Kapitel 1

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Gibt man sich dem Finsteren hin und widmet sein Leben der dunklen Künste, so sucht man ein abgeschiedenes Dasein. Das Studieren der verblichenen Magie und die Beschwörungen böser Schergen verdammen einen, das Exil zu wählen.

In tiefsten Wäldern aus dunklen Fichten und in vermoderten Sümpfen verstecken sich jene, die der Dunkelheit anheimgefallen sind. Nur selten und nur wenn man auf Abwegen geraten ist, trifft man auf eine dieser abgelegenen Hütten. Doch wer sich noch weitaus tiefer in die Materie der Abscheulichkeit begeben hat, der sucht sich die verästelten Straßen der Städte aus, um dort im undurchdringlichen Häuserwald seine Machenschaften auszuüben. Die größte und verworrenste Stadt ist hierbei Arrenville.

Ein Irrgarten aus alten Gassen, die parallel und quer zu den Hauptstraßen in einander führten überzogen die gesamte Stadt, wobei insbesondere im Stadtkern, sowie am Hafen die Straßen eng und die Gebäude besonders hochragten. Vom alter gezeichneter Putz zog sich an den schiefen Häuserfassaden hinauf und mündeten in Staffelgiebeln, deren Stufen das gesamte Bild von Arrenville prägten. Lediglich an den Docks zeigten die Straßen eine gewisse Weite, die es erlaubte, große Materialen für die Schiffsrümpfe zu transportieren. All jene, die sich in diesem Gewerbe ihr Tagwerk vollbrachten, kamen in dem Kaibezirk unter. Dieses bestand aus dicht aneinander gedrängten Häusern, die sich wie Schachteln aneinanderreihten und nur durch die winzigsten und verästeltsten Gassen getrennt wurden. Dieser Stadtbezirk verband im Nördlichen Sektor, den Stadtkern mit all seinen Regierungs- und Verwaltungsgebäuden, mit der Hafenpromenade, welche sich durch die Kaie auszeichnete. Unzählige Segelschiffe lieferten dort ihre Güter aus dem gesamten Imperium und darüber hinaus. Denn die Stadt schlief nie. Ein ständiger Betrieb, der überbevölkerten Stadt, musste stets mit Nahrung und anderen Waren versorgt werden. Nur wenig wurde in Arrenville angebaut, sondern lediglich hier verarbeitet. Große Fabriken grenzten neben den barackenähnlichen Bauten des Kaibezirks, in denen die Schmiedeöfen ihren Qualm in die Luft stießen. Zahllose Arbeitskräfte zog es in die Metropole und verstopfen Baracken gleich den Gast und Wirtshäusern, die sich in besonderer Zahl um den Hafen herum tummelten.

Im April traf es sich dann, dass es mich in eben diese verwinkelte von Geheimnissen durchzogene Stadt führte. Als Tagelöhner an den Docks suchte ich mir eine Unterkunft für meine saisonale Arbeit. Den dritten Sommer reiste ich nach Arrenville, doch war es in diesem Jahr, das erste Mal, dass keine Gaststube oder gar Schenke ein Bett frei hatte. Für mich alleine, lohnte es sich nicht, in einer der Arbeiterbehausungen unterzukommen und daher schaute ich mich nach alternativen Übernachtungsmöglichkeiten um.

Die neue und hochmoderne Buchdrucktechnik ermöglichte es, dass nicht jedes Blatt Papier per Hand beschrieben wurde, sondern dass zu gleich mehrere sogenannter Zeitungen gedruckt wurden, auf denen allen dasselbe publiziert wurde. Mit Hilfe dieses Mittels erfuhr ich von einem Mann, der in einer Annonce eine kleine Kammer in seiner Baracke in dem Kaibezirk anbot.

Ich schrieb dem Mann, dass ich dieses Zimmer gerne anmieten würde und sagte ihm, ohne das Objekt zu sehen, zu. Als ich wenige Tage darauf an eine schmale Tür, tief im Barackenviertel anklopfte, war ich höchst verwundert, als mir ein alter Mann in Jackett die Tür öffnete. Die ordentliche Kleidung des Mannes zeigte ein Wappen auf dem Revers, welches der Universität in Arrenville angehörte. Er stellte sich als Professor Gerald Cunningham vor, Dozent für Archäologie und Geologie. Irritiert einen Akademiker anzutreffen, fragte ich ihn nach seinem Grund, weshalb er hier lebe.

„Die Seeluft tut einem alten Mann, wie mir einfach gut", sagte er. „Nahe der Universität lebt man so dicht am Stadtkern, dass man weder Wasser noch Horizont sehen kann."

Er bat mich in das Haus hinein und offenbarte die karge Einrichtung. Trat man durch die schmale Eingangstür, so befand man sich, ohne Windfang, direkt im Wohnraum. Ein runder Tisch nahm dabei die Mitte ein, die gegenüberliegende Wand war mit einem prall gefüllten Regal vollgebaut und links, wie rechts ging je eine Tür ab. Er wies auf die linke Tür.

„Hier schlafe ich", erklärte Cunningham. „Ihr Quartier ist auf der rechten Seite. Treten sie ruhig ein."

Ich öffnete die Tür zu meiner Kammer und fand ein ordentlich bezogenes Bett neben einer kleinen Kommode vor.

„Und was sagen sie?", erkundigte sich der alte Mann. „Genügt ihnen das? Die Kommode können sie gerne benutzen und sie haben auch einen eigenen Nachttopf. Ich werde die meiste Zeit nicht da sein. Essen müssen sie sich dann selbst machen. Tagsüber bin ich in der Universität und arbeite dort oft sehr lange. Dann komme ich hierher und werde sofort schlafen. An dieser Stelle gilt es zu erwähnen, dass ich dann nicht gestört werden möchte. Egal welche Geräusche sie vielleicht des nächtens hören mögen. Mir ist meine Nachtruhe äußerst wichtig.


Der Golem von ArrenvilleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt