neben den Wildpferden. Sie gehören nicht nur zu seinem Leben, sie sind sein Leben. Doch sie selbst werden aufgrund einer Krankheit immer weniger. Die Tierarztkosten sind hoch." Calla merkte, dass es Zeit war, den Leuten vor die Augen zu führen, wo die Wildpferde lebten. Wie sie lebten. Deshalb bündelte sie die Kraft, die ihr von Ydris gegeben wurde. Versuchte, sie zwischen ihren Händen zu behalten. "Die Wildpferde gehören hierher!"

Und dann wurde für einen Moment alles dunkel.

Als es wieder hell wurde, war das Zirkuszelt verschwunden. Lediglich die Tribüne mitsamt der Besucher, die Wildpferde, Calla, Justin, Hermit und all die Leute vom Zirkus waren mitgekommen. Ydris verstand nicht, was Calla dort vollbracht hatte. So viel Energie hatte er ihr niemals gegeben, abgesehen davon war das hier gar nicht abgesprochen!

"Wer von ihnen war schon einmal auf Südhuf?", rief Calla laut. Nur wenige Hände aus dem Publikum hoben sich. "Nun können Sie sehen, wo die Pferde leben. Doch all das wird es nicht mehr geben, wenn sie erst einmal weg sind!"

Der Boden bebte. Es war, als würde eine Herde Elefanten auf die Tribünen zugaloppieren, doch es waren keine Elefanten - es waren Wildpferde. Diese Wildpferde waren nicht einfach nur braun, schwarz oder weiß - sie waren blau, rot, grün. Enid war die einzige, die mit einem Mal lila erschien.

"Wenn die Tiere verschwinden, verschwindet jegliche Magie dieses Ortes."

Die Pferde bewegten sich. Zogen Kreise um Enid und Calla. Die Schwedin ließ sich langsam nieder sinken, setzte sich hin, griff in die Mähne des Ponys.

"Was können wir tun?", rief ein kleines Mädchen von der Tribüne. "Dass die Pferde hier bleiben?"

"Spenden! Wir haben eine Spendenseite im Internet. Sie können auch gerne nach der Show spenden. Machen Sie Leute aufmerksam, die heute nicht dabei sind! Jeder Schilling hilft!"

Paula und Linus waren in die Sache eingeweiht. Sie liefen durch die Reihen und verteilten Flyer, sendeten Calla das Zeichen, als so gut wie alle weg waren.

Die Show konnte beginnen.

Enid setzte sich in Bewegung. Sie galoppierte an den Pferden vorbei, welche sich dann hinter ihr einreihten. Nach und nach entstand eine lange Kette, welche sich in drei kleinere aufteilte. Es passierten Dinge, die man nicht von Wildpferden erwartet hätte. Piaffen, Jambetten, Pirouetten. Und noch vieles, vieles mehr. Ganz ohne Reiter. Einige der Pferde hinterließen verschiedenfarbige Linien, als sich schließlich alle in zwei Reihen wieder in Kreisformation bewegten. Vorneweg natürlich Enid. Nun kam es zum Höhepunkt der Vorstellung: Der Kreis vergrößerte sich, die zweite Reihe löste sich auf und reihte sich ein. Langsam aber sicher ging der Kreis um die Tribüne, welche mit der Zeit anfing, zu scheinen. Lilaschwarze Punkte bildeten sich, schlossen aneinander an.

"Jorviker, das ist die Magie der Wildpferde!"

Die Tribüne löste sich auf. Doch die Leute fielen nicht herunter, nein, sie fingen an, zu schweben. Auch die Pferde hoben langsam in die Lüfte ab, Calla rutschte von Enids Rücken, um neben dem Pferd herzulaufen. Justin schloss sich dem ganzen an, lächelte Calla an. Das Mädchen lächelte zurück, ergriff seine ausgestreckte Hand. Sie fühlte sich wohl.

Sie hatte es geschafft.

Und Justin gab ihr ein seltsames Gefühl der Vollkommenheit.

The Jorvik Wilds | SSO FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt