Hermines Geheimnis

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Harry ließ nicht zu, dass irgendjemand die Überreste seines Nimbus Zweitausend wegwarf. Madam Pomfrey wollte den Gryffindor noch das ganze Wochenende im Krankenflügel behalten und zu Zoes Überraschung, widersprach Harry auch nicht.
Am Sonntagmorgen, nachdem Zoe mit ihrem Großvater in dessen Büro gefrühstückt hatte beschloss sie noch bei ihrem Freund vorbei zu gehen. Als sie den Krankenraum betrat verabschiedete sich gerade Oliver Wood und Rons Zwillingsbrüder von Harry und die Slytherin nahm auf dem Stuhl neben seinem Bett Platz.
„Dir ist bestimmt langweilig, hm?", fragte sie munter, nachdem sie registriert hatte, dass Harry allmählich wieder richtig fit wurde.
Der Schwarzhaarige schüttelte den Kopf und antwortete: „Eigentlich nicht. Ich hab die ganze Zeit Besuch. Heute Morgen war Hagrid schon da." Er kicherte leise und ruckte mit dem Kopf zu seinem Nachtisch. „Er hat mir Blumen mitgebracht."
Zoe betrachtete den Strauß gelber Blumen misstrauisch, die aussahen, wie ein gelber Kohlkopf.
„Hoffentlich sind es keine fleischfressenden Blumen ...", meinte Zoe wenig begeistert.
Harry hielt sich den Bauch vor Lachen, verneinte aber.
„Madam Pomfrey meinte, dass sie mich heute Abend wahrscheinlich entlassen wird."
„Dann bist du ja wieder fit für den Unterricht morgen!"
„Das gleiche hat Hermine auch gemeint", sagte Harry schmunzelnd. „Ich dachte du würdest mit ihnen zusammen nach dem Frühstück zu mir kommen."
Er nahm die letzten beiden Mandarinen aus einer schweren Schale und reichte Zoe eine davon. Die Slytherin nahm diese dankbar an und begann das Obst zu schälen. Ein fast Weihnachtlicher Duft verbreitete sich im Krankenzimmer.
„Ich hab heute Morgen bei meinem Großvater gefrühstückt", erklärte Zoe und schob sie ein Stück saftige Mandarine in den Mund. „Hab' Ron und Hermine heute noch gar nicht gesehen.
Aber wir wollten heute Mittag noch unseren Aufsatz über Werwölfe für Professor Snape schreiben."
Harry verzog das Gesicht, bei Nennung ihres Zaubertranklehrers, doch Zoe ignorierte es gekonnt.
„Den muss ich auch noch machen", sagte er schließlich leise.
Einem Moment schwiegen die beiden, während Harry die kaputten Teile seines Besens betrachtete, die immer noch auf dem freien Bett neben ihm lagen. Zoe entging sein besorgtes Gesicht nicht.
„Was ist los?", fragte sie deshalb.
Der Gryffindor sah sie an, als hätte sie ihn bei der Bewahrung eines Geheimnisses entdeckt. Er zögerte kurz, bevor er antwortete: „Ich ... ich hab Ron nichts davon erzählt, weil er dann panisch werden würde ... Und Hermine auch nicht, weil sie sich darüber lustig macht ..."
„Wovon?", fragte Zoe und sah ihren Freund ernst an.
„Vom Grimm", sprach Harry leise und Zoes Magen zog sich kurz unheilvoll zusammen. „Ich habe ihn nun schon zwei Mal gesehen. Kurz vor dem Unfall ... Da war er auf der Tribüne."
Zoe starrte ihn ungläubig und mit einem unguten Gefühl an, während sie sich daran erinnerte, dass Harrys Wahrsagelehrerein ihn bereits vor einer Gefahr gewarnt hat.
„Bist du sicher?", fragte die Slytherin hoffnungsvoll. „Es war stürmisch und es hat so stark geregnet. Vielleicht hast du etwas anderes gesehen."
Doch Harry schüttelte energisch den Kopf.
„Ich weiß was ich gesehen habe! Und da saß ein großer, zottiger Hund und dann wurde es plötzlich so kalt und ..."
„Das kam aber von dem Dementoren", meinte Zoe und der Gryffindor stimmte ihr zu.
„Wenn Dumbledore nicht gewesen wäre, dann wäre der Grimm wohl das letzte gewesen, was ich gesehen hatte ..."
„Das ist unheimlich", sagte Zoe nach einer nachdenklichen Pause.
„Und es war nicht das erste Mal", erzählte Harry weiter. „Im Sommer, als ich von den Dursleys abgehauen bin. Da hab ich ihn schon einmal in einer Einfahrt gesehen. Ich bin gestürzt und kurz darauf hätte der Fahrende Ritter mich fast überrollt!"
Zoe sah ihn fassungslos an.
„Und das erzählst du erst jetzt?", fragte sie vorwurfsvoll.
„Nun ja, ich dachte es wäre nur ein streunender Hund gewesen ... Aber es verfolgt mich anscheinend ... Und Professor Trelawney sagte auch, ich wäre in ... in Gefahr."
„Glaubst du an das, was sie sagt?", fragte Zoe ernst.
„Ich weiß nicht, was ich glauben soll!", erklärte Harry verzweifelt.
„Hermine meint, sie wäre ... nun ja ... Professor Trelawney wäre etwas ... also theatralisch ..."
„Ja schon", meinte Harry niedergeschlagen. „Aber was ist, wenn sie doch recht hat? Wenn ich wirklich in Gefahr wäre?!"
„Aber du bist in Gefahr!", sagte Zoe plötzlich und da fiel es wieder brühwarm ein. „Sirius Black ist auf der Flucht. Und er hat es sogar schon einmal in Schloss geschafft. Ihre Worte haben eigentlich keinen besonders wahrsagenden Hintergrund, oder?"
Der Gryffindor nickte und einen Moment fragte sich Zoe, ob dies der richtige Zeitpunkt war Harry davon zu erzählen was Pansy ihr über den Massenmörder Black berichtet hatte. Dass dieser seine Eltern an Du-weißt-schon-wer verraten hatte. Doch vermutlich würde dies Harry nur noch weiter aufwühlen und so verdrängte sie den Gedanken daran wieder.
„Vermutlich hast du Recht. Vielleicht war es nur ein blöder Zufall ..."
„Oder dein Hirn hat dir einen Streich gespielt, weil du ständig an ihre Prophezeiung denken musst", meinte Zoe.
„Glaubst du an sowas?"
„An Prophezeiungen?", fragte Zoe verdattert.
„Ja", meinte Harry und sah die Slytherin abschätzend an.
„Also ...", begann Zoe nachdenklich, „ja und nein."
Ihr Freund sah sie verwirrt an.
„Ich hab schon davon gehört, dass es echte Prophezeiungen geben soll", versuchte die Slytherin zu erklären. „Aber sie sind wohl sehr, sehr selten. Und an die Wahrsagerei, wie sie im Unterricht gelehrt wird ... Nun, ich glaub das ist eher unwahrscheinlich. Ich denke, dass man über die Arithmantik viel näher an die Wirklichkeit heran kommt, als über Teeblätter und Glaskugeln."
Harry seufzte leise.
„Wahrscheinlich hast du recht", sagte er schließlich. „Das ist wohl auch der Grund, warum Hermine es nicht ernst nehmen kann. Sie meint wohl Professor Trelawney sei ein Quacksalber."
Sie begannen beide zu lachen. Dass ausgerechnet Hermine so etwas über eine ihrer Lehrkräfte sagte, war wirklich zu grotesk. Nach einigen Sekunden jedoch wurde Harrys Miene wieder ernst.
„Da ist noch was", meinte er plötzlich und begann nervös die Bettdecke glatt zu streichen.
„Was?", wollte Zoe wissen.
„Ich hab die ganzen Nächte darüber nachgedacht", sagte Harry leise ohne Zoe anzusehen. „Die Dementoren. Warum bin ich so anfällig für sie?!"
Zoe starrte ihren Freund angespannt an und antwortete: „Ich weiß es nicht."
„Was passiert mit dir, wenn sie dir zu nahe kommen?"
Die Slytherin rutschte nervös auf ihrem Stuhl herum. An die Dementoren erinnerte sie sich wirklich nicht gerne.
„Mir wird ganz kalt und elend", sagte sie schließlich leise, „und dann muss ich an meine Eltern denken ... dass sie tot sind. Manchmal, da sehe ich auch dich und Professor Quirrell und ... und ... und ihn ..."
„Voldemort?", fragte Harry und Zoe zuckte unwillkürlich zusammen und sah ihren Freund vorwurfsvoll an.
„Ja", flüsterte sie leise. „All diese schrecklichen Dinge fallen mir dann ein. Und ich bin nur noch furchtbar traurig und ich friere und wünsche mir nur noch, dass es aufhört."
Einen kleinen Moment, war es vollkommen still im Krankenzimmer. Nur das leise, rhythmische Ticken der Uhr über Madam Pomfreys Büro war zu hören.
„Hörst du auch Stimmen?", fragte Harry schließlich und starrte auf seine Decke.
„Stimmen?", fragte Zoe.
„Ich höre sie jedes Mal. Wie sie schreit."
„Wer schreit?"
„Meine Mutter", sprach Harry und sah zu Zoe auf. „Sie fleht Voldemort an mich zu verschonen. Sie bittet darum, dass er sie tötet, anstatt mich ..."
„Oh, Harry", meinte Zoe entsetzt und rutschte von ihrem Stuhl, „das ist ja furchtbar ..."
Der Gryffindor sah wieder auf seine Hände und blinzelte auffällig oft. Zoe hätte ihn gerne in den Arm genommen, ihn getröstet, doch sie traute sich nicht. Stattdessen legte sie ihm eine Hand auf den Arm und sagte leise: „Das tut mir leid!"
Harry schniefte leise und wischte sich mit seinem linken Ärmel über das Gesicht. Damit war es kein Wunder, dass die Begegnungen mit den Dementoren Harry so sehr zusetzten. Und mit einem Mal fragte Zoe sich, ob sie nicht dankbar darum sein sollte, dass die Erinnerungen, an dem Todestag ihrer eigenen Eltern einfach in ihrem Kopf fehlten. Vielleicht war es besser so.
Es klopfte an der Tür und beide zuckten gleichermaßen zusammen. Zoe sprang vom Krankenbett weg und nahm wieder auf ihrem Stuhl Platz.
Harry wischte sich noch einmal über das Gesicht, bevor er: „Herein" rief.
Eine zierliche Person trat ein, das Gesicht so rot wie ihr feuerrotes Haar: Ginny Weasley.
Ihre Augen hüpften unruhig im Raum umher, bis sie Harry und Zoe ausfindig gemacht hatten. Dann trat sie mit unsicheren Schritten heran.
„Hallo?", sagte sie leise, als sie die beiden erreicht hatte, „ich wollte dir nur ‚Gute Besserung' wünschen ..."
Zoe konnte kaum verstehen, was Rons Schwester sagte, weil sie so leise war, doch sie reichte Harry eine kleine selbstgebastelte, rot-golden glitzernde Karte.
Perplex setze sich der Gryffindor noch mehr in seinem Bett auf und nahm das Geschenk an.
„Danke!", sagte er ehrlich und schlug die Karte auf, die daraufhin laut und schrill zu singen begann.
„Ich hab' sie selbst verzaubert", flüsterte Ginny.
„Die ist toll! Dankeschön!", sprach Harry munter und sah freundlich auf, woraufhin Ginnys Gesichtsfarbe noch dunkler wurde, sofern dies denn möglich war.
Harry schloss die Karte wieder, doch diese dachte gar nicht daran, zu verstummen. Ginny presste peinlich berührt die Lippen zusammen und beobachtete Harry genau dabei, wie er die Karte auf seinen Nachtisch legte, während diese noch immer schrill kreischend ihr Lied sang.
„Sie sollte gleich aufhören", meinte Ginny und ihr Blick sprang nervös von Harry zu der Karte und wieder zurück.
Doch die Genesungskarte sang weiter. Immer schriller und allmählich begann es in den Ohren zu schmerzen.
„Sie ist vielleicht noch nicht richtig zu", sprach Ginny nach einer kurzen Pause.
Ihr Gesicht war mittlerweile dunkelrot und sie zitterte stark. Allmählich wurde auch Zoe die Situation peinlich.
„Ah, ok", sagte Harry über den Gesang hinweg und schnappte sich die schwere Obstschale. „Vielleicht muss man nur etwas drauf legen."
Zu Zoes und auch zu Ginnys Erleichterung verstummte die Karte endlich, als Harry die Obstschale auf ihr positioniert hatte. Und es wurde wieder ruhig im Krankenzimmer.
Eine peinliche Stille entstand und mit einem Mal kam sich Zoe auf wunderliche Weise ziemlich fehl am Platz vor.
Just in dem Moment, als Zoe sich ein Herz fassen und die beiden alleine lassen wollte, klopfte es erneut an der Tür und herein kamen Ron und Hermine. Mit einem Quieken verabschiedete sich Ginny von ihnen und huschte aus dem Raum und Ron warf ihre einen verwunderten Blick nach.
„Was wollte die denn hier?", fragte er.
„Hat mir gute Besserung gewünscht", meinte Harry schlicht und damit war das Thema für ihn erledigt.
Ron und Hermine brachten den Gryffindor offensichtlich wieder auf andere Gedanken, denn den Vormittag verbrachten die vier mit Albereien, Brettspielen und herumwitzeln. Und erst als gegen Mittag weitere Besucher im Krankenzimmer erschienen seilten sich Hermine und Zoe von den beiden Jungs ab, in der Absicht ihren Aufsatz für Verteidigung gegen die Dunklen Künste zu schreiben.
Ron hatte sich angesichts des Abgabetermins geweigert, am Sonntag mit dieser Arbeit zu beginnen, da er der Meinung war, noch genügend Zeit zu haben.
In der Bibliothek suchten sich Hermine und Zoe einen Platz aus, der weit weg war von Madam Pinces Theke, an der die Bibliothekarin in ein Buch vertieft war.
„Wie fandest du das Quidditchspiel?", fragte Zoe möglichst beiläufig, als sie alle Bücher zusammen gesucht hatten.
„Lief eigentlich ganz gut am Anfang. Bis auf das Wetter natürlich", antwortete Hermine und rollte ihre leere Pergamentrollen auf.
„Hat Cedric gut gespielt?", wollte Zoe wissen.
„Cedric?", fragte Hermine verwirrt und sah auf.
„Cedric Diggory", meinte Zoe, „der Sucher von Hufflepuff!"
„Achso ... äh ... keine Ahnung. Denke schon, er hat den Schnatz gefangen", sagte Hermine und widmete sich wieder ihren Unterlagen.
„War es ein schwieriges Manöver?", fragte Zoe weiter.
Hermine runzelte die Stirn und sah erneut auf, bevor sie sagte: „Seit wann interessierst du dich denn für Quidditch?"
Die Slytherin zuckte mit den Schultern und verschwand unterm Tisch, wo sie vorgab ihre Unterlagen aus der Tasche zu kramen.
„Wollte nur wissen, wie er es geschafft hat, Harry zu schlagen", nuschelte sie und schraubte ihr Tintenfass auf.
„Denke schon", meinte Hermine anschließend, „durch den Starkregen war es sicher schwer den Schnatz überhaupt zu sehen."
Zoes Herz machte einen kleinen Hüpfer. Beim nächsten Spiel mit Hufflepuff musste sie einfach selbst dabei sein.
Ihr Aufsatz über die Lykanthropie füllte ihren restlichen Nachmittag bis zum Abendessen.
Zoe taten die Werwölfe beinahe leid. Laut der Abteilung zur Führung und Aufsicht Magischer Geschöpfe im Zaubereiministerium wurden Werwölfe unter Tierwesen der höchsten Gefährlichkeitsstufe eingestuft. Dabei waren diese, während der Nicht-Vollmondnächte ganz normale Menschen, die sogar sehr unter ihrer Krankheit litten.
Für sie gab es keine Heilung, keine Symptomlinderung und die zyklischen Verwandlungen waren offenbar kräfteraubend und sehr schmerzvoll. Einen Werwolf konnte man auch außerhalb seiner Verhandlung erkennen, wenn man ein wenig aufmerksam war, denn diese litten oft unter Ermüdungserscheinungen, Kraftlosigkeit und einem matten Erscheinungsbild.
„Es ist eigentlich ein Graus", meinte Hermine als sie beide auf dem Weg zum Abendessen waren. „Wie die magische Gesellschaft mit Andersartigen umgeht. Hauselfen, Werwölfe, Kobolde ... Das kann doch nicht sein!"
Zoe hatte jedoch nicht zugehört. Vor ihnen ging eine Gruppe Hufflepuffs und insgeheim hoffte sie, dass Cedric unter ihnen war. Jedoch sah Zoe den Sucher erst wieder Ende November im Spiel gegen Ravenclaw, dass sie haushoch verloren, dem auch Zoe beigewohnt hatte. Niedergeschlagen folgte sie den jubelnden Gryffindors wieder hinauf ins Schloss und versuchte sich dabei möglich nichts anmerken zu lassen. Durch die Niederlage von Hufflepuff hatten diese wieder eine Chance auf den Quidditchpokal.
Auch Harry hatte bald darauf gute Nachrichten zu verkünden. In einem Vier-Augen-Gespräch mit Professor Lupin hatte dieser ihm angeboten Harry in der Abwehr von Dementoren schulen. Er war darüber überglücklich, denn der Vorfall beim Quidditchspiel vor ein paar Wochen, hatte ihm zu denken gegeben. Zwar gingen alle davon aus, dass sowas, aufgrund Dumbledores Toben nicht mehr vorkommen würde, doch es half Harry dabei sich weniger ausgeliefert zu fühlen, sobald er eines der finsteren Wesen sah. Sein Unterricht sollte jedoch erst nach den Weihnachtsferien beginnen.

Zoe Dumbledore und der Gefangene von AskabanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt