Debüt - I

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"Meine Damen und Herren!", begrüßte Ydris die Zuschauer, als er in die Manege trat. "Ich begrüße sie herzallerliebst im Zirkus der Träume! Hier werden Ihre Träume wahr, ob groß, ob klein, ob jung, ob alt! Ich bin der Unglaubliche Ydris und werde Sie auf Ihrer Reise durch den Zirkus der Träume begleiten!"

Das Publikum klatschte laut, Ydris zog seinen Hut und verbeugte sich. Genau in diesem Moment flogen gefühlte hundert Tauben aus seinem Hut, sammelten sich an der Zirkusdecke und flogen in einer diamantartigen Formation über dem Publikum hinab. Sie ließen Rosen, Chrysanthemen, Tulpen und Gänseblümchen fallen, auf die Köpfe zwei kleiner Mädchen sogar zwei Gänseblümchenkränze. Die beiden lachten begeistert auf und fassten sich aufgeregt an den Händen. Der Applaus verstärkte sich und schwachte erst ab, als die Tauben nacheinander aus dem Zelt flogen.

"Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen!"

Mit diesen Worten verließ Ydris schnellen Schrittes die Manege, während die typische Zirkusmusik erklang. Kaum war Ydris aus dem Sichtfeld der Zuschauer verschwunden, verstummte die Musik und die Lichter gingen aus. Einige Sekunden lang passierte rein gar nichts, dann Geflüster in den Zuschauertribünen.

"Meine Damen und Herren", -knister-, "Wir entschuldigen den plötzlichen Ausfall der-", -BEEP-, "Elek-" knister. Die verzerrte Stimme des Zirkusdirektors hallte über die Köpfe der Zuschauer hinweg. Erneut knackte und piepte es im Mikrofon, bis dieses anscheinend den Geist aufgab.

"Meine Güte, ich wusste, dass das passiert!", erklang plötzlich eine weibliche Stimme mit russischen Akzent in der Manege. Es war stockdunkel, lediglich die Umrisse einer gekrümmt gehenden, breiten Person waren zu sehen. "Junge, leg dir mal richtige Technik zu!" Das Publikum lachte laut auf und wartete anscheinend darauf, dass die Lichter wieder angehen würden. Doch nichts, es war noch immmer zappenduster.

"Naja, wenn die Technik nicht funktioniert, dann eben auf die altmodische Art!" Mit einem Mal wurde das gesamte Zirkuszelt in ein schummriges, lilapinkes Licht getaucht. Silhouetten von Tieren, Pflanzen und anderen Formen tanzten an der Zirkusdecke und über die Wände und Gesichter der Zuschauer entlang. Die Frau in der Mitte lächelte und setzte sich auf einen Hocker, den sie anscheinend mitgebracht hatte. "Gestatten, Madame Iwanow, Wahsagerin und professionelle Teetrinkerin, zu Ihren Diensten!" Gelächter schallte durch das Publikum.

"Ich merke schon", lächelte Darja und schloss die Augen. "Wir haben Träumer im Publikum. Interessant, von was hier geträumt wird." Darja schmunzelte, öffnete wieder die Augen und stand auf. Ihr Blick glitt über das Publikum, bis ihr ein Junge und ein Mädchen ins Auge stachen. Sie ging zu den beiden hinüber und lächelte sie an.

"Darf ich mir die beiden mal ausleihen?", fragte sie die danebensitzenden Eltern. Diese sahen kurz ihre Kinder an, nickten dann aber. Schüchtern ließen die beiden sich mit in die Manege nehmen, wo Darja sich wieder auf ihren Hocker plumpsen ließ. "Meine Damen und Herren, meine beiden Freiwilligen, Frederik und Celine!" Das Publikum klatschte laut. Die Kinder grinsten über beide Ohren, woher die Frau ihre Namen kannte war ihnen in diesem Moment egal.

"Also, meine beiden, ich weiß genau, was ihr euch wünscht", lachte Darja leicht und sah Frederik an. Der Junge zog eine Augenbraue hoch.

"Achja? Was denn?" Er verschränkte die Arme, erneut schallte Gelächter von den Tribünen hinunter. Darja lächelte, ließ ihre Finger kreisen und mit einem Mal erschien ein stegosaurusförmiges Auto in der Manege. Der Junge stieß einen begeisterten Schrei aus und rannte zu dem Auto. Er kletterte hinein, plötzlich fuhr das Auto los. Der Junge lachte laut auf und fuhr in der Manege seine Runden.

"Und du, mein Mädchen, du wünscht dir ein Pegasus?"

"Mit einem Horn!"

Darja lachte, das Publikum tat es ihr gleich. Erneut ließ Darja ihre Finger kreisen, als das Mädchen auf einmal auf einem geflügelten Einhorn saß und durch die Lüfte schwebte. Auch das Mädchen lachte jetzt laut, klammerte sich an der Mähne fest und wank ihren Eltern.

"ICH KANN FLIEGEN!", schrie sie beigeistert lachend durch das große Zirkuszelt. Das geflügelte Einhorn wieherte laut und galoppierte förmlich durch die Lüfte. Der Junge sah seiner Schwester begeistert zu, als er sein Auto geparkt hatte. Auf einmal flogen noch mehr Pegasi mit Hörnern in die Manege und galoppierten dem Mädchen hinterher. Erneut startete eine Formation und die Tiere führten synchron Tricks vor.

Doch dann-

Die Erde fing an, zu beben.

Das Publikum schrie auf, als auf einmal zwei Stegosauri in die Manege liefen. Die Dinosaurier brüllten und folgten dem Jungen, der nun weiter durch den Zirkuskreis fuhr. Mit einem Mal fingen die Pferde an, den Dinosauriern zu folgen. Sie bildeten allesamt eine Formation, vorneweg Frederik in seinem Auto und Celine auf ihrem geflügelten Einhorn. Das Publikum klatschte wie wild, Darja lächelte warm und fing an, ihre Hände kreisförmig übereinander zu bewegen. Langsam bildete sich eine pinkblaue Kugel, die immer größer wurde. Als die Tiere schließlich in einer Reihe hielten, ließ die Russin die Kugel über der Manege platzen.

Überall war Konfetti, Luftballons flogen durch das Zirkuszelt.

Nach und nach verschwanden die Dinosaurier und die Pferde, bis schließlich Frederik und Celine wieder auf dem Boden standen. Das Publikum klatschte noch lauter, Darja trat zwischen die beiden Kinder, nahm ihre Hände und verbeugte sich, die Kinder taten es ihr gleich.

"Na los, lauft wieder zu euren Eltern."

"Meine Damen und Herren, Madame Iwanow!"

Das Publikum klatschte weiter, Darja verbeugte sich noch einmal und ließ dann das Licht erlischen. Erneut war es komplett dunkel im Zirkuszelt, dann jedoch ertönte ein Pfeifen. Ein Scheinwerfer ging an und richtete sich direkt auf Xin, der mitten in der Manege stand, die Hände hinter dem Rücken, mit seiner Maske auf. Die Melodie, die er pfiff, war neu. Sie klang nahezu mystisch, doch dann wurde sie urplötzlich schnell und hecktisch, das Licht flackerte und fuhr herum, ein zweiter Scheinwerfer ging an und richtete sich auf einen der Türme. Auch das andere Licht richtete sich, Xin war nicht mehr zu sehen, doch dafür stand auf jedem Turm eine Person.

Die Akrobaten waren der Wahnsinn. Das Publikum klatschte mit jeder Minute, in der Linus und Paula ihre Nummer aufführten, lauter. Der Übergang zur nächsten Nummer war flüssig: Zack kam in die Manege gelaufen, als das Geschwisterpaar mit einem Salto vom Trapez sprangen. Das Licht ging aus, mit einem Mal sah man, wie Zack Feuer spuckte. Die Flamme wurde größer und größer, am Rand der Manege sah man zwei Schatten vorbeihuschen. Urplötzlich schossen zwei Vögel in das Zirkuszelt und flogen direkt in die Flammen. Das Publikum schrie erschrocken auf, doch dann flogen die Vögel wieder aus den Flammen heraus. Aber es waren keine normalen Vögel, nein:

Es waren Phönixe.

Sie hinterließen eine goldfarbene Glitzerspur in der Luft, zogen Kreise durch das gesamte Zelt. Der Glitzer rieselte von der Decke hinab, bedeckte sanft und kaum merklich die Köpfe der Zuschauer. Erneut wurde das Zelt mit Klatschen erfüllt. Die Phönixe krächzten laut, die Flamme von Zack war längst erloschen. Doch dafür strahlten die Phönixe, der Schnabel weit geöffnet, bis sie eine Art Lichtball abschossen und durch diesen flogen. Die Vögel waren weg, einfach verschwunden, es war dunkel.

"Was passiert jetzt?", kam es leise vom Rand der Manege. Dort saß ein kleines Mädchen, anscheinend war sie ziemlich aufgeregt. Dann ging ein Schweinwerferlicht wieder an und richtete sich auf die Mitte der Manege. Ein schmaler, groß gebauter Clown stand dort. Das rote Haar, ganz offensichtlich eine Perücke, war glatt gekämmt. Ein Notenständer stand vor ihm. Einen Dirigentenstock in der einen Hand. Irgendwo zirpte eine Grille. Der Clown, auf dessen Shirt groß 'VERNON' stand, klackte den Stock auf dem metallenen Ständer und zeigte damit schließlich in drei Richtungen. Er 'trennte' das Publikum quasi von einander ab, währenddessen baute sich hinter ihm ein Blasorchester zusammen. Es war wirklich ein witziges Bild, das entstand, während Vernon versuchte, dem Publikum klar zu machen, wann welcher Abschnitt klatschen sollte und wann nicht. Irgendwann gab Vernon es schließlich auf, er seufzte laut frustriert und sprang kurz in die Luft. Jedoch drehte er sich dabei um und als er sich wieder zurückdrehte, stand an seiner Stelle eine blonde Frau in den späten vierzigern. Ihr Outfit war schwarz, die langen Haare fielen offen über ihren Rücken. Neben ihr stand nun ein Tisch, auf dem allerlei Messer lagen. Dem Publikum dämmerte bereits, was nun auf sie zukam.

Und doch sollte es noch viel mehr werden.

The Jorvik Wilds | SSO FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt