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Vorsichtig schiebe ich die weiche warme Decke auf die Höhe meiner Waden, danach setze ich erst einen Fuß auf den Boden, dann den anderen. Kurz knackt der dunkle Fußboden unter mir, doch das Geräusch erlischt als ich den ersten Schritt mache.

Mit einer Energie die ich von mir selber für diese Uhrzeit nicht erwartet hätte laufe ich los zu dem angrenzendem Badezimmer und ziehe die Waage aus der weißen Kommode hervor.

Während ich von der Toilette aus anfange sie anzustarren fängt mein Herz an wie wild zu rasen.
Was wenn ich nicht abgenommen, oder sogar zugenommen habe? Ich hab' mich so angestrengt.

Habe ich nicht abgenommen werde ich mich nurnoch mehr hassen. Kurz steigt ein Anflug von Wut und Traued in mir auf, wird dann aber allerdings schnell von der Angst vor dem Bevorstehenden ersetzt.

Vorsichtig stehe ich auf und streife mir das schwarze T-shirt vom Körper.
Es ist seins.

Er hat es mir gegeben als ich das erste Mal bei ihm geschlafen habe. Vor fast genau 3 Jahren.

Bei dem Gedanken musste ich kurz lächeln.

Als ich dann nach einer gefühlten Ewigkeit endlich doch auf das Silberne Ding steige, zeigt die Waage mir 52,6 Kilogramm an.

Das sind nur 100 Gramm weniger als Gestern. Mein Bmi liegt damit immernoch bei 17,5.

Enttäuscht und wütend packe ich die Waage zurück an ihren Platz und lasse meinen Kopf meinen Tag planen. Oder zumindest einen Teil für meinen heutigen Tag.

Mein Kopf plant in Sekundenschnelle was ich zum Frühstück essen kann, wie ich das Mittagessen auf der Arbeit umgehe und wie ich noch rechtzeitig zum Lebensmittelgeschäft komme um mir einen Salat für den Abend zu besorgen.

Seufzend drehe ich mich weg von unserem großem Badezimmerspiegel und trotte zurück in unserer Schlafzimmer.

Ich drehe Harrys und meinem Bett den Rücken zu um mir passende Sachen für die Arbeit herauszusuchen. Vorsichtig schiebe ich die Tür des Eichenholzschranks zur Seite und wähle meine Klamotten aus. Nach einer kurzen Bedenkzeit zwischen dem Burgundrotem Pullover und dem schlichten schwarzen Top bevor ich mit dem schwarzen Top in der Hand den Schrank wieder schließe. Und in dem Moment fällt mir auf wie still es ist. Mir fehlt die Lautstärke in dieser Wohnung. Doch sobald ich den Fernseher oder das Radio anschalte fühlt es sich so unglaubloch fehl am Platz an. Ich schüttele leicht den Kopf und versuche so den Gedanken los zu werden.

Ich ziehe mir die Sachen an bevor ich zum zweiten Mal das Badezimmer betrete und mich im Spiegel betrachte.

Ich würde nicht sagen, dass ich hässlich bin, nein. Ich hab wirklich ein recht hübsches Gesicht, schön geformte Augenbrauen, volle Lippen und schöne blaue Augen. Nur mein Körper...Der Macht bei der ganzen Sache nicht gerade das was ich möchte.

Meine Hand bewegt sich zu der schwarzen Haarbürste die auf der Ablage liegt und hebe sie zu meinen Haaren bevor ich anfange meine braunen Haare zu bürsten.

Ich binde sie mir zu einem strammen Pferdeschwanz und verlasse das Bad.

Kurz packe ich die wichtigsten Sachen in meine Tasche hole mir einen Apfel aus der Küche und schließe dann die schwere Tür der Wohnung hinter mir.

Ich gehe durch das graue Treppenhaus und verlasse kurz darauf das komplette Gebäude.

Während ich den Weg zu meinem Arbeitsplatz einschlage knabbere ich an dem Apfel herum. Er schmeckt nicht schlecht. Eigentlich schmeckt er sogar sehr gut. Saftig und Süß. Am liebsten würde ich ihn ganz schnell aufessen und seinen ganzen Geschmack vollkommen wahrnehmen. Doch kurz bevor ich das alte zerkratze Schild des Buchladens erkennen kann in dem ich seit etwas mehr als einem halben Jahr arbeite, werfe ich ihn in einen Mülleimer am Rand vom Bürgersteig.

Vorsichtig klopfe ich an die Plexiglasscheibe die in der Tür eingearbeitet is und versuche eine relativ klare Sicht durch sie zu haben, sodass ich Élis vielleicht erspähen könnte.

Élis ist meine Chefin. Sie baute diesen Buchladen auf, gestaltete ihn liebevoll und brachte ein gut laufendes Geschäft zu stande.

Ich sehe wie ihr grauhaariger Schopf langsam näher kommt und sie die Tür mit drei Schlüsselumdrehungen aufschließt.

"Na Hailey wie war dein Wochende?", sie lächelt mich mit einem wirklich ehrlichem Lächeln, bestehend aus den Augenfalten und einem kleinen Grübchen auf der linken Hälfte ihres Gesichts, an.

Sie schlägt den Weg in den kleinen privaten Raum hinter der Ladentheke ein und setzt sich dort auf einen kleinen Holzstuhl.

"Nicht wirklich spektakulär...",ich weiche ihrem Blick aus und fummele leicht an dem Schal herum der um meinem Hals hängt.

Wie war dieses Wochende schon gewesen?

Ich war allein Zuhause.

Zu faul um den Kontakt zu meinen Freunden zu pflegen. Es wird schwieriger etwas mit meinen Freunden zu machen. Immer die gleichen Fragen; 'Hey Hailey wir sind im Kino wieso willst du kein Popcorn?', 'Auch ein Eis?' oder 'Du machst doch hoffentlich keine Diät oder wieso trinkst du neuerdings Cola Light?'.

Ich war es Leid.

Viel einfacher war es im Gegenteil dazu zu sagen, dass man keine Zeit hatte oder krank wurde. Was sollte ich auf diese Fragen schon antworten. Denn ich mache keine Diät. Ich hab nur einfach meistens keinen Appetit. Also werden meine Kontakte schlechter. Aber ich werde dran arbeiten. Denn ich vermisste meine Freunde.

"Und deins?",hängte ich noch kurz heran bevor sie mich wegen des Blickausweichens ansprechen könnte.

"Wir hatten Besuch von den Enkeln.", sie lächelt Kurz wobei sich an ihren Augen kleine Lachfältchen bilden und ihre Pausbäckchen leicht angehoben werden.

"Schön.", lächle ich ihr zu und klemme mir mein Mitarbeiterschildchen, auf dem in wirklich sehr großer Schrift mein Name, steht an meine Brust.

Während Élis an die Tür geht um das 'Closed' zu einem 'Open' zu ändern verschanze ich mich hinten in das Lager und fange an die neue Ware aus den Kartons zu bergen und in ihr entsprechendes Fach in den Bücherreageln zu transportieren.

Dies ist einer der besten Aufgaben, denn während du die einzelnen Bücher in ihr Fach einräumst ließt du unauffällig die Klappentexte und Einbände.

Ich glaube dieser Job ist wirklich keiner für Menschen die Bücher 'langweilig' finden.

Für mich ist er perfekt. Wenn man schon arbeiten muss dann mit Dingen die man liebt.

Bücher sind eine Art aus der Wirklichkeit zu entfliehen.

Ein Buch kann nie dick genug sein.

Nie lang genug.

Und doch auch wenn ein Buch die Möglichkeit birgt aus der Realität zu entfliehen wirst du nie ein Buch finden, dass dich für immer der Wirklichkeit entzieht. Das ist etwas was einerseits gut ist, doch anderseits wirklich schade die meiste Zeit.

Den restlichen Arbeitstag verbringe ich mit Kartons schleppen Ware sortieren und ein paar einzelnden Arbeiten an der Kasse. Ein 'Ich habe keinen Hunger' zum Mittag genügte Élis nicht. 'Aber Kind du musst was Essen!', war ihre Antwort. 'Ich habe zum Frühstück eine ganze Pfanne Bacon&Egg verdrückt', grinste ich als Lüge. Ihr fröhliches Lachen war die Bestätigung dafür, dass ich das Mittagessen sein lassen konnte.

Als ich gerade dabei war das Namenschild zu entfernen fing das vibrieren meines Handys an. Schnell legte ich das Schild auf den Tisch und fischte mein Handy aus meiner recht ordentlich gehaltenen Tasche.

Ich tippte den grünen Button an und ein Lächeln bildete sich auf meinen Lippen als ich Harrys Stimme hörte.

"Hey Iles, ich muss dir was sagen.", er klang aufgeregt und glücklich.

"Was denn?"

"Also-", es raschelte kurz bevor er fortfuhr.

"Ich hoffe du kannst dir spontan frei nehmen denn die Tickets sind gebucht und der Flieger geht in zwei Stunden, bis morgen Früh Hailey."

Rib Cage h.s ~ anorexicWo Geschichten leben. Entdecke jetzt