Kapitel 6

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Die Fesseln an meinen Händen rieben mir an der Haut, der Knoten zeigte sich jedoch standhaft. Trotz meiner Bemühungen eine Hand aus der Schlinge zu ziehen, lockerte sich das Seil um keinen Fingerbreit. Gerald Cunningham hatte derzeit seine restlichen Bücher und Schreibutensilien in seinen Koffer geräumt und kniete auf ihm, um ihn zu trotz der vielen Inhalte zu schließen.

Noch bevor der Koffer einrastete, klackte ein Türschloss, das direkt aus der Baracke über uns herrührte. Dann knarrte der Boden der Behausung, als müsste sie eine enorme Last tragen. Knarzend kletterte die große Gestalt in den Keller herab und trat wortlos vor den Professor.

„Da bist du da", sagte Cunningham und zeigte dann direkt auf mich. „Jetzt kümmer dich um den da. Ich will, dass er aufhört zu atmen."

Weiterhin wortlos drehte sich der Hüne zu mir und starrte mich mit jadegrünen Augen an. Kein Blinzeln, keine Regung, nicht mal ein Zucken. Reine Gefühllosigkeit fixierte mich durch die Jade. Mit kantigen Schritten durchmaß er den Raum und griff nach mir. Kalte Finger schlossen sich wie Schraubstöcke um meine Arme und er riss mich ruckartig hoch. Meine Fessel zerrte an meinen wunden Handgelenken und das Seil straffte sich zwischen mir und dem Tischbein. Schließlich riss es dem Tisch das Bein berstend weg und der Golem stemmte mich über seinen Kopf. Ich schrie vor Angst und wurde durch den Keller geschmissen. Der Professor wisch meinem Körper aus und fuhr seinen Diener an: „Bring es zu Ende."

Abermals durchquerte der Golem den Raum und riss mich hoch.

„Töte ihn", schrie sein Alchimist.

Ich wirbelte umher und schlug hart irgendwo gegen. Außer meinem Stöhnen mischte sich dann plötzlich ein weiteres Jammern ein. Wie ein Spielzeug in den Händen des Golems, musste ich gegen den Professor gestoßen sein.

Fürchterlich erbost trat Gerald Cunningham plötzlich auf seinen Lakaien zu und stellte sich dadurch zwischen mich und dem Angreifer.

„Bist du von Sinnen?", schrie Cunningham. „Du sollst ihn Töten. Nicht mich! Bring es zu Ende."

Der Golem schritt geradewegs auf mich zu und hieb kurzerhand den Professor aus dem Weg. Durch die Rechte der Elementargestalt getroffen, schleuderte es den alten Cunningham durch den Keller, bis er hart gegen die Wand aufschlug. Er war auf der Stelle tot. Glasig standen seinen Augen offen und deuteten von einem entsetzten Ausdruck.

Ohne sich ablenken zu lassen, nahm nun der Golem seinen Vormarsch zu mir wieder auf. Es gab nur eines zu tun und ich wusste, dass ich so schnell wie möglich aus diesem beengten Areal heraus musste. Ich stemmte mich auf und erklomm die Leiter, so schnell ich konnte. Zwar war der Golem unbesiegbar und kräftiger als jeder Mensch, doch schien er sich nur mit groben Schritten recht langsam zu bewegen und so gelang es mir, die Leiter zu erklimmen und aus der Baracke zu stürmen, bevor mich der Golem einholte. Trotzdem lief er mir unbeirrt hinterher und schlug Hindernisse, die ihm im Weg waren einfach zu Bruch. So hinterließ er einen verwüsteten Weg durch die Gassen des Kaibezirks. Auch wenn mein Verfolger sich langsam bewegte, so hatte er doch lange Beine und meine Kraft verließ mich mit jedem Schritt, bis ich schließlich kaum noch gerade laufen konnte. Ich torkelte vielmehr Schlangenlinien durch die Gassen.

Mein Ziel hatte ich dabei stets im Visier und steuerte direkt darauf zu. Ich stemmte das große Eisentor auf und wankte weiter auf das Gelände der Großschmiede. Dann betrat ich die Halle, indem ich so oft an den Hochöfen gearbeitet hatte und trieb mich erschöpft dort durch. Der Golem rückte mir immer näher und ich konnte zu diesem Zeitpunkt jeden seiner schweren Schritte hören, als befände er sich nur eine Handbreit hinter mir. Ich wagte es nicht, mich umzudrehen, sonder hetzte immer weiter. Ich durchquerte die nächste Halle und stieß zu allerletzt die Tür zu einem der Materiallager auf.

Ein langer Gang zwischen zwei Regalen führte dutzende Schritte weit in eine Sackgasse. Die letzten Schritte schliffen nur noch über den Betonboden, bis ich klatschend an der Wand ankam, die der einzigen Eingangstür am weitesten entfernt war. Ich lehnte rücklings an der kalten Mauer und blickte in jadegrüne Augen.

Der Golem betrat das Materiallager, wobei er gebückt durch die Tür starkste. Er setzte den ersten Schritt in den Raum hinein und stampfte zwischen den prall gefüllten Regalen hindurch. Ich presste mich an die Mauer und konnte nur beobachten, wie die Gestalt näher rückte. Mit jedem Schritt verringerte sich der Abstand bedrohlich, doch verringerte sich auch mit jeden Schritt das Tempo des Golems. Seine Bewegungen wurden schwerfälliger und noch ruckartiger und unnatürlich als ohnehin schon. Die Materialen, jene das Regal zu seiner Rechten füllten, begannen zu klappern und zu vibrieren. Als zöge sich ein kleiner Sturm durch das Regal, zappelte es plötzlich und zuckte in Kisten und Schubläden. Der Golem setzte einen weiteren Fuß voran, kam dabei auf nur wenige Schritte Abstand zu mir heran, schien jedoch auch dichter an das rechte Material zu schreiten, als würde er davon angezogen werden. Mit dem nächsten Schritt setzte er sich ruckartig von dem Schrank ab und griff gleichzeitig nach meinem Kragen. Wie eine Puppe hob er mich hoch, sodass meine Beine in der Luft baumelten. Die Luft wisch aus meinem Körper und kalte Finger schlossen sich um meine Kehle.

Gleichzeitig steigerte sich das Klappern der Materialien zu einem Höhepunkt, bis schließlich etwas aus dem groben Hemd des Golems herausschoss, auf das Regal zu flog und sich mit einem einzigen Aufprallgeräusch daran heftete. Das Klappern der Materialen verstummte jäh und ein etwa zwei Fäuste großer Eisenerzklumpen klebte an dem Lagerregal. Das Hemd des Golems wies an seiner Brust ein Loch einer ähnlichen Größe auf. Den jadegrünen Blick auf mich gerichtet, verlor der Golem an Farbe. Obwohl die Tönung der Augen identisch blieb, so wirkten sie weniger organisch und mehr wie Edelsteine. Seine gelbliche Haut verlor an Glätte und rieselte plötzlich von seinem Gesicht und den Händen ab. Kleine Sandkörner sammelten sich auf dem Boden, bis schließlich nur noch die grobschlächtige Kleidung in einem großen Sand und Lehmhaufen zu erkennen war. Ich sackte herunter, da mich nun niemand mehr festhielt und begutachtete den Hügeln zu meinen Füßen. Zwei kleine Jadesteine lagen oben auf dem Haufen auf und starrten mich immer noch an. Schaudernd überschritt ich das Sand und Lehmgemisch und begutachtete das Eisenerz. Geformt war es wie ein abstrakt wirkendes menschliches Herz. Als ich es berührte, war es kalt. Es saß so fest an einer Kiste in dem Regal, dass ich es nicht abziehen konnte. Das gesamte Regal war gefüllt mit Magneteisen, die zur Kompassherstellung hier verwahrt wurden.

Der Golem von ArrenvilleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt