O N E

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Wir setzten Standarte.

Standarte daran was du anzuziehen hast um dazu zu gehören.

Standarte an den Leuten mit denen wir uns abgeben. Niemand trifft sich mit dem Kerl mit dem langen Bart und den löchrigen Klamotten.

Standarte an unserem Lebensstil. Jeder will das neue Handy haben, keiner will uncool sein.

Die Standarte sind hoch.

Die höchsten Standarts setzten wir an uns selber.

Wir brauchen die besten Noten.

Eine 3 befriedigt schon lange nicht mehr.

Nicht die Gemühter der Eltern.

Wir wollen immer die besten sein.

Am besten in allem.

Wir müssen die schönsten sein.

Das ist was die Gesellschaft uns vermittelt.

Mein BMI sagt 17.71.

Mein Gefühl sagt ganz okay.

Mein Spiegel schreit Fett.

Meine Waage ist ganz still.

Vorsichtig drehe ich den Schlüssel des Badezimmers und gehe heraus.

Es ist eine Angewohnheit das Badezimmer zu verschließen.

Als wäre ich umgeben von lauter Menschen die aus heiterem Himmel in das Bad stürmen könnten,

können sie nicht.

Niemand ist da.

Die blauen Badezimmerfliesen wechseln zu einem Holzfarbenem Boden der unter meinem Gewicht leise knackt.

Ich habe das Gefühl extrem leise sein zu müssen.

Als wäre Harry hier.

In unserer Wohnung.

Doch das ist er nicht.

Harry ist am anderen Ende der Welt.

Dort kann ich ihn nicht aufwecken wenn ich ohne Rücksicht durch die Wohnung laufe. Und trotzdem erhöht sich meine Lautstärke nicht.

Nicht als ich die Küche betrete und die Lebenmittelwage aus dem Schrank nehme.

Vorsichtig wiege ich den Naturjoghurt ab. Es ist schon lange kein 0,3% Fett joghurt mehr. Aus 0,3% wurden 0,1%.

Auch verschwand das Schokoladenmüsli aus unseren Schränken.

Zwischen dem Wechsel von 0,3% Fett zu 0,1% Fett nahm ich ab.

Ich fand mich gar nicht dick.

Ich war ganz normal.

Bin ich immernoch, nur anders.

Ich esse den Joghurt im Stehen während ich entspannt an der Kücheninsel stehe und auf die Uhr starre.

7:10 morgens.

Ich nehme kein Bissen von dem Joghurt in den Mund.

Dafür starre ich auf die Uhr bis ich sicher gehe, dass der Große und der Sekundenzeiger beide übereinander auf dem Strich hinter der 10 stehen. Dann fang ich an ein wenig Joghurt zu löffeln. Er schmeckt nicht, ich wusste es.

Ich hätte mir keinen machen sollen.

Vielleicht sollte ich ihn nicht essen.

Aber dann hast du Hunger!, schreien meine Gedanken mich an.

Sie haben Recht.

5 Löffel von dem Joghurt esse ich und kratze den Rest zurück in den Pappbecher.

Mein Tag verspricht nicht viel.

Ich verbringe meinen ganzen Sonntag schwitzend auf dem Laufband vor dem Fernseher.

Ich wartete vergeblich auf eine Nachricht von Harry.

Nichts kam.

Er muss sicher Proben oder hat etwas anderes wichtiges zu tun..., schlug mein Gewissen vor um sich vor der Idee zu schützen, dass er wen anders traf.

Jemand besseren.

Also war das Laufband das was mich von diesen Gedanken abhielt.

Es schmerzte ihn nicht bei mir zu haben.

Es fühlte sich an als wäre ich allein.

War ich.

Oft zumindest.

Aber bald wäre er wieder da.

Ich vergaß vor lauter Laufband irgendwann das Mittagessen.

Ich war mir sicher, dass ich es vergaß.

Man kann Essen vergessen.

Ich hatte schließlich keinen Hunger.

Doch ich aß Abendessen.

Salat.

Und eine Nachricht von Harry.

"Sorry, dass ich erst jetzt schreibe war ein anstrengender Tag,

ich vermisse dich.

Kann heute nicht mehr telefonieren, morgen babe ja?"

Natürlich Harry.

Rib Cage h.s ~ anorexicWo Geschichten leben. Entdecke jetzt