Es verstrichen mehrere Wochen, in denen ich in der Schmiede arbeitete und in der Baracke tief im Kaibezirk wohnte. Die seltsamen Geräusche durchdrangen so manche meiner Nächte und bald gewöhnte ich mich an Kratzende, klopfende oder summende Töne. Ganz still schien es nie zu sein, während mir der Ursprung dessen unbegreiflich blieb. Die Option, den Professor selbst dazu zu befragen erübrigte sich dahingehend, dass ich ihn seit meinem Einzug nicht mehr zu Gesicht bekam. Er arbeitete oft bis tief in der Nacht und war wieder früh aus dem Haus.
Ein oder zwei Mal klopfte ich an seiner Zimmertür, als Cunningham da zu sein schien, doch kam keine Antwort. Es war fast so, als wohnte ich alleine in dem Haus und nachdem ich die Gerüchte über meinen Vermieter gehört hatte, war es mir auch recht so.
Nur bestimmte Spuren, deuteten an, dass jemand die Baracke betrat und verließ außer mir. So waren es manchmal ein Paar verdreckte Stiefel, die vor der Tür standen oder besondere Mineralien, deren letzte Spuren sich auf dem Holzboden des Wohnraums sammelten. Sandflecken und kleine Steine versteckten sich in Ritzen und Ecken, in denen ein Besen die Beweise nicht zu verwischen vermochte.
Im Juni jedoch, als ich wie gewohnt die Baracke zu meinem Arbeitsplatz verließ, hielten mich Männer der Arrenviller Wache ab, die Schmiede zu betreten.
„Niemand darf derzeit in die Fabrik eintreten", sagte einer von ihnen, „bevor wir uns kein gründliches Bild des Tatortes gemacht haben."
„Tatort?", fragte ich höchst verwundert. „Was ist denn geschehen?"
„Machen sie sich keine Sorgen", bestätigte der Wachmann. „Es ist niemand zu schaden gekommen. Es handelt sich um einen Einbruch. Wir müssen derzeit feststellen, ob Güter gestohlen wurden. Offenbar handelt es sich um einen einzelnen Täter, den Spuren zum Urteil. Viel wird er ja nicht mitgenommen haben können."
Es verstrichen mehrere Stunden in denen die Wachen ihre Untersuchungen tätigten und mit dem Schmiededirektor die Inventurlisten durchgingen. Viele der Arbeiter, die vor dem großen Eingangstor standen, sahen wenig Möglichkeit, noch Geld für ihre heutige Arbeit zu erhalten und entfernen sich vom Gelände. Ich hingegen blieb vor Ort. Ich wollte wissen, was passiert war und so wartete ich ab. Erst zum Nachmittag ließ man mich und ein paar weitere Schmiede hinein. Der Direktor schien erschöpft und angestrengt zu sein. „Geht an euren Arbeitsplatz und macht das, was ihr heute schafft. Ich werde euch für die Zeit entlohnen", versprach er.
„Was ist denn passiert?", fragte ich ihn, bevor er sich abwenden konnte.
„Nun", sagte er, „in die Schmiede wurde in der gestrigen Nacht eingebrochen. Dabei wurden verschiedene Ressourcen gestohlen. Es sind lediglich kleinere Mengen abhandengekommen, jedoch darunter auch teure Metalle sowie zwei Jadesteinen."
Der Schmiededirektor zog sich in sein Büro zurück und ich wandt mich meiner Arbeit zu.
Als ich nach dem Feierabend an diesem Tage nach Hause schritt, bemerkte ich sonderbare Spuren. In den schmalen Gassen des Kaibezirks lagen Flechtkörbe auf dem Boden, die sonst ordentlich neben den Türen standen. Fensterläden, welche zu dieser späten Stunde geschlossen gehalten wurden, hingen aus den Angeln und das ein um andere Mal, waren sie komplett heruntergerissen. Es machte den Anschein, als hätte jemand eine Rinderherde geradewegs durch die Gassen gehetzt. Als ich jedoch in die Durchgänge hinein spähte, die von meinem Weg abzweigten, so konnte ich dort keinerlei Blessuren feststellen. Ich guckte in jede Stichstraße und einmal durchmaß ich rasch eine und lugte auch in die Parallelgasse hinein. Alle Körbe und Karren standen ordentlich aufgereiht zwischen den unzähligen Häusern. Die Fensterläden verbargen, was in den Gebäuden vor sich ging und schienen allesamt intakt.
Nun war klar, dass nur die Gasse diese Verwüstung aufwies, welche ich von der Schmiede zur Baracke nahm, in der ich untergekommen war. Die Spuren des Chaos zogen sich durch, bis ich ankam und als ich weiter geradeaus, an der Haustür vorbei spähte, so war es mir nicht möglich, jene Zerstörung auch dort zu bemerken. Hier, genau an Professor Cunninghams Baracke, endete die Fährte.
Aus dem Wohnraum drang eine Stimme. Ein irres Lachen brach die Stille der frühen Nacht. Sachte öffnete ich die Tür und fand ein heilloses Durcheinander vor. Der Tisch lag umgeworfen auf der Kante und die Stühle, die ihn einst umrundeten, lagen zersplittert im gesamten Raum verteilt. Habseligkeiten sammelten sich überall und erweckte den Eindruck, dass hier jemand eingebrochen war, oder sogar jemand gekämpft hatte. Die Tür zu meiner Kammer schien unversehrt, doch gegenüber hing die Tür schief in nur noch einer Angel. Dahinter, wo sich das Schlafgemach von Professor Cunningham befinden müsste, stand eine Luke offen, die abwärts führte.
Mitten in diesem Chaos befand sich die alte Gestalt des Professors und gab ein gackerndes Lachen von sich.
„Endlich", rief er wie von sinnen, „all die vielen Versuche. Es hat funktioniert."
Ich trat weiter in die Baracke ein und sprach ihn direkt an: „Was hat funktioniert? Was ist hier geschehen?"
Plötzlich schaute er mich verwundert und vielleicht sogar erschrocken an. „Meine Studien", sagte er. „Ich muss los. Jetzt sofort."
Er hastete zu seiner Zimmertür, schloss diese ab und verließ schnellen Schrittes die verwüstete Baracke.
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Der Golem von Arrenville
Storie brevi"Gibt man sich dem Finsteren hin und widmet sein Leben der dunklen Künste, so sucht man ein abgeschiedenes Dasein. In tiefsten Wäldern aus dunklen Fichten und in vermoderten Sümpfen verstecken sich jene, die der Dunkelheit anheimgefallen sind. Doc...