Kapitel 4

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Leises Rumgepolter, dass aus der Küche zu kommen schien, riss mich ziemlich unsanft aus meiner rosanen Traumwelt, in der es nur so von netten Einhörnern gewimmelt hatte. Verschlafen rieb ich mir über die Augen und richtete mich langsam in meinem kuscheligen Bett auf.

Vorsichtig bewegte ich nacheinander meine Körperteile unter der blauen Daunendecke, doch sie schienen in Ordnung zu sein.

Nachdem, was gestern passiert war, hätte ich meine gesamte  Kuscheltierarmee darauf verwettet, dass ich mich heute keinen Zentimeter hätte bewegen könnte, ohne vor Schmerzen zusammenzuklappen, wie ein vergammeltes Streichholz. Doch ich spürte nichts dergleichen.

Komisch, aber mir war es auch recht.

Laut gähnend schwang ich meine Beine aus dem Bett, zog mir dicke Wollsocken an und tapste leise ins Bad nebenan. Gedämpft hörte ich die Schreie meiner Mutter aus der Küche:

"Alex? Bist du schon wach?"

Ein paar Sekunden wartete ich, bevor ich antwortete.

"Ja, Mom, jetzt schon," brüllte ich nach unten und schlüpfte gemächlich aus meinen Klamotten. Leise vor mich hin summend sprang ich schnell unter die eiskalte Dusche, wusch schnell meine Haare und stieg bibbernd aus der Dusche.

Mit fahrigen Bewegungen wickelte ich mich in ein weißes, großes Handtuch und trocknete mich improvisorisch ab.

In Rekordzeit schlüpfte ich in meine Klamotten und föhnte meine feuchten Haare, bis sie vollständig trocken waren.

Fünf Minuten später saß ich fertig geschminkt neben meiner Mutter am Küchentisch und verschlang gemächlich mein Marmeladenbrötchen.

"Alex, hast du vor der Schule noch was vor?" Die plötzliche Frage meiner Mutter ließ mich in meinen Kaubewegungen innehalten.

"Nicht das ich wüsste." Misstrauisch fixierte ich sie. "Warum denn?"

"Du bist heute nur so früh wach." Mum schien ehrlich überrascht zu sein. Eigentlich stand ich immer erst um 7:00 Uhr auf, anstatt um 6:30, wie heute.

"Ja. Irgendwie bin ich wohl eher wach geworden. Wie war's eigentlich auf der Fortbildung?"

"Öhh, es ging so. Ich bin noch ziemlich müde vom Flug." Mum gähnte demonstrierend.
"Und es gab leider so ein paar eingebildete Anwälte, die meinten, alles besser zu wissen." Sie seufzte.

"Und ich finde Fortbildungen für Anwälte sowieso überflüssig!" Ihr Gesicht hellte sich auf. "Aber die Gegend war toll! Australien, Alex, stell dir das mal vor!"

Mamas Gesicht bekam einen schwärmerischen Ausdruck, während sie immer noch mit beiden Händen ihre Kaffee umfasste. Sicher sehr toll für Mom, aber mir nützte das nicht sehr viel. Während Mum in allen möglichen Ländern und Kontinenten "Urlaub" machte, musste ich mich mit Osnerbeck vergnügen.

Frustriert zog ich eine Grimasse und wollte mich gerade beschweren, warum ich nicht mit nach Australien fliegen konnte, doch Mum kam mir schon wieder zuvor.

"Alex, vielleicht solltest du jetzt langsam mal los, denn wolltest du vor der Schule nicht noch die Post wegbringen? Und habt ihr in der ersten Stunde nicht Mathe?" Verflucht! Das hatte ich ja ganz vergessen.

Herr Langerd, unser Mathelehrer hielt nämlich gar nicht viel vom zu spät kommen, was ich aus eigener Erfahrung nur zu gut wusste. Nickend stand ich von dem schwarzen Stuhl auf, sortierte mit filigraner Genauigkeit das benutzte Geschirr in die Spülmaschiene ein und wandte mich wieder zu Mum um.

"Stimmt. Ich sollte mich wirklich beeilen." Schnell gab ich Mum noch einen Abschiedskuss auf die Wange, schnappte mir meinen Rucksack und schloss hinter mir virsichtig die graue Wohnungstür.

EngelsbluttropfenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt