Kapitel 2

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Als ich mein Gepäck in meiner Kammer untergebracht hatte, verließ ich alsbald die Baracke und muss dabei zugeben, dass ich froh war, der Anwesenheit des alten Professors zu entkommen. Obwohl er freundlich war und einen gepflegten und gebildeten Eindruck erweckte, löste er ein sonderliches Gefühl von Unbehagen aus.

Ich durchschlängelte die verwinkelten Gassen und schritt aus dem Kaibezirk heraus. Eine Schmiedefabrik nahm meine Arbeit an und ich verbrachte den restlichen Tag neben einem weiteren Fabrikarbeiter an einem Schmelzofen. Wir verarbeiteten hohe Mengen von Eisen, welches wir zu Nägeln, Beschlägen oder anderer Baumaterialien gossen, sowie Magneteisen, jenes für die Herstellung von Kompassen benötigt wird.

Als der Vorarbeiter die Glocke läutete, konnte ich endlich meine Arbeit niederlegen. Erschöpft schlurfte ich über die Straßen von Arrenville und tief in die Gassen der nachtfinsteren Stadt.

Als ich an der Baracke des Professors antraf, stand der sichelförmige Mond bereits hoch am Himmelszelt und das sonst so geschäftige Arrenville lag still da. Keine verirrte Seele stiefelte durch die asphaltierten Gassen. Keine der Fensterläden klapperte und niemand schien innerhalb der Häuser beschäftigt zu sein. Kaum ein einziger Kerzenschein glimmte durch etwaige Ritzen hindurch. Und so öffnete ich möglichst vorsichtig die Tür zu meiner Unterkunft und schließlich meiner Kammer, wo ich mich zur Nacht legte.

Erschöpft wie ich war, fiel ich rasch in den Schlaf. Als ich jedoch wieder aufwachte, drang noch kein Sonnenstrahl durch mein Fenster. Obwohl ich spät ins Bett gegangen war und körperlich ausgelaugt war, so hatte ich doch nur wenige Stunden schlaf gefunden. Es dauerte einen Moment, bis ich mich in meiner neuen Umgebung orientiert hatte und stellte daraufhin fest, dass ich nicht ohne Grund aufgewacht war. Es waren Geräusche, die mich um meinen Schlaf brachten. Etwas dröhnte und dann blubberte es, als stiege Luft in einem Sumpf an die Oberfläche und zerplatzte. Ein Kratzen oder Abschaben von einem harten Material unterbrach die anderen Geräusche, die allesamt untypisch für das Barackenviertel waren.

Verwundert öffnete ich mein Fenster nach außen hin und horchte in die düstere Nacht hinein. Doch diese seltsamen Laute schienen nicht von außerhalb zu stammen. Aus meiner Kammer heraus, starrte ich auf die Wand der nächsten Baracke, hielt meinen Kopf aus dem Fenster und blickte links und rechts in die Gasse hinein. Nichts war zu sehen. Es musste so spät in der Nacht sein, dass die letzten Arbeiter ihren Weg ins Bett gefunden haben und so früh sein, dass die ersten Arbeiter noch nicht auf dem Weg zu ihrer Tätigkeit waren.

Sachte schloss ich mein Fenster und begab mich in die Wohnstube der Baracke. Langsam schlich ich zur Tür herüber, hinter der Professor Cunningham sein Gemach hatte. Die dumpfen Geräusche schienen lauter zu werden und ich drückte mein Ohr an die Tür.

Das Dröhnen wurde zu einem Brummen und das Blubbern wurde unregelmäßiger. Dafür kratzte das Schaben in hellen Tönen. Zu meiner Verwunderung drangen die Geräusche jedoch nicht aus dem Schlafzimmer und machten damit meine Theorie zunichte, der Professor würde des nächtens arbeiten und dabei diese Geräusche verursachen. Es schien vielmehr so, als kämen die unterschiedlichen Klänge aus dem Raum, indem ich stand. Ich schaute mich genau um, doch war hier nichts, dass nur entfernt derartige Töne von sich geben konnte. Ich schaute durch die Regale, verschob dabei diverse Bücher und erdreistete mich sogar, in eine Truhe zu spähen. Doch lagen dort nur Tücher und Laken. Ich hob den Teppich an, um eine verborgene Falltür zu einem Keller auszuschließen und achtete beim Stühle- Verrücken nun weniger, selbst keine Geräusche zu verursachen. Ich öffnete die Haustür, nur um ganz sicher zu sein und auch hier auszuschließen, dass die Störenquelle dort zu finden sei. Schließlich musste ich aufgeben und schloss die Haustür wieder zu.

Verunsichert und beinahe schon verwirrt, versuchte ich den Gedanken an die seltsamen Geräusche und ihr unauffindbarer Ursprung, zu verdrängen, da fiel mir plötzlich auf, dass alles verstummt war. Nun war kein einziger Ton mehr zu vernehmen. Noch verwunderter zog ich mich in meine Kammer zurück und lag noch mehrer Stunden wach, bevor ich wieder in den Schlaf fand.

Als ich am nächsten Morgen den Professor fragen wollte, ob auch er diese Laute vernommen hätte und ob er dessen Herkunft deuten könne, musste ich feststellen, dass Gerald Cunningham bereits außer Haus war. Dies verriet mir eine hastig gekritzelte Notiz auf dem Esstisch neben einem halben Laib Brot. „Bin in der Universität. Hier ist Brot", stand auf dem Brief.

An diesem Tag fiel es mir schwer, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Obwohl mich sonst die Betätigung an der Schmelze völlig vereinnahmte, kamen mir immer wieder diese Geräusche in den Sinn. Schließlich, als es mir keine Ruhe ließ, erzählte ich meinem Arbeitskollegen davon.

„Der alte Cunningham?", fragte der Schmiedearbeiter erstaunt. „Du wohnst in einer Baracke mit diesem Kauz, der aus dem alten Geschlecht von Schwarzmagier entsprungen ist?"

„Ich glaube nicht an Zauberei", gab ich zur Antwort. „Es ist Äonen her, als es noch Magier gab."

„Das ist richtig", meinte er, „und trotzdem ranken sich die finstersten Gerüchte um die Cunninghams. Als die Magie noch in Strömen, das gesamte Imperium durchwanderte, war es diese Familie, die durch die finstersten Zauber auffiel. Beschwörungen und Verwünschen, welche längst in Vergangenheit geraten sind. Doch heißt es auch, dass sie über jeden diese Flüche Buch geführt haben, damit nie einer ihrer Taten vollends in Vergessenheit geraten. Ein Wissensschatz, dem nur diesem Geschlecht offen steht. Nur sie, die sich alleine dem Finsteren bemächtigen können."

Ich hörte den Gerüchten zu, die mir mein Arbeitskollege berichtete, tat diese jedoch als altes Bauerngerede ab. „Mir scheint, dass der alte Cunningham ein rechtschaffener Mann ist. Schließlich ist er Professor", meinte ich.

Der Golem von ArrenvilleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt