Ein schimmerndes warmes Licht weckte mich am folgenden Morgen. Das dunkle Orange des anbrechenden Tages fiel schwach durch die Fensterländen des Museums Louvre. Ein einsames Licht aus bronzenem Gold lag auf meinen müden Gesichtszügen. Letzten Abend - so erinnerte ich mich - stand ich noch vor dem leeren Thronsaal:
Dem viel versprechenden Raum, den mir Oliver eröffnet hatte. Ich sah all die makellosen weißen Statuen und Gemälde aus dunklem, verschwiegenen Rot.
Niemand konnte mir über die Abwesenheit des Königs eine einfache Erklärung geben. Ich stand vor dem selben dunklen, unwirklichen Geheimnis wie mein Vater... selbst jetzt war der Herrscher der Unterwelt unbegreiflich für mich. Die düsteren Schatten der Wände legten sich über mich, als wollten sie mich von der Wirklichkeit schützen.
Ich wandte mich zu Olivier um. Seine Augen schimmerten in einem dunklen, unwirklichen Glanz. Als würde das Universum selbst nach der Frage der Unendlichkeit und seines Daseins suchen. Mein Blick senkte sich zu Boden, als jemand unmittelbar neben mir flüsterte »Er ist nicht mehr am Hofe«.
Meine Hände ballten sich zu Fäusten. Mit einem dumpfen Gefühl in der Brust nahm ich Oliviers Hände an meinen Schultern wahr. Im nächsten Moment verließ ich den Thronsaal und wurde durch einen langen, dunklen Gang geführt.
Alles um mich erschien wie in einem Traum. Der Parkettboden aus dunkler Eiche unter unseren Schritten hallte unwirklich von den weißen Wänden wider. Die Bilder und Statue schienen sich von mir abzuwenden. Ich spürte diese betäubende Leere in meinem Herzen, die zuvor mit einem Versprechen der Vergeltung gefüllt war, immer größer werden. Ich hatte versagt.
Mit einem Stoß wurde ich in das gedimmte Zimmer vor mir gestoßen. Die Tür schloss sich mit einem lauten Knall. Danach folgte das metallische Klicken eines Schlosses. Ich atmete scharf aus und spürte zum ersten Mal seit Stunden, die wohltuende Einsamkeit um mich.
Mit einem Mal stieg die ganze Wut des vergangenen Tages in mir auf - all die Gefühle die ich so verzweifelt zu verstecken versuchte, nur weil ich dachte, diese Monster hätten all die Macht über mich, sobald ich zeigte wie menschlich... wie verletzlich ich war.
Ich fühlte die wohltuende Wärme des Kamins rechts von mir. Das Knistern der lodernden Flammen erfüllte mich mit einem vertrauten Gefühl. Als wäre das Schicksal der ganzen Welt gefangen in dem lodernden Rot eines Herzschlags - als wäre alles Gute in meinen Händen.
Doch es war - wie alles - so unbegreiflich für mich. Ich seufzte leise und ließ meine Gedanken zu Raphael schweifen. Ich hoffte innig, dass mein Bruder mit Maurice in Sicherheit war. Alles war besser alles hier zu sein, in den Fängen eines Ungeheures.
Niedergeschlagen sah ich mich im Raum um. Wie im restlichen Louvre sah ich Gemälde um ich herum, alle samt mit dunklen Augen, in einem verstohlen Blick der Sehnsucht nach Freiheit suchend. Als würden sie versuchen, die Rahmen ihrer Gefangenschaft zu entfliehen.
Welche Grausamkeit mussten sie über die Jahrhunderte hinweg über gesehen haben; war für sie das Leben eines Jahrzehnts das Leiden eines Jahrhunderts? Oder die Liebe einer Sekunde der Schmerz eines Jahrtausends? Alle Antworten für immer gefangen in einem Schimmer aus Farben und Schatten.
In der Ferne hörte ich eilige Schritte, das schließen von schweren Toren und das verstohlene Murmeln vor meiner Tür. Ich spürte, dass der König auf mich doch zu warteten schienen, selbst wenn aus der Ferne war.
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Kalte, starre Hände berührten plötzlich meine rechte Hand. Mein Blickfeld war noch immer getrübt von dem unruhigen Schlaf letzter Nacht. Ich sah nur die elfenbeinfarbene Haut und die dunkelblauen Venen, die wie eisige Flüsse über das Handgelenk gezogen waren.
Mein Puls schlug pochend in meinen Schläfen - ich wusste nicht, ob es Wut oder Angst war - oder doch nur eine betäubende Mischung aus beiden. Eine weibliche Stimme begann zu sprechen. Es klang in meinen Ohren bitter und dennoch unnatürlich beruhigend »Du bist niemals eine Jägerin - deine Händen sehen aus, als hättest du noch nie einen Tag auf dem Schlachtfeld gestanden«, ein klirrendes Kichern entfuhr den Lippen der Unbekannten »Aber wie ich Rouven kenne, wird er dir Glauben schenken«.
Sie ließ meine Hand los - erst jetzt wagte ich es hoch zu blicken. Eine junge Frau, kaum älter als Mitte zwanzig, blickte mich skeptisch mit dunklen Augen an. Ihre schwarzen Haare umrahmten ihr Gesicht mit den eingefallen Wangen und den dunkelroten schmalen Lippen.
»Ich bin eine Jägerin«, entkam es mir mit einem leisen Hauch. Sie führte ihre Hand an meine Wangen, die vor Zorn glühten. »Lügt dich nicht selbst an«, ermahnte sie mich lächelnd »Wir alle wissen, was ihr sterblichen Mädchen von meinem Cousin wollte. Egal was es braucht, um nur einen Moment mit ihm allein zu sein«.
Mit einem schnellen Ruck packte ich ihr Handgelenk und setzte mich auf »Ich bin eine Jägerin«, wiederholte ich giftig »Und du bist nur eine...« »Die es besser weiß«, Olivier erschien im Türrahmen. Er blickte die Unbekannte auffordern an.
»Maxime«, begann er »Du hattest keine Erlaubnis des Königs sie zu sehen. Geschweige denn allein«, er hielt kurz inne, ehe er schnippisch hinzufügte »Auch wenn du es auf Frauen besonders ein Auge legst«. Maxime begann eisig zu lächeln und wandte sich mir wieder zu »Wir werden uns sicher noch einmal sehen - und dann können wir in Ruhe diese Scharade fortsetzen«. Ich ließ ihre Hand los und fügte hinzu »Deine letzte. Ich kann kaum darauf warten«.
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The Tale of Ice & Blood
Vampire»Wir sind verloren in einer Ewigkeit aus Eis und gefangen in der Unendlichkeit eines Blutstropfens. Alles was uns bleibt ist eine Sekunde. Eine einzige Sekunde, die alle Ozeane der Zeit gefrieren lässt.« Der dunkle König und seine Königin. Trigger...